Innovativ auf dem Acker
4300 Patente stecken in den Landmaschinen von Claas. Eine der nächsten Traktorengenerationen wird dann wohl autonom fahren.
Wer kennt sie nicht, die grün-grauen Ungetüme, die während der Erntezeit die Landstraßen dominieren. „So einen habe ich auch“, verkündet manch ein Nachwuchs auf dem Rücksitz stolz, auch wenn es nur ein Modell ist. Mähdrescher sind die Landmaschinen, die eindeutig die größte Faszination auf Erwachsene wie Kinder ausüben. Der rote Schriftzug „Claas“ wird automatisch mit den riesigen Erntemaschinen verknüpft. Und das seit Generationen.
Tatsächlich gibt es das Unternehmen schon länger, als die meisten vermuten würden. Die Wurzeln gehen sogar auf einen von Franz Claas 1887 gegründeten Hersteller von Milchzentrifugen zurück. Um 1900 beschäftigte er sich mit mechanisierten Strohbindern, die seinerzeit vor allem aus Großbritannien importiert wurden. Sieben Jahre später brachte er die erste eigene Maschine auf den Markt. Als Landmaschinenhersteller wurde die Firma 1913 ins Handelsregister eingetragen. Das Jahr gilt auch als der offizielle Start des Unternehmens. Der Firmensitz im nordrhein-westfälischen Harsewinkel entstand auf dem Gelände eines stillgelegten Hartsteinwerks, das die Claas-Brüder 1919 erworben hatten.
Der Erfolg des Unternehmens ist von der stetigen Suche nach Verbesserungen geprägt. Schon 1921 meldete August Claas seinen verbesserten „Knoter“ für Strohbinder als Patent an. Bald konnte das Unternehmen seine Maschinen auch in Frankreich und Belgien absetzen. Bereits 1924 wurde der tausendste Strohbinder gefertigt. Für jene Zeit waren das beachtliche Zahlen. Heute werden allein in der Mähdrescher-Fabrik in Harsewinkel aus 50.000 Bauteilen 23 Mähdrescher produziert – pro Tag.
Die Claas-Brüder erkannten früh, dass Strohpressen, die damals gängigen Binder verdrängten und produzierten von 1931 an eigene Anlagen. Gleichzeitig wurden die ersten Mähdrescher nach dem Vorbild amerikanischer Maschinen entwickelt. Der erste serienreife Mäh-Dresch-Binder kam 1937 als stationäre Anlage auf den Markt. Versuche als mobile Lösung waren zuvor immer wieder auf den Feldern stecken geblieben.
Erst am 15. Dezember 1952, dem 65. Geburtstag von August Claas, stellte das Unternehmen den ersten selbstfahrenden Mähdrescher namens „Hercules“ mit einer Schneidwerksbreite von 2,50 Metern vor. Im Jahr 1992 eröffnete Claas sein erstes Mähdrescherwerk in Indien. In Faridabad werden spezielle Landmaschinen für die Reisernte entwickelt und gebaut.
Die lange Firmengeschichte prägt die Arbeitsweise des Unternehmens: „Wir denken in Generationen, Generationen von Claas-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern und Generationen unserer Kunden“, erklärt Aufsichtsratsvorsitzende Cathrina Claas-Mühlhäuser. Sie gehört zur vierten Generation und verweist stolz auf den Leitsatz ihres Vaters Helmut Claas, der in vielen Büros des Unternehmens hängt: „Wer führend sein will, muss immer weiterlaufen.“ Für das Familienunternehmen arbeiten heute weltweit mehr als 11.900 Frauen und Männer. Im vergangenen Jahr setzten sie 4,8 Milliarden Euro um. Der Deutschland-Anteil beträgt 25 Prozent.
Neuartige Produktion
„Wir wollen ein unabhängiges Familienunternehmen bleiben. Das ist kein Selbstläufer. Deshalb richten wir uns noch stärker auf die Zufriedenheit unserer Kunden aus und verbinden das mit konkreten Wachstums- und Ergebniszielen“, betont Konzernchef Thomas Böck. So wolle man das Traktorengeschäft und den Teilehandel weiter ausbauen. Und: „Zum Erreichen unserer Ziele brauchen wir einen weiteren Technologiepush“, sagt Böck. Und der beginnt in der Fertigung.
Bis Spätsommer 2022 wird am Stammsitz in Harsewinkel für 44 Millionen Euro eine 70 Jahre alte Fabrikhalle abgerissen und an gleicher Stelle eine neue Fertigung errichtet. Künftig sollen zwei getrennte Montagelinien zu einer synchronen Produktion zusammengeführt werden. „Das funktioniert“, erklärt Projektleiter Simon Krieter, „weil wir für die Grundkonstruktion unserer Baureihen in Zukunft mehr gleiche Teile verwenden, als das früher der Fall war.“
Vorbild für das Projekt in Harsewinkel ist das Werk im französischen Le Mans, das Claas 2020 ebenfalls für 40 Millionen Euro umgebaut hat. Dort entsteht beispielsweise eine neue Traktorengeneration, die mit dem System Cemos ausgerüstet ist – das weltweit führende und einzige selbstlernende Fahrerassistenz-, Prozess- und Maschinenoptimierungssystem für Traktoren. Insgesamt stecken 4300 Patente in den Maschinen von Claas.
Den Technologiepush sucht Claas auch auf dem Markt: Im vergangenen Jahr hat sich das Unternehmen am niederländischen Start-up AgXeed beteiligt, das autonom fahrende Traktoren entwickelt und vertreibt. Die Weichen für die Zukunft sind also gestellt. Ganz im Sinne des langjährigen Firmenchefs Helmut Claas: „Wir haben keine Geheimnisse. Wir haben einfach gute Ideen und motivierte Leute.“