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Energie & Rohstoffe > Nachhaltigkeit im Mittelstand

Was es für einen ESG-Bericht wirklich braucht

Ökologisch und sozial müssen Unternehmen sein sowie eine ordentliche Governance-Struktur nachweisen. Ein Blick auf die nachhaltigsten Mittelständler zeigt, wie komplex die Aufgabe ist und wie viele diese unterschätzen.

Stimmt die Qualität? Auf einem Feld zeigt Landwirt Olaf Wilkens Philip Luthardt (rechts) von der Bohlsener Mühle Bio-Quinoa.Bildquelle: Bohlsener Mühle

Kühe, die auf der weiten Wiese mit saftigem Gras stehen. Schweine, die nicht in Gitterboxen stecken, sondern sich frei bewegen können. Gemüse, das noch keine Pestizide an sich heranlassen musste: Wer mag sie nicht, die Welt der Biobauern? Und was ist sie uns wert? Oder vielmehr: Wie lässt sich ihr Wert überhaupt in Geld ausdrücken?

„Applaus macht noch keine zukunftsfähige Landwirtschaft“, sagt Philip Luthardt. Er leitet beim Biogetreide- und Hülsenfrüchteverarbeiter Bohlsener Mühle den Bereich Nachhaltigkeit. Das Unternehmen aus der Nähe von Uelzen in Niedersachsen arbeitet mit der sogenannten Regionalwert-Leistungsrechnung. Sie enthält „möglichst faire und langfristige Preise“ und berücksichtigt, „dass die Leistungen, die Landwirte zum Beispiel für den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit oder eines gesunden Wasserhaushalts erbringen, finanziell honoriert werden“, erläutert Luthardt. So werden die sozialen und ökologischen Gemeinwohlleistungen der Biolandwirte konkret in Zahlen ausgedrückt. Das Ziel: gerechtere Entlohnung bei nachhaltigerem Wirtschaften in der Landwirtschaft. Der Fall zeigt exemplarisch, wie schwierig Nachhaltigkeit oft ist – und wie schwer es ist, sie nachvollziehbar zu bewerten.

100 Prozent Bio als Pflicht

Wegen Konzepten wie diesem ist die Bohlsener Mühle in Deutschland in Sachen Nachhaltigkeit weit vorn. Seit mehr als 40 Jahren produziert das Unternehmen zu 100 Prozent Bio und ist als Händler nah an den Landwirten dran. Der Mittelständler vermarktet 20 Prozent unter eigenem Label und 80 Prozent für Kunden als Handelsmarke. Luthardt redet denn auch wie jemand, der morgens mit dem Biobauern auf dem Acker steht und nachmittags mit dem Alnatura-Chefeinkäufer verhandelt. „Wir erheben diese Zahlen und messen unseren Erfolg auch intern seit vielen Jahren daran“, sagt er. Inzwischen fragen auch Kunden Daten ab, oft für ihre eigenen Nachhaltigkeitsberichte.

Wer praktisch alle Biomarken großer Handelshäuser beliefert, muss sich zum Beispiel bereits seit fünf Jahren mit Dingen beschäftigen, die im Lieferkettengesetz stehen und so manchen Großbetrieb an den Rand der Verzweiflung bringen. „Ich habe, um ehrlich zu sein, geschmunzelt, dass das Thema Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz im Vorfeld so aufgeregt diskutiert wurde“, sagt Luthardt. „Wir wissen genau, wo 99 Prozent unserer Rohstoffe herkommen.“ Bei denen aus Deutschland und den Nachbarländern sowieso, aber auch bei denen aus Übersee. Die Bohlsener Mühle arbeitet dafür mit Zertifikaten, die von Dritten auditiert wurden. „Das auch transparent zu kommunizieren, bringt Mehrwert.“

Ein Ergebnis dieser Bemühungen: Die Bohlsener Mühle gehört zu den nachhaltigsten deutschen Mittelständlern 2023. Die Liste hat wie in den Jahren zuvor das Beratungshaus Munich Strategy ermittelt – keine leichte Aufgabe im Vergleich zu Rankings über börsennotierte Konzerne, die weitgehend offenlegen müssen, wie sie es mit ökologischen und sozialen Aspekten sowie guter Firmenführung (Environmental, Social, Governance – ESG) halten. „Wir können nur ESG-Leistungen messen, die auch für uns zugänglich sind“, sagt Barbara Siegert, Partnerin bei bei der auf den Mittelstand spezialisieren Beratung. Zu diesen Quellen gehören vor allem Nachhaltigkeitsberichte, Jahresabschlüsse oder eben Informationen auf Internetseiten, in Pressemitteilungen oder anderen Kommunikationskanälen.  Außerdem führen die Berater Interviews mit Experten sowie ESG-Verantwortlichen und Unternehmensinhabern. 

Es ist praktisch unmöglich, so die gesamte Unternehmenswelt abzubilden, einen Vollständigkeitsanspruch hat das Ranking also nicht. „Uns ist wichtig, dass das Endergebnis in einem Punktesystem nach eindeutig festgelegten und vor allem vergleichbaren Kriterien berechnet wird“, sagt Siegert. Der Score setzt sich aus drei Kriterien zusammen. Da ist die ESG-Dokumentation, deren Umfang sowie Aussagekraft der Berichterstattung bewertet werden und inwieweit Ziele klar definiert sind. Dann fließt ein, wie ein Unternehmen die Nachhaltigkeitsziele umsetzt. Dies gilt etwa für CO2-Einsparungen. Zuletzt wird die berücksichtigt, wie die Öffentlichkeit die Firma im Hinblick auf Nachhaltigkeit wahrnimmt – nicht zuletzt anhand von Auszeichnungen und anderen Rankings.

Die Bandbreite der Topplatzierten ist im Hinblick auf Branchenvielfalt und Unternehmensgröße enorm. Allein bei den besten fünf sind Umsätze von 50 Millionen bis 500 Millionen Euro dabei. Elobau aus der Sensortechnik, Rapunzel aus dem Bereich Nahrungsmittel, der Baustoffproduzent Steico, Aixtron aus dem Maschinen- und Anlagenbau und eben die Bohlsener Mühle auf Platz 5. Ein großer Aufsteiger war in diesem Jahr Südpack mit dem Sprung von Rang 36 auf Platz 10 – weil das Unternehmen „ein absoluter Pionier im Bereich recyclingfähiger Folien und nachhaltiger Verpackungslösungen ist“, sagt Siegert von Munich Partner. „Aber nicht nur die Produktleistung ist nachhaltig, sondern auch in der Unternehmensführung, den Prozessen sowie in seinem sozialen Engagement ist das Unternehmen ein absoluter ESG-Vorreiter.“ Das gilt auch für Steico, das ökologische Holzfaserdämmstoffe herstellt und sich zudem in der nachhaltigen Forstwirtschaft engagiert. Der Betrieb setzt CO2-neutrale Biomasse als Energieträger in der Produktion ein und berichtet seit 2018 kontinuierlich im Nachhaltigkeitsbericht über die Fortschritte in der Umsetzung.

Dass relativ viele Topplatzierte aus der Nahrungsmittelbranche kommen, ist für Fachleute nicht verwunderlich. Wer von Haus aus nah an den Themen Natur, Landwirtschaft und Gesundheit dran ist, hat einen kurzen Weg zu ESG-Berichtspflichten, auch weil Kunden seit jeher spezielle Ansprüche haben. „Nachhaltigkeit dient hier als ein sehr wichtiges Positionierungsmerkmal für die Unternehmen“, meint Siegert. Rapunzel sei so ein Beispiel, denn das Unternehmen verfolge neben dem Thema ökologischer Landbau „generell die Vision, eine gesündere und gerechtere Welt aufzubauen“.

Maschinenbauer gut platziert

Besondere Maßnahmen sind neben Solarmodulen auf den Dächern umweltfreundliche Verpackungen, grüne Logistik und Biodiversität. Dann setzt sich Rapunzel zusätzlich für Gesellschaft und Umwelt ein, beispielsweise mit einem Hand-in-Hand-Fonds für ökologische und soziale Projekte in Afrika. Das geht weit darüber hinaus, natürliche Nahrungsmittel anzubieten. 

Eher überraschend ist, dass es so viele gut platzierte Maschinen- und Anlagenbauer gibt, schließlich wird die Branche mit höherem CO2-Ausstoß und kritischem Energieverbrauch in Zusammenhang gebracht. Ein positives Beispiel ist Aixtron, das auf Strom aus erneuerbaren Energien setzt und CO2-Klimaschutzprojekte in Südamerika sowie Afrika unterstützt.

Bei all der Branchenvielfalt gibt es Gemeinsamkeiten: „Für die 50 Topplatzierten ist Nachhaltigkeit ein zentraler Bestandteil der Unternehmensstrategie geworden, im Kern des Unternehmens verankert“, sagt Siegert von Munich Strategy. Heißt: ESG-Ziele sind eng mit den Werten und dem Leitbild des Unternehmens, aber eben auch mit den Unternehmenszielen verknüpft. Über die Nachhaltigkeitsbemühungen werde detailliert und transparent berichtet inklusive der Frage, was sich konkret verändert hat im Vergleich zum vergangenen Jahr. Ein zweiter Punkt sei, dass Nachhaltigkeit inzwischen als wesentliches Merkmal zur Differenzierung dient und auch genutzt wird. Und das nicht nur in Richtung Kunden, sondern auch in Hinblick auf aktuelle und potenzielle Mitarbeiter, Lieferanten, strategische Partner und die Finanzindustrie. „Und vor allem sind E, S und G in die Balance gekommen. Nachhaltigkeit ist für die Top 50 inzwischen mehr als nur das Einsparen von CO2, so relevant wie dieser Wert auch ist“, sagt Siegert. Neben Ökologie haben vor allem Soziales und die Unternehmensführung an Bedeutung gewonnen.

Loyalität der Beschäftigten steigt

Dann ist da der Effekt auf die Beschäftigten. „Uns erreichen seit Veröffentlichung des Rankings sehr viele E-Mails und Posts von Mitarbeitern aus den Unternehmen“, sagt Siegert. „Was wir spüren, ist vor allem Stolz und Bestätigung für ja so manche extra Meile, die Mitarbeiter gehen mussten.“ Erfolge wirken dann als Ansporn, darüber nachzudenken, was man tun kann, um noch besser zu werden. „Eine starke ESG-Positionierung wirkt sich sehr positiv auf die Mitarbeiterloyalität und auch die Identifikation mit dem Unternehmen aus.“

Eine Erfahrung, die Philip Luthardt von der Bohlsener Mühle bestätigen kann. Er gehört zu den ersten, die hierzulande Nachhaltigkeitswissenschaften studiert haben und weiß: „Wir sind gerade extrem gefragt, es gibt zu wenige mit unserer ganzheitlichen Qualifikation.“ Seit 2016 ist er bei der Bohlsener Mühle für Nachhaltigkeit verantwortlich. Früher ging es stärker um das Handeln und darum, eng mit dem Marketing und der Kommunikation zusammenzuarbeiten. Das gebe es immer noch, aber heute sei die Rechtsabteilung der häufigste Ansprechpartner. Compliance wurde angesichts der vielen Regeln wichtiger. „Das macht vielleicht nicht immer große Freude, aber unsereins hat nun mehr strategische Bedeutung“, sagt er.

Nachhaltigkeit in einem Unternehmen umzusetzen sei stärker von Daten getrieben als früher, was Luthardt gut findet. „Der Hebel wird größer, der Aufwand allerdings auch. Ich bin davon überzeugt, dass die Unternehmen für diese Themen mehr Personal einstellen müssen, damit sich die Leute da reindenken können. Und sie müssen mit den entsprechenden Befugnissen ausgestattet werden. Daher hat sie bei uns auch den Rang einer Bereichsleitung und nicht mehr nur einer Stabsstelle“, sagt der Spezialist. „Wer das nicht klarmacht, kämpft bei ESG immer mit einem stumpfen Schwert gegen die vielen anderen Anforderung in einem Unternehmen.“

Für ihn ist die ESG-Berichtspflicht auch eine Frage der Mentalität: „Man kann so lange wie möglich warten und dann immer nur das beantworten, was der Staat von einem verlangt. Oder man denkt sich: Der Staat macht das ja nicht, um mich zu ärgern, und nutzt die Berichtspflicht zur strategischen Weiterentwicklung des Unternehmens.“ Es gebe zahlreiche blinde Flecken in jedem Unternehmen – und die finde man nur durch ein umfangreiches Reporting.

Beispiel Energieverbrauch. Er ist seit jeher wichtig für Unternehmen, schließlich steckt da bares Geld dahinter. Aber wie viel CO2 in der Produktion und in der gesamten Lieferkette emittiert werde, habe lange Zeit kaum eine Rolle gespielt, sagt Luthardt. Allein diese Daten transparent zu machen, bewirke schon viel. Es gilt aber auch: „Bei der Berichtspflicht kommt nun ein Riesenaufwand durch die Erfassung der verlangten Daten auf uns zu – auch wenn wir schon viele Maßnahmen umsetzen. Durch die Pflicht wird Greenwashing aber auch deutlich schwieriger. So zumindest meine Hoffnung!“

Damit ein ordentlicher ESG-Bericht überhaupt möglich wird, sind unter anderem intensive Gespräche mit dem Einkauf nötig. Es gilt maximale Transparenz darüber herzustellen, wo Rohstoffe und andere Vorleistungen herkommen. Oder ob sie zertifiziert sind. „Selbst, wenn es die Daten vorher gab, sie haben niemanden interessiert“, sagt Luthardt. „Der Einkauf war bei uns zu Beginn dieses Prozesses nicht gerade glücklich. Dessen Job war wegen der Preis-, Qualitäts- und Bioanforderungen unserer Kunden vorher schon schwer genug. Mittlerweile hat sich das aber gedreht.“
Noch ist im Mittelstand alles rund um ESG freiwillig. Von 2024 an sind ESG-Berichte für Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern Pflicht. Was dort stehen soll, kann sich durchaus von dem unterscheiden, was in Rankings wie dem von Munich Strategy eine Rolle spielt. „Dann ist das schon was anderes, ob ich etwas freiwillig mache und zu bestimmten Zielen, die ich mir selbst auswähle, Berichte verfasse oder ob ich einen ganzen Katalog von Richtlinien bearbeiten und nach den gesetzlichen Vorschriften abgeben muss“, meint Beraterin Siegert. Handeln allein reicht nicht mehr.

Die ESG-Berichte sind mit hohem Aufwand verbunden, gerade für den Mittelstand. Personal mit dem richtigen Wissen ist nötig. Das alles kostet auch Geld. „Aber neben den gesetzlichen Vorschriften sind klar definierte Ziele und eine kontinuierliche Zielverfolgung die wichtigsten Punkte, die in der Dokumentation zu beachten sind“, sagt Siegert. Gutes tun und drüber berichten, das ist dann die Kunst des Mittelstandes.

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