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Einkauf, Marketing und Marken > Simon Thun im Interview

„Die Rolle von Marken hat sich spürbar verändert“

Simon Thun von Interbrand über die Frage, warum die eigene Marke als Steuerungsinstrument oft falsch eingesetzt wird.

ZAPOROZHYE, UKRAINE - DECEMBER 20, 2017: Photo of a logotype collection of well-known world brand's printed on paper. Include Coca-Cola, Canon, Pepsi, Twitter, Apple and more others logo.

Das Gespräch führte Thorsten Giersch.

Kaum eine Führungskraft würde wohl behaupten, dass der Wert der Marke des Unternehmens unwichtig ist. Aber in der Ära der Hidden Champions war es bei Tausenden Betrieben üblich, eher im Verborgenen zu arbeiten. Man musste nicht zu viel Zeit und Geld in die Außenwahrnehmung stecken, die Kunden kannten einen ja schließlich gut genug. In Zeiten des Fachkräftemangels ändert sich dies nun spürbar. Zudem verändert der Druck zum nachhaltigen Wirtschaften auch die Wahrnehmung der eigenen Marke. Wo der Mittelstand konkret Aufholbedarf hat, wie und was zu tun ist, erläutert Simon Thun, der seit 2017 beim Beratungshaus Interbrand die Regionen Zentral- und Ostereuropa leitet und global als Chief Client Officer fungiert.

Was zeichnet eine gute Marke aus?
Eine gute Marke zeichnet sich durch zwei Aspekte aus: Ihre Positionierung und die tagtägliche Markenführung. Den ersten Teil bedienen viele der Mittelständler bereits sehr gut: Sie verstehen den Wert ihrer Marke und was ihnen eine klare Positionierung bringt. Bei der Markenführung sehen wir im Mittelstand aber noch großes Potenzial – also dafür zu sorgen, dass jeder Mitarbeiter, der einen direkten oder indirekten Einfluss auf Markenerlebnisse hat, auch weiß, was hier im Sinne der Markenpositionierung zu tun ist. Hier ist es für diese Marken besonders spannend, sich beispielsweise mit Markenrankings wie unseren Best Global Brands und den Erkenntnissen aus diesen Studien auseinanderzusetzen. Denn die großen Player wie Apple, Amazon oder Google machen vor, wie strategische Markenführung erfolgreich umgesetzt werden kann.

Inwiefern?
Eine zentrale Erkenntnis unserer Studien der vergangenen Jahre ist zum Beispiel, dass die Kundenerwartungen sowohl im B2B- als auch B2C-Bereich sehr stark von globalen Topmarken geprägt werden. Denn Kunden übertragen beispielsweise Erfahrungen mit der herausragenden Convenience, die Amazon bietet oder der nahtlosen Konnektivität von Apple-Geräten auch auf Marken aus ganz anderen Industrien. Frei nach dem Motto: Wenn die das können, wieso könnt ihr das nicht auch?

Das bedeutet?
Auch der Mittelstand muss sich damit arrangieren, dass der Druck steigt, wenn die Innovationskraft der erfolgreichsten Marken der Welt zunimmt. Sie müssen verstehen, in welche Richtungen sich Markenerlebnisse und damit Kundenerwartungen entwickeln. Welche Strategien funktionieren und welche Stellhebel sie selbst haben. Dieser Ansatz ist, was notwendig ist, um eine Marke zielgerichtet zu führen und strategisch für Wachstum einzusetzen.

Was machen viele falsch?
Viele Unternehmen sind sich nicht klar genug darüber, wo sie mit ihrer Marke hinwollen und welchen konkreten Beitrag ihre Marke zur Erreichung ihrer Unternehmensziele leisten kann. Zu oft wird Marke ausschließlich als Kommunikationsinstrument gesehen und nicht als Asset zur Unternehmensführung. Der erste Schritt sollte immer sein, dass eine konkrete Ambition für das Unternehmen entwickelt wird, in der wir klar und erreichbar definieren, wo das Unternehmen in drei, fünf, oder zehn Jahren stehen soll. Davon lässt sich ableiten, welche Schritte in welcher Reihenfolge durchlaufen werden müssen, um dieses Ziel zu erreichen und wie sich die Marke entwickeln muss, um konsistent und kohärent diesen Prozess unterstützen zu können.

Ihr Ranking „Best Global Brands“ kam Ende 2023 heraus. Was sind Ihre zentralen Erkenntnisse?
Über die genauen Ergebnisse können wir vorab natürlich nicht allzu viel verraten. Was wir allerdings in den vergangenen Jahren bereits beobachtet haben ist, dass sich die Rolle der Marke zuletzt spürbar verändert hat. Die weltweit erfolgreichsten Unternehmen kreieren immer häufiger Ökosysteme um ihre Marken herum und nutzen dabei strategische Partnerschaften, neue Technologien, Produkte oder Services sowie digitale und physische Markenerlebnisse, um ein ganzheitlicheres Portfolio anbieten zu können. Das Ziel ist, die positiven Eigenschaften ihrer starken Marken auf viele und neue Geschäftsfelder zu übertragen und so eine noch größere Rolle im Leben ihrer Kunden spielen zu können. Dabei richten sie sich vor allem danach, welche Bedürfnisse ihrer Kunden sie mit Produkten unter ihrer Marke sinnvoll befriedigen können. Wir beobachten also eine Umkehr der produktgetriebenen Markenlogik hin zu einer markenzentrierten Portfoliostrategie.

Wie steht es um die deutschen Marken im internationalen Vergleich?
Die deutschen Marken haben sich in den vergangenen Jahren im internationalen Vergleich immer sehr gut geschlagen und sind konstant gewachsen. Gerade die deutschen Automobilhersteller, angeführt von Mercedes als einzige europäische Marke in den Top 10, sind hier ein starkes Zugpferd. Aber auch Allianz, Siemens oder Adidas haben zuletzt stark abgeschnitten und sind beispielsweise im vergangenen Jahr mit 19 Prozent oder mehr gewachsen.

Wie lässt sich der Wert einer Marke überhaupt messen?
Unsere Markenbewertungsmethode besteht aus drei Dimensionen: Der Rolle, welche die Marke für die Kaufentscheidungen der Kunden spielt, der prognostizierten Geschäftsentwicklung, also den zu erwartenden Umsatz- und Ertragszahlen sowie der Markenstärke, die wir auf insgesamt zehn verschiedenen internen und externen Faktoren messen. Durch diese Kombination können wir beispielsweise konkret analysieren, welche einzelnen Faktoren von Markenstärke ausschlaggebend für den Erfolg der am stärksten wachsenden Marken sind. Im vergangenen Jahr waren das beispielsweise vor allem interne Leadership-Faktoren, was noch einmal ganz klar belegt, dass Marke mehr ist als nur ein Kommunikationsinstrument.

Was beinhalten die?
Die Leadership-Dimensionen untersuchen konkret, wie gut ein Unternehmen intern abgestimmt ist, wie systematisch auf sich verändernde Kundenerwartungen reagiert werden kann und wie klar etwa internen Stakeholdern die Ambition der Marke und ihr Beitrag zum Erreichen dieses Ziels ist. Marken, die besonders gut auf diesen Faktoren abschneiden, zeichnen sich also dadurch aus, dass sie besonders klar und strategisch geführt werden und über die gesamte Organisation hinweg ein gemeinsames Markenverständnis etabliert und verankert haben.

Wie viele Betriebe wissen wirklich, wie es um ihre Marke bestellt ist?
Die meisten Unternehmen haben grundsätzlich schon ein gutes Verständnis dafür, wie ihre eigene Marke dasteht. Ich würde es allerdings, wie erwähnt, einschränken: Viele beschränken sich mit Blick auf die Marke noch auf ein reines Kommunikationsinstrument. Das ist verständlich, immerhin ist das die Denkweise, mit der Marken über viele Jahre erfolgreich gemanagt wurden. Die Anforderungen an Marken und die Art und Weise, wie gerade die globalen Topmarken agieren, haben sich allerdings spürbar verändert.

Was bedeutet das im Umkehrschluss?
Um nachhaltig erfolgreich sein zu können, muss Marke als strategisches Steuerungsinstrument eingesetzt werden, das die Grundlage für alle Erlebnisse bildet, die man kreiert. Das passiert aber eben nicht nur über Kommunikation, sondern auch über Produkte und Services. Das kann dann so weit gehen, dass Marke als Kern der unternehmensstrategischen Ausrichtung verstanden wird: Hier spielen auch übergeordnete Fragen eine Rolle, wie zum Beispiel: „Wer sind richtige Akquisepartner?“ – auch aus einer Kundenwahrnehmungsperspektive betrachtet. Dies ist ein Ansatz, den wir im Mittelstand noch kaum beobachten.

Was meinen Sie damit konkret?
Es steckt vor allem erst mal die Erkenntnis dahinter, nicht mehr primär aus der Perspektive des Unternehmens zu denken, sondern ganz klar die Kundenperspektive einzunehmen. Das heißt, zu reflektieren, wie Kunden mit der Marke interagieren. Wie erleben sie meine Marke durch Kommunikation, aber auch durch die Produkte, die Services, die Kundenkontaktpunkte. Wie interagieren sie mit Mitarbeitern und wie beeinflusst deren Verhalten die Markenerlebnisse? Es ist also eine ganze Reihe verschiedener Einflussfaktoren. Das Entscheidende ist, die Marke so einzusetzen, dass sie diese Aspekte orchestrieren kann und so die Wahrnehmung beim Kunden zu erreichen, die man anstrebt.

So mancher Mittelständler hat vielleicht nicht die finanziellen, zeitlichen und personellen Ressourcen für eine optimale Markenpflege.
Klar, wenn man Marke eng mit Kommunikation und somit mit Dimensionen wie Bekanntheit verknüpft, bekommen viele einen Schreck. Denn viele verbinden damit: Ich muss ganz viel Geld in die Hand nehmen, damit Leute mich kennen. Das ist aber nicht immer der Fall. Wenn man Marke als Steuerungsinstrument begreift und in Richtung einer klaren Ambition arbeitet, kann man sehr genau fokussieren und ganz klar entschieden, wofür Geld ausgegeben werden muss und wofür nicht. Und Bekanntheit und damit große Media-Budgets sind dabei nicht immer zwangsläufig der erste Punkt auf der To-do-Liste.

Wie läuft der Prozess ab, wenn Sie Unternehmen beraten?
Es gilt immer erst einmal zu klären, was die Businessziele des Unternehmens sind. Wo wollt ihr hin, wo wollt ihr wachsen, mit welchen Zielgruppen und welchen Kunden et cetera? Und dann die Frage zu stellen: Welche Rolle kann denn Marke hierbei spielen? Ist es notwendig, dass man anders wahrgenommen wird? Ist es notwendig, dass man eine andere Beziehung zu neuen Zielgruppen aufbaut? Und wenn man diese Dinge dann definiert hat, idealerweise in einer klar messbaren Ambition für heute in fünf Jahren oder heute in zehn Jahren, dann kann man sehr zielgerichtet die Aktivitäten dorthin planen. Es geht nicht darum, dass man möglichst viel Aktivität braucht, um die Marke voranzubringen. Ganz im Gegenteil – man kann auch deutlich zurückhaltender agieren, vorausgesetzt man geht die richtigen Schritte in der richtigen Reihenfolge.

Die richtigen Dinge tun bedeutet zunehmend auch, nachhaltig aufgestellt zu sein. Wie ist die Rückkopplung zur Marke dabei?
Der Einfluss von Nachhaltigkeit nimmt immer ­weiter zu. Wir haben aus diesem Grund im vergangenen Jahr auch zum ersten Mal direkt quantitative Daten zu ESG in unsere Ranking-Bewertung mit einfließen lassen. Aktivitäten in diesem Bereich werden sich sicherlich auszahlen, aber auch hier gilt: Man kann nicht alles machen, man muss auch nicht alles machen. Man muss ein ­klares Bild davon gewinnen, welche Aspekte für die Marke wichtig sind und wie man die Marke ausgestalten muss, damit man hier dann auch entsprechend vorankommt.

Ich beobachte in vielen Konzernen, dass sich Kommunikations- und Marketingabteilung, gelinde gesagt, nicht immer ganz einig sind. Decken sich Ihre Erfahrungen damit?
Absolut. Und das hängt ganz stark damit zusammen, dass Marke sehr schnell immer noch in die Schublade Kommunikation gesteckt wird. Dann hat HR mitbekommen, dass man bei Employer Brand mehr machen müsste, um Talente für die Marke zu gewinnen. Es entstehen also Silos, die alle irgendwie in eine Richtung arbeiten, unternehmensseitig aber schlicht nicht dafür aufgestellt sind, eine Marke ganzheitlich zu führen. Deswegen ist es aus unserer Sicht so wichtig, dass man Markenpflege als ein Thema der Unternehmensführung ansieht. Dort werden die einzelnen Themen idealerweise orchestriert und miteinander verknüpft. Wir sehen auch, dass die erfolgreichen Marken ihre Kommunikationsabteilungen viel enger verzahnt haben.

Inwiefern helfen klare Kennzahlen, in der doch von reichlich Buzzword und Bauchgefühl geprägten Branche für Objektivität zu sorgen?
Das ist ein wichtiger Punkt: Die Branche tut sich selbst keinen Gefallen, indem sie immer wieder neue Buzzwords kreiert. Gerade in diesem oftmals etwas „fluffigen“ Umfeld kann Markenbewertung ein extrem hilfreiches Instrument sein und einen anfassbareren Ankerpunkt für die Bedeutung von Marke schaffen. Das hilft auch in der internen Kommunikation mit der Finanzabteilung, wenn wir denen die Markenbewertung zeigen und die sagen: Das sind ja gar nicht nur „bunte Bildchen“, sondern da steckt wirklich etwas dahinter.

DER MARKENMANN
Simon Thun berät seit mehr als 20 Jahren Unternehmen bei Themen rund um Marke, Marketing und Unternehmensstrategie. Er ist seit 2017 CEO von Interbrand für ­Zentral- und Osteuropa. Davor arbeitete er als Chief Strategy & Growth Officer bei Saatchi & Saatchi Deutschland.

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