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Zukunftsmärkte > Cannabis-Legalisierung

Plötzlich mitten im Wettbewerb

In Deutschland könnte Cannabis legal werden. Cansativa hat bislang das Monopol für diesen noch streng regulierten Markt. Die hessischen Unternehmer planen den Aufbruch.

Deutschland im Rauschzustand? Wer einen Blick auf ein Vorhaben der Koalitionäre wirft, könnte zu diesem Schluss kommen: Bei allen Differenzen zwischen SPD, Grünen und FDP sind sie sich in einem Punkt einig: Die Drogenpolitik der vorherigen Regierungen ist gescheitert. Jetzt soll sich grundsätzlich etwas ändern. Eine Legalisierung von Cannabis können sich alle gut vorstellen. Die SPD hatte einen entsprechenden Absatz in letzter Minute ins Wahlprogramm hineingeschrieben und ist zumindest bereit, darüber nachzudenken. So viel politische Einigkeit lässt die Industrie aufhorchen: Die Aktien der Cannabisfirmen steigen wieder und traditionelle Agrarkonzerne strecken ihre Fühler aus, um sich auf den Hanfanbau vorzubereiten. Mittendrin im Trubel: ein deutscher Mittelständler.

Benedikt Sons leitet gemeinsam mit seinem Bruder das Unternehmen Cansativa im hessischen Mörfelden-Walldorf. Sie sind die einzigen deutschen Großhändler, die offiziell mit medizinischem Cannabis aus Deutschland handeln. Seit die Wahlsieger der Bundestagswahl feststehen, bleibt bei den Hessen kein Stein auf dem anderen. Mit der Beschaulichkeit des Unternehmens ist es jedenfalls vorbei: Aus 20 Mitarbeitern, so rechnet Sons vor, können innerhalb der nächsten Monate schnell 100 werden. Marketing, Vertrieb – alles muss wachsen, eine Personalabteilung wird nötig und die IT muss auch mitspielen. Am besten wäre es, erst einmal eine Tüte zu rauchen, bevor die Mammutaufgabe in Angriff genommen wird – aber so einer ist Sons nicht. "Ich habe keine nennenswerten Vorerfahrungen, was Cannabis angeht", sagt er. Angesichts der möglicherweise bevorstehenden Legalisierung verspüre er allenfalls eine "gewisse Neugier".

Vielversprechende Steuerquelle

Dafür weiß Sons wie wahrscheinlich kein Zweiter in Deutschland über den Markt Bescheid. Zwölf bis 15 Tonnen medizinisches Cannabis werden pro Jahr hierzulande verarbeitet, ein Drittel davon besorgt Cansativa. Daneben gibt es einen Schwarzmarkt, den Sons auf mehr als 200 Tonnen im Jahr schätzt. Den Politikern geht es darum, diesen Markt auszutrocknen – oder besser: ihn zu kontrollieren. Denn allen Beteiligten ist klar, dass frei verfügbares Cannabis eine vielversprechende Steuerquelle für den Staat darstellen wird.

Das Institut für Therapieforschung schätzt, dass rund vier Millionen Deutsche Cannabis als regelmäßiges Genussmittel konsumieren – Tendenz steigend. Cannabiskonsum ist damit keine
Randerscheinung. Die FDP stellt fest: "Die Repressionspolitik der Großen Koalition in Bezug auf Cannabis als Genussmittel ist in Deutschland gescheitert." Ihre Forderung: Erwachsene sollen bis zu 15 Gramm Cannabis in Apotheken und lizenzierten Geschäften kaufen dürfen. Ähnlich klingt es bei den Grünen. Ein Cannabiskontrollgesetz soll das bestehende Verbot ersetzen und einen legalen Verkauf "in Fachgeschäften" ermöglichen. Es soll Regeln für Anbau, Besitz, Handel und Konsum enthalten.

"Die Sonne scheint"

Anderswo geht es längst liberaler zu. In den USA legalisieren immer mehr Bundesstaaten den Anbau von Hanf und den Verkauf von Cannabis nicht nur zu therapeutischen, sondern auch zu Genusszwecken. Die Aktien der Agrarfirmen, die hinter diesen Produkten stehen, erfreuen sich an der Börse einiger Beliebtheit. Die sich ankündigende Liberalisierung in Deutschland, immer noch einer der größten Volkswirtschaften der Welt, verleiht den Aktien einen weiteren Schub. "Die Goldenen Zwanziger sind da", sagt Ben Kovler. "Es ist eine beispiellose Nachfrage und wir machen das Angebot." Kovler ist Gründer und CEO von Green Thumb Industries mit Sitz in Chicago, einem Cannabisunternehmen mit Niederlassungen in zwölf US-Bundesstaaten. Wenn auch noch die Deutschen kommen, ist Kovler künftig möglicherweise ein Konkurrent von Sons. Während der Pandemie hat Green Thumb, wie die gesamte Cannabisindustrie, einen Rekordkonsum feststellen können: Die Amerikaner kauften 2020 Stoff im Wert von 17,5 Milliarden Dollar, was einem Anstieg von 46 Prozent zu 2019 entspricht. "Die Sonne scheint", beschreibt es Kovler. "Die Leute sehen Freunde, die sie schon lange nicht mehr gesehen haben, die aus der Pandemie kommen. Cannabis entwickelt den amerikanischen Traum weiter."

Der deutsche Traum geht etwas anders. Sons, von Haus aus Wirtschaftsingenieur, rechnet damit, dass Deutsche 30 bis 40 Gramm pro Monat bei lizenzierten Händlern kaufen können. Cansativa will in diesen Markt hineinwachsen und hat sich Kreditlinien im siebenstelligen Bereich bei der Hausbank gesichert und weitere Millionen von US-Risikokapitalgebern eingesammelt. Durch die Legalisierung werde der Markt über das jetzige Volumen, zu dem auch der Schwarzmarkt gehört, weiterwachsen, glaubt Sons. Ob es bei ihnen bald Utensilien für den Eigenanbau gebe? Sons schüttelt den Kopf: Schnaps werde ja auch nicht zu Hause gebrannt, sagt er. Wenn alles gut gehe, könne man Cansativa irgendwann an der Börse finden. Aber das ist, Stand heute, Zukunftsmusik.

Nicht so jenseits des Atlantiks. Die Aktien der Cannabisanbieter sind angesichts dieser erfreulichen Aussichten gefragt – aber es trennt sich auf dem Kapitalmarkt gerade die Spreu vom Weizen. Nach einem ersten Boom vor drei Jahren, bei dem Kurse wie der des Herstellers Canopy Growth um 330 Prozent explodierten, kam, was bei einer Blase kommen muss: Sie platzte. Vom Absturz hat sich bisher noch kein Anbieter komplett erholt, was auch daran liegt, dass angesichts schnell wachsender Anbauflächen mehr Ware auf den Markt kommt, was den Preis drückt.Dennoch strecken erste europäische Firmen aus der Tabak-, Getränke- und Agrarbranche ihre Fühler aus. British American Tobacco (BAT) aus London, einer der größten Zigarettenkonzerne der Welt, hat jüngst für noch bescheidene 176,6 Millionen Dollar den Einstieg bei OrganiGram gewagt, einem Unternehmen, das auf Cannabis setzt. Der Schweizer Pflanzenschutz- und Saatguthersteller Syngenta hat nach Auskunft des Fachblatts Hemp Industry Daily seine Lobbyarbeit zum Thema Hanf begonnen. Firmenvertreter sagten, sie seien besonders daran interessiert, dass die US-Umweltschutzbehörde Registrierungen für Pestizide erteilt, die bei Hanf verwendet werden können. Syngenta ist in Sachen Pflanzenschutz ein bedeutender Konkurrent von Bayer in Leverkusen, für die das Thema Umgang mit Cannabis damit auch näherrückt. Es könnte also sein, dass Sons bald keine ganz bequeme Monopolstellung mehr hat. Er reagiert darauf, wie ein waschechter Unternehmer eben reagiert und sagt: "Wir scheuen den Wettbewerb nicht."

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