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Zukunftsmärkte > EY-Studie

Schere geht immer weiter auseinander

In der deutschen Autoindustrie geht die Schere zwischen Hersteller und Zulieferer immer weiter auseinander. Insgesamt wurde im vergangenen Jahr am Automobilstandort Deutschland mehr Umsatz erwirtschaftet als je zuvor.

Die deutsche Autoindustrie: Zwischen Rekordumsätzen und wachsender Kluft zwischen Herstellern und Zulieferern. Bildnachweis: picture alliance / SZ Photo | Florian Peljak

Damit scheinen die Produktionsengpässe aus der Pandemie überwunden zu sein. So steigerten die bei uns ansässigen Autohersteller und -zulieferer steigerten ihre hierzulande erwirtschafteten Umsätze um zehn Prozent auf 558 Milliarden Euro. Dabei schnitten die Autohersteller mit einem Umsatzwachstum von elf Prozent erneut besser ab als die Zulieferer, die ein Plus von neun Prozent verzeichneten. Vor allem im zehn-Jahres-Vergleich zeigt sich, wie weit die Schere zwischen den Autokonzernen und deren Umfeld auseinandergeht: Seit 2014 stieg der Umsatz der Zulieferer in Deutschland um 25 Prozent, während die Hersteller mehr als doppelt so stark – um 59 Prozent – zulegten. Das geht aus einer Untersuchung der Beratungsgesellschaft EY in Stuttgart hervor.

Die Beschäftigungssituation hat sich trotz der positiven Umsatzentwicklung zuletzt allerdings kaum verbessert: Zwar stieg der in Deutschland in der Branche die Zahl der Mitarbeiter um 0,7 Prozent auf etwa 780.000. Damit endete der Negativtrend der vorangegangenen vier Jahre. Allerdings liegt die Beschäftigung immer noch deutlich unter dem Höchststand des Jahres 2018, als 834.000 Menschen für die Automobilhersteller und deren Zulieferer in Deutschland tätig waren. Im Umfeld der Konzerne ging auch 2023 die Beschäftigung um 0,2 Prozent) zurück. Insgesamt zählen die Zulieferer 7,5 Prozent weniger Mitarbeiter als noch vor zehn Jahren. Im gleichen Zeitraum stieg die Beschäftigung bei den Herstellern um 4,3 Prozent. Basis der EY-Studie sind die nur in Deutschland tätige Betriebe ab einer Größe von 50 Mitarbeitern.

Luft für Zulieferer immer dünner

„Auf den ersten Blick war das vergangene Jahr nicht schlecht für die deutsche Autoindustrie“, erklärt Constantin M. Gall, Managing Partner und Leiter Mobility bei EY für die Region Europe West. „Die Rekordumsätze sind allerdings auch ein Ergebnis der hohen Inflation und stark gestiegener Einkaufs- und Materialpreise. Unterm Strich sorgten gerade die hohen Energie- und gestiegene Lohnkosten bei vielen Unternehmen für eine rückläufige Marge.“  Das gelte vor allem für die Zulieferer, für die die Luft immer dünner werde. Gall sieht auch wenig Hoffnung für eine Verbesserung der Lage. Im Gegenteil: „Der Konjunkturmotor stottert, der Neuwagenabsatz hat längst noch nicht das Vorkrisenniveau erreicht. Überkapazitäten und neue Rabattschlachten sind die Folge“, so der EY-Experte. Die größten Produktionsstandorte in Deutschland sind derzeit Bayern und Baden-Württemberg, wo Mitte vergangenen Jahres knapp 250.000 bzw. gut 225.000 Menschen in der Autoindustrie beschäftigt waren. Die größte Rolle für den Arbeitsmarkt im jeweiligen Bundesland spielt die Autoindustrie aber im Saarland: Dort arbeiten fast sechs Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bei einem Autohersteller oder -zulieferer. In Baden-Württemberg und Niedersachsen liegt der Anteil bei 4,6 bzw. 4,4 Prozent.
Der stockende Hochlauf der Elektromobilität verschärft zusätzlich die Lage der Zulieferer. Die Unternehmen haben in den vergangenen Jahren hohe Summen in die Transformation Ihrer Betriebe investiert. „Wer als Zulieferer zukunftsfähig sein möchte, muss massiv in neue Technologien und investieren. Gleichzeitig werden im Elektrosegment bei weitem nicht die erwarteten und benötigten Stückzahlen erreicht. Das kostet die Branche aktuell sehr viel Geld und drückt auf die Marge“, erklärt Gall. Tatsächlich bräuchten die Zulieferer Gewinnquoten zwischen sechs und acht Prozent, um die Kosten der Transformation stemmen zu können. Davon sind selbst große Konzerne wie Bosch, ZF oder Mahle weit entfernt. Der EY-Experte sieht deshalb viele Zulieferer mit dem Rücken zur Wand: „Es knirscht an allen Ecken und Ende, und es macht sich Unsicherheit breit. Denn noch gelten die ambitionierten Ziele der EU die ein Verbot für Verbrennermotoren ab 2035 vorsehen. Doch die Rufe nach einem Aufweichen der Ziele werden immer lauter.

Neue Sparmaßnahmen – Beschäftigung wird sinken

Angesichts der erheblichen Unsicherheiten, mit denen sich die Unternehmen konfrontiert sehen, rechnet Gall deshalb mit einer weiteren Konsolidierung und einem Beschäftigungsabbau im laufenden Jahr. „Zuletzt ist die Beschäftigung leicht gestiegen, was vor allem auf Aufbau an Software-Kompetenzen zurückzuführen ist. Der langfristige Trend zeigt aber klar nach unten. Viele großen Unternehmen setzen auf Kostensenkungsprogramme und Stellenabbau. Zuletzt wurden Einschnitte bei Bosch, ZF, Michelin, Continental und Webasto bekannt. Weitere Kostensenkungen sollen mit zunehmendem Einsatz von Künstlicher Intelligenz einbringen. Langfristig rechnet die Branche mit deutlich kleineren Belegschaften, weil die Herstellung von Elektromobilen weniger personalintensiv ist. „Das wird unausweichlich zu einer niedrigeren Beschäftigung am Standort Deutschland führen“, so Gall.

Gefährlicher Nationalisierungstrend

Wichtige Wachstumsimpulse kamen zuletzt vom Export: Die Exporte von Fahrzeugen und -teilen stiegen 2023 um zehn Prozent, nachdem sie im Vorjahr bereits um 16 Prozent zugelegt hatten. Die beiden wichtigsten Exportmärkte schwächelten allerdings: Die Ausfuhren in die Vereinigten Staaten lagen nur minimal über denen des Vorjahres, die Exporte nach China brachen sogar um 18 Prozent ein. „Die Situation in diesen Märkten ist schwierig“, so der EY-Experte. Als Gründe nennt er die aktuellen geopolitischen Spannungen, einer gewissen Abschottung Chinas sowie die anstehenden Wahlen in den USA. „Insgesamt sehen wir zunehmend Nationalisierungstendenzen, die für unsere stark exportorientierte Autoindustrie ein echtes Risiko darstellen“, so Gall. Wesentliche Zukunftsinvestitionen würden deshalb zunehmend außerhalb Deutschlands getätigt, warnt er. Positiv entwickelten sich hingegen zuletzt die Ausfuhren in europäische Länder: Die Exporte in Länder der Eurozone legten im vergangenen Jahr um 21 Prozent zu und damit mehr als dreimal so stark wie die Ausfuhren ins sonstige Ausland, die nur um sechs Prozent stiegen.
 

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