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Technologie > Industrie 4.0

Mittelständler haben beim Thema Automatisierung Nachholbedarf

Industrie 4.0, Integrated Industry, Connect & Collaborate: Mehrere große Trends bestimmen die Industrie von morgen. Mittelständler sollten sie kennen, um sich nicht abhängen zu lassen. Oder ist es für sie bereits zu spät?

Das bayerische Böfflamott ist eigentlich das Boeuf à la mode, das in Küchenkreisen mit „Rindfleisch nach neuer Manier“ übersetzt wird. Drei unterschiedliche Bezeichnungen für ein und dieselbe Sache – das erinnert an Industrie 4.0, Integrated Industry, Connect & Collaborate. Alles hat irgendwie miteinander zu tun, doch im Gegensatz zu den Köchen weiß bei den neuen Industrietrends am Ende keiner, was tatsächlich gemeint ist. Messen sind die Hochämter solcher Begriffsverwirrungen. Allerdings helfen sie auch, einen genauen Blick auf Gegenstände oder Systeme der engeren Wahl zu werfen oder einfach einmal etwas Neues kennenzulernen. Die Hannover Messe Industrie (HMI) bietet auch dieses Jahr wieder reichlich Auswahl an Rezepturen des Managements für die moderne Fertigung.

Generell lassen sich die neuen Digitaltrends in vier Bereichen abbilden: vernetzte Industrie, Plattformökonomie, Künstliche Intelligenz (KI) und Industrial Security. Ihnen gemein ist das große Ziel, dass „eine intelligente Automatisierung von Standard-Prozessen mehr Produktivität in das Unternehmen bringt“, weiß Jochen Wießler, Geschäftsführer des ERP-Anbieters Unit 4. In einer Studie hat sein Unternehmen herausgefunden, dass die Arbeitszeit im Dienstleistungssektor nur zu zwei Dritteln produktiv für die Hauptaufgaben der Mitarbeiter genutzt wird. Der Rest wird mit unnötiger Administration verschwendet. Abhilfe schaffen könnte eine selbststeuernde Software wie beispielsweise digitale Assistenten, die sich wiederholende Verwaltungsaufgaben übernehmen und damit die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens steigern könnten.

Automatisierte Forecasts auf KI-Basis

Ähnliche Entwicklungen sind im Bereich der Auswertung von Unternehmensdaten zu erwarten, bei deren Prognose Künstliche Intelligenz eine große Rolle spielen wird. So sind automatisierte Forecasts auf KI-Basis eine Alternative zu den derzeit üblichen manuellen Analysemethoden, die sehr hohes Expertenwissen erfordern. „Allerdings hängt dann die Qualität der Aussagen sehr von denen der eingegebenen Daten ab“, wie ein Experte feststellt. Dennoch werden automatisierte Analysen die Arbeit mit Daten erheblich vereinfachen.

Wenn die KI richtig funktioniert, werde sich die Time-to-Market eines Produkts um 10 Prozent verringern, schreibt McKinsey in seiner Studie „Smartening up with Artificial Intelligence – What’s in it for Germany and its Industrial Sector“. Bis 2030 könnte durch intelligente Roboter und selbstlernende Computer das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands um 160 Milliarden Euro oder um 4 Prozent steigen, heißt es in der Studie weiter.

Mehr Artikel zum Thema Industrie 4.0 finden Sie auf unserer Themenseite.

Bei der Bilderkennung hat KI beachtliche Fortschritte gemacht. So wies die computergestützte Bilderkennung, die ja auch in der Robotik eine wichtige Rolle spielt, 2010 noch eine Fehlerrate von 28 Prozent auf, 2016 lag der Wert nur noch bei 5 Prozent, wie die bereits zitierte McKinsey-Studie festhält.

Digitalisierung und Plattformökonomie

Die Trends Digitalisierung und Plattformökonomie für das produzierende Gewerbe beschreibt Roland Dammers, Inhaber der Unternehmensberatung Conda: „Die durch Digitalisierung optimierte Wertschöpfungskette erfordert Änderungen der existierenden Produkte oder ganz neue Güter, von neuen Services mit entsprechenden Businessmodellen ganz zu schweigen.“ Dieser Prozess habe direkten Einfluss auf die Produktentwicklung und das Engineering. Die Unternehmen müssen sich also nicht nur mit den neuen Anforderungen auseinandersetzen, „sondern sie werden auch ganz neue Wege in der kollaborativen Produktentwickung gehen“, prognostiziert Dammers.

Nicht vergessen dürften Industrieunternehmen bei allem technologischen Fortschritt aber die Sicherheit ihrer Produktionsanlagen. „Bei der neuen Bedrohungslage steigt die Nachfrage nach IT-Sicherheitslösungen“, beobachtet Anton Kreuzer, CEO des IT-Spezialisten Drive Lock. „Besonders große Produktionsanlagen werden immer häufiger zum Ziel von Cyberkriminellen. Industrielle Anlagen sind geschlossene Systeme, die dedizierte Sicherheitsmaßnahmen benötigen.“

Milliarden Euro mehr durch KI und Roboter

Intelligente Roboter und selbstlernende Computer werden die deutsche Industrie in den kommenden Jahren verbessern. So soll Künstliche Intelligenz (KI) das Bruttoinlandsprodukt bis 2030 nach einer Studie von McKinsey jährlich um 10 Milliarden Euro steigern. In der Fertigung und den Geschäftsprozessen bestehen die größten Potentiale. Durch die Zusammenarbeit von Robotern und Mitarbeitern könnte sich die Produktivität um 20 Prozent erhöhen, nimmt die Unternehmensberatung an. So sei in der Fertigung eine um ein Fünftel verbesserte Anlagennutzung möglich, wenn Wartungsarbeiten durch eine mit KI verbesserte Predictive Maintenance ergänzt werden.

Eine ähnlich höhere, um 20 Prozent verbesserte Produktivität sei bei einzelnen Arbeitsschritten durch die Kooperation von Robotern und Menschen machbar. Auch in der Qualitätsüberwachung kann KI punkten. Beispielsweise ließe sich durch eine automatische visuelle Fehlererkennung bei Produkten die Produktivität um 50 Prozent steigern und der Ausschuss um bis zu ein Drittel reduzieren.

Und schließlich wirken die schlauen Algorithmen auch auf die Geschäftsprozesse. So kann durch exaktere Abverkaufsprognosen die Fehlerrate um 30 bis 50 Prozent sinken, und Verbesserungen innerhalb der Lieferkette können erreicht werden, etwa durch eine Senkung der Lagerhaltungskosten. Selbst in Forschung und Entwicklung sind nach den Erkenntnissen der McKinsey-Forscher Kostenreduktionen von 10 bis 15 Prozent möglich. Keine Ausnahme bilden indirekte Geschäftsbereiche wie die IT, hier kann Künstliche Intelligenz 30 Prozent der bestehenden Tätigkeiten ablösen.

Wenn Megatrends in den Unternehmen landen, werden sie erst einmal auf Tauglichkeit für die eigene Praxis überprüft. So hat sich etwa beim Trailerhersteller Schmitz Cargobull eine unternehmensweite Strategietagung des Themas Digitalisierung und E-Mobilität angenommen. „Dabei ging es in Zusammenarbeit mit verschiedenen Fraunhofer-Instituten um die Fragen, was man als Unternehmen bei der Digitalisierung verstehen kann, was wichtig ist beim Vernetzen der Prozesse entlang des Wertstroms und wie letztlich das Material auf die Montagelinie zuläuft“, sagt Olaf Schütte, Fertigungsleiter bei dem Anhängerhersteller.

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Ergebnis der Tagung in Altenberge, dem Leitwerk für Planenauflieger war, dass die Fertigungszeit vom Eingang der Bestellung bis zur Auslieferung beim Kunden von 18 auf 12 Stunden verkürzt werden kann. „Darauf wollen wir uns nun konzentrieren“, sagt Schütte. Zum Teil sind die für die Herstellung benötigten Maschinen schon so weit, dass sie sich die Aufträge aus dem SAP-System abholen und ausführen. Dieser Prozess ist bereits zu 80 Prozent automatisiert. Der Einsatz von Robotern, den das Unternehmen vor allem in Kooperation mit menschlichen Mitarbeitern sieht, wird von einem Workshop vorbereitet. Schließlich muss eine anspruchsvolle Aufgabe erledigt werden. „Dabei sollen sich Mensch und Roboter einen Arbeitsraum teilen, in dem vor allem mit schweren Teilen hantiert wird“, sagt Fertigungsexperte Schütte. Die Herausforderung dabei ist, auch dann den Schutz vor Kollision sicherzustellen.


Dieser Text gehört zu einem Thema aus der Markt-und-Mittelstand-Ausgabe 04/2018. Hier können Sie das Heft bestellen und „Markt und Mittelstand“ abonnieren.

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