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Zukunftsmärkte > ESG-Vorgaben blockieren Betriebe

Bei wem Nachhaltigkeit den Wettbewerb erschwert

ESG-Vorgaben sollen Nachhaltigkeit beschleunigen. Doch kleinere Betriebe leiden besonders unter ihnen. International drohen ihnen Wettbewerbsnachteile.

Kräftemessen der Wirtschaftsnationen: Auf den internationalen Märkten haben es deutsche und europäische Länder schwieriger. Die ESG-Vorgaben treiben die Kosten. © ESB Professional/Shutterstock.com

Ausgerechnet ein Hersteller von Kettensägen soll nachhaltig wirtschaften? Die Firma Stihl aus Waiblingen versucht sich daran. Dem Familienunternehmen geht es um mehr, als nur das ramponierte Image seiner Produkte zu verbessern. Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung treiben die Baden-Württemberger konsequent in allen Bereichen voran – zum Wohl des knapp 100-jährigen Unternehmens und des Planeten. Dabei ist ausgerechnet Brasilien der größte Einzelmarkt – ein Land, das exemplarisch für die Abholzung der Regenwälder steht. „Wir verurteilen illegalen Holzeinschlag, großflächige Brandrodungen oder Rodungen durch schweres Gerät – nicht nur in tropischen Regenwäldern. Wir engagieren uns weltweit für einen nachhaltigen Umgang mit der Ressource Wald“, betonen die Waiblinger. Zudem beteiligt sich das Unternehmen an Aufforstungsmaßnahmen in mehreren Ländern.

Wie viel das Unternehmen bereits in die Transformation gesteckt hat und noch investieren will, bleibt Firmengeheimnis. Auf jeden Fall rechnet es sich. Stihl punktet bei den Kunden offenbar weltweit mit seiner auf ökologische und soziale Verantwortung ausgerichteten Strategie. In den vergangenen Jahren liefen die Geschäfte prächtig. 2022 setzte das Unternehmen mit 20.000 Beschäftigten 5,5 Milliarden Euro um. 2019 waren es 3,9 Milliarden Euro. Von Wettbewerbsnachteil keine Spur. Eher das Gegenteil.

Stihl hat einiges getan: Nach eigenen Angaben arbeiten seit 2022 nahezu alle 42 Produktionsgesellschaften mit Strom aus regenerativen Quellen. Die Energie kommt teilweise von eigenen Blockheizkraftwerken, Windrädern und Solaranlagen. Bis 2030 will das Unternehmen den Einsatz fossiler Energieträger um 40 Prozent gegenüber 2019 senken. Verwendet werde in erster Linie Erdgas, aber auch Kraftstoffe. Mit mehr als über 100 Einzelmaßnahmen will das Unternehmen zudem die energieintensive Prozesswärme besser nutzen und den Verbrauch um 80 Prozent verringern.

Obwohl das Familienunternehmen in einem männerdominierten Markt aktiv ist, besteht der sechsköpfige Vorstand mit Ingrid Jägering (Finanzen), Sarah Gewert (Marketing) und Anke Kleinschmit (Forschung und Entwicklung) zur Hälfte aus Frauen. Das Team treibt auch auf der Produktseite die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit voran. Die Motorsägen, Rasenmäher und -trimmer, Laubbläser und Heckenschneider sollen zu 80 Prozent mit Elektromotoren laufen. In Waiblingen und Rumänien baut das Unternehmen deshalb neue Anlagen für E-Antriebe und Akkus. In den kommenden Jahren soll der Umsatzanteil dieser Produkte von 20 auf 80 Prozent steigen.

Das Beispiel Stihl belegt die These von Felix Zimmermann, der Unternehmen berät, die ESG-Vorgaben der EU umzusetzen. E steht für Umwelt (Environment), S für Soziales, G für Unternehmensführung (Governance). Der Freiburger Experte ist davon überzeugt, dass die Unternehmen schlagkräftiger aus diesem Häutungsprozess hervorgehen werden und so ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern können. Walter Sinn, Managing Partner beim Beratungskonzern Bain, erwartet sogar ein „Neues Made in Germany“, durch die entstehenden Innovationen. Grüne Transformation sein ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Der „Inflation Regulation Act (IRA)“ in den USA zeige, welchen Schub ein einfach gestricktes Programm auslösen könne.

Einfach? Das ist für die EU-Regeln womöglich nicht ganz das richtige Wort. Allein in Deutschland sind 15.000 Unternehmen von den Vorgaben aus Brüssel betroffen. In der EU sind es mehr als 50.000. Neben der seit 2022 geltenden EU-Taxonomie zählt unter anderem das Sorgfaltspflichtengesetz, auch Lieferkettengesetz genannt, sowie die Non-Financial Reporting Direktive dazu. Die CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) erweitert den Anwendungsbereich der EU-Taxonomie und erfordert von einem größeren Kreis von Unternehmen die Offenlegung von Informationen. Diese Anforderungen gelten für Firmen mit mindestens 250 Beschäftigten und einem Umsatz von 40 Millionen Euro oder einer Bilanzsumme von 20 Millionen Euro. Damit ist der Mittelstand voll betroffen. „Viele wissen nicht, wie sie das bewerkstelligen sollen“, sagt Christoph Münzer, Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbands Industrieller Unternehmen in Baden (WVBI).

Je kleiner die Firmen, desto größer die Probleme. Denn die EU-Regulierer machen keinen Unterschied. Die Regeln sind für alle gleich. Die Kleinen müssen ihrer Berichtspflicht lediglich ein Jahr später nachkommen als die Großen. Ab 2026 müssen sie aber auch ihr Wirken hinsichtlich Nachhaltigkeit, sozialer Verantwortung und gesellschaftlichem Engagement im Lagebericht nachweisen. „Das ist ein Konstruktionsfehler“, bemängelt Simon Fahrenholz, ESG-Experte bei der Beratungsgesellschaft EY. Es wäre sinnvoller gewesen, die Vorgaben nach Betriebsgröße zu staffeln.

Tatsächlich haben milliardenschwere Unternehmen wie Stihl weniger Mühe, die geforderten Informationen mit bereits bestehenden Prozesse zu erfassen, auszuwerten und darzulegen. Und dann auch umzusteuern. Kleinere Mittelständler müssen dazu jedoch neue Software beschaffen, Berater bezahlen und vor allem zusätzliche Stellen schaffen, um die Vorgaben erfüllen zu können. Das entpuppt sich außerhalb der großen Zentren als riesiges Problem, wie Fahrenholz bestätigt. Unternehmen auf dem Land müssen viel Geld und Extras auf den Tisch legen, um die begehrten Fachleute zu sich locken zu können. Somit werden dort die ESG-Vorgaben wesentlich teurer als in der Stadt. Statt zusätzlichem Personal könnte bestehendes eingesetzt werden – das dann aber für andere Aufgaben fehlt.

Land verliert gegen Stadt

Auch für große Betriebe wird es teuer. Bei ihnen sind nach den Beobachtungen der EY-Berater bis zu 40 zusätzliche Stellen nötig. Das sind Kosten, die nichts mit der Produktion zu tun haben und zu anderen Kosten dazukommen. Firmen vor allem außerhalb der EU, gerade in Regionen, die Klimaschutz und Nachhaltigkeit eher als nebensächlich ansehen, haben diese zusätzlichen Kosten nicht. Und so dürften deutsche und europäische Firmen es auf den internationalen Märkten schwerer haben.
Eine Möglichkeit, die Kosten zu senken, ist gemeinsamer Erfahrungsaustausch. Denn „Mittelständler können Netzwerke“, sagt Münzer vom Wirtschaftsverband WVBI. Dann muss nicht jede Firma die gleichen Fehler machen und alle kommen besser durch den ESG-Dschungel.

Der bremst nicht nur wegen der Kosten. „Die Unternehmen können den Euro nur einmal ausgeben“, stellt EY-Berater Fahrenholz fest. Um die bürokratischen Vorgaben erfüllen zu können, bleibe oft kein Geld übrig, um tatsächlich in bessere Produktionsverfahren oder Kilmaschutz investieren zu können. „Es ist ein Irrglaube, dass die Mittelständler gleichzeitig Reporting und die Dekarbonisierung finanzieren können“, sagt Fahrenholz. In anderen Worten: Die Betriebe stecken Ihr Geld ins Ausfüllen von Formularen, statt den Klimaschutz in der Praxis zu verbessern.

Der jährliche Kapitalbedarf für die Transformation der deutschen Wirtschaft wird auf 250 Milliarden Euro geschätzt. Finanziert werden muss das zu großen Teilen über Banken. Denen hat die EU mit der Taxonomie enge Grenzen gesetzt. So werden auch Darlehen mit einem CO2-Wert belastet. Jan-Philipp Gillmann, Europachef der Deutschen Bank, spricht von 38 Millionen Tonnen CO2, die auf das Konto von sogenannten Finance Emissions gehen. „Die wollen wir in den kommenden Jahren auf Null bringen.“ Entsprechend gehe man mit den Kunden in den Dialog.

Das hat Folgen: „Geld bekommen nur noch Unternehmen, die eine glaubwürdige Transformationsstrategie vorlegen können“, beschreibt Christoph Ricken, Vorstandsmitglied der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) den Kurs. Die Kreditprüfung sei dabei mit hohem Aufwand verbunden. Gerade bei mittelständischen Betrieben könne man die notwendigen Werte nur schwer ermitteln. Da müsse man sich mit Schätzungen behelfen. Sprich: Wer unklare Daten hat, muss mehr für den Kredit bezahlen. Und wieder geraten vor allem die kleinen Unternehmen ins ­Hintertreffen.

Die deutschen Unternehmer tröstet es dabei wenig, dass die EU-Kollegen von Finnland bis Zypern sich mit den gleichen Problemen herumschlagen müssen. Entscheidend ist der Wettbewerb aus dem Ausland, der nicht mit den europäischen Vorgaben konfrontiert ist. Bei etwa 10.000 Firmen, die ihren Sitz nicht in der EU haben, dort aber produzieren, ist die Konkurrenz nicht so dramatisch – sie müssen sich den Regeln unterwerfen.

Noch offen ist aber die Frage, wie stark die EU Waren aus Asien oder Nordamerika belastet, um einen Wettbewerbsnachteil auszugleichen. Vor allem in China und den USA sind die kleinteiligen europäischen Regeln eher egal. Der Anfang ist bereits gemacht. Von Oktober an müssen sich alle Unternehmen in der EU, die Eisen, Stahl, Zement, Aluminium, Elektrizität, Düngemittel, Wasserstoff sowie bestimmte vor- und nachgelagerte Produkte in reiner oder verarbeiteter Form aus Nicht-EU-Staaten einführen, bei den Behörden melden. Hier greift der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM), der für solche Importe dann eine CO2-Abgabe vorsieht. Das ist bei Rohstoffen noch überschaubar. Der Aluminiumanteil in einem Chrysler (USA), Kia (Südkorea) oder BYD (China) dürfte dagegen noch zu handelspolitischen Debatten führen.

Das erinnert an das Lieferkettengesetz, mit dem die Ampelregierung in Berlin in diesem Jahr vorgeprescht ist, statt zumindest auf eine EU-Regelung zu warten. Die Unternehmen warnen schon lange, das Gesetz sei kompliziert und erzeuge vor allem Bürokratie. Seit Jahresbeginn gilt es, die Unternehmen rügen unter anderem überbordenden Aufwand, den sie betreiben müssen, während die Konkurrenz aus dem Ausland, einschließlich der anderen EU-Staaten, verschont bleibt.

Inzwischen sieht sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gezwungen, das Gesetz abzuschwächen. Der Grünen-Politiker schlägt vor, Berichtspflichten aus dem nationalen Lieferkettengesetz so schnell wie möglich auszusetzen, damit die Firmen nur nach einheitlichem europäischem Recht berichten müssen. Es ist eine zaghafte erste Einsicht. Und sie kommt spät. Erst Ende August hatte das Bundeskabinett Eckpunkte für ein neues Gesetz beschlossen, das Unternehmen von Bürokratie entlasten soll. Sehr zum Unmut von Wirtschaftsverbänden war das Lieferkettengesetz dort mit keinem Wort erwähnt.

Kettensägenhersteller Stihl ficht das alles nur wenig an. Das Unternehmen hat sich früh um Transformation gekümmert und verdient jetzt daran.

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