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Einkauf, Marketing und Marken > Landwirtschaft

Neue Wege auf dem Hof

Inzwischen setzt jeder fünfte Landwirtschaftsbetrieb auf Direktvermarktung. Das ist harte Arbeit, braucht viel Geschick und Durchhaltevermögen.

Den Kunden im Blick: Lars Odefey setzt wie viele andere deutsche Landwirte verstärkt auf Direktmarketing. Das Geschäft ist aufwendig, rechnet sich aber. Bildquelle: Hendrik Haase

Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Maximal 400 Hühner picken zusammen auf der Weidewiese Körner und Insekten, legen Eier, scharren, buddeln und baden ihr Gefieder im niedersächsischen Sand. Landwirt Lars Odefey hält auf dem zehn Hektar großen Gelände in Uelzen rund 3000 Hühner und ein paar Enten. Es sind robuste Rassen, die sich gut für die Freilandhaltung eignen. Von Hand verfüttern Odefey und Tochter Emilia täglich Futter in Bioqualität. Den Hof, den sein Vater mal im Nebenerwerb organisierte, führt Odefey seit der Neugründung 2017 unter dem Namen Odefey & Töchter hauptberuflich. Obwohl der Vater den Hof bereits aufgegeben hatte und der Sohn das Ackerland erst wieder pachten musste.

„Einmal die Woche verwandle ich mich dann vom Bauern in den Schlachter“, sagt Odefey. Dann bringt er einige Hühner, meist im Alter von 120 Lebenstagen, nach nebenan in die hofeigene Schlachterei. Immer im Dunkeln. Bei Dunkelheit hätten Hühner ein stark eingeschränktes Sehvermögen und seien daher sehr ruhig, erklärt er. „Keine Fahrzeit, keine Wartezeit, keine unbekannten Tiere.“ Praktisch stressfrei will der 38-Jährige sein Federvieh töten. Neben dem so bestmöglich gesicherten Tierwohl wird auch das Fleisch besser, wenn nicht vor dem Schlachten Stresshormone in den Blutkreislauf der Tiere schwemmen, ist Odefey überzeugt. Drei geringfügig beschäftigte Mitarbeiterinnen helfen ab frühmorgens im Reinraum mit. Rupfen mit Wasser zum Brühen, während die Tiere trocken ausgenommen werden. Das hat Odefey sich bei französischen Schlachtereien abgeschaut. Danach arbeitet er die Bestellungen ab, und die dann ofenfertigen Hühner und Enten gehen in den Versand.

Wie Odefey setzt fast jeder fünfte landwirtschaftliche Betrieb vollständig oder teilweise auf den Direktvertrieb, um seine teils drastischen Einkommensschwankungen zu stabilisieren, wie das Statistische Bundesamt berichtet. Das Geschäft ist hart und verlangt viel strategisches und unternehmerisches Geschick gerade von kleineren Betriebe, die systematisch weniger von Subventionen profitieren. Immerhin: Das Höfesterben verlangsamt sich, aber ihre Größe wächst. Zwischen 2010 und 2023 sank die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe jährlich im Schnitt um 4700 auf 255.000, wie die Statistiker ermittelt haben. Gleichzeitig blieb die landwirtschaftlich genutzte Fläche in Deutschland fast gleich. 16,6 Millionen Hektar waren es in 2023. Bewirtschaftete ein landwirtschaftlicher Betrieb also 2010 noch im Schnitt 56 Hektar, sind es jetzt 65 Hektar. Im Osten sind die Flächen größer als im Westen.

Während Odefey über seinen Onlineshop bundesweit liefert, gilt neben dem Marktstand auf Wochenmärkten der regionale Hofladen als klassischer Absatzweg für den Direktvertrieb. Landwirte brauchen nur einen geeigneten Raum, etwas Ladenausstattung und vielleicht eine Kühl- oder Tiefkühltheke, um sich damit als Nahversorger im ländlichen Gebiet zu profilieren. Andere Betriebe bieten ihre Produkte über Verkaufsautomaten rund um die Uhr an. Sie stehen mancherorts in Sparkassen, vor Restaurants oder Metzgereien. Es gibt Frischmilchautomaten am Hof wie beim Bauernhof Funk im hessischen Babenhausen oder der Eierautomat des Hofguts Acker in Bodenheim, Rheinland-Pfalz.

Ziegen zur Adoption

Viele Biobauern bieten regionale Lieferabonnements an, also die Öko-, Bio- oder Gemüsekiste für die ganze Familie, das Paar oder den Single, wie beispielsweise für die Rheingau-Taunus-Region vom Hof Ardema in Taunusstein. Einige deutsche Bauern haben sich mittlerweile der Direkthandelsplattform Crowdfarming aus Madrid angeschlossen und bieten europaweit Kühe, Ziegen, Bienenvölker, Tomaten- und Spargel, Weizen-, Raps- oder Haferfelder sowie Rebstöcke oder Knoblauch- und Zwiebelbeete zur Adoption an. Die Quasi-Adoptiveltern zahlen einen Grundbetrag und bekommen dafür einen Teil der Erträge ihres Zöglings vergünstigt. Es ist eine aussichtsreiche Strategie gerade für kleinere landwirtschaftliche Betriebe, die teils stark unter Druck stehen. Manche Branchenkenner meinen sogar, sie hätten sonst keine Chance.

Die in der industriellen Landwirtschaft gebräuchlichen Skaleneffekte können kleine landwirtschaftliche Betriebe jedenfalls nicht nutzen, um im hierzulande besonders heftigen Preiskampf zu bestehen. Sie profitieren auch am wenigsten von Subventionen etwa für Agrardiesel, deren Streichung kürzlich tausende Bauern auf die Straße getrieben hat. „Je mehr Hektar, desto höher die Subvention“, geben Experten hierzulande als Faustformel aus.
Odefey & Töchter bekommen eine vergleichsweise leicht zu erhaltende Prämie fürs Weideland. 1500 bis 2000 Euro jährlich, sagt Odefey. „Der Betrag schwankt.“ Anfangs hat er intensiv versucht, an Subventionen zu kommen. „Ich habe gedacht, es könnte vielleicht speziellere Fördermittel für kleine Betriebe, den Erhalt alter Nutztierrassen oder aus Umwelt- und Naturschutzgründen geben“, sagt er. Wie in Frankreich oder Italien. „Aber entweder haben wir nicht zum Fördergegenstand gepasst oder waren zu klein für das Förderprogramm.“

Neben der Größe legt die Erfahrung des zehn Hektar messenden Hutewaldhofs im niedersächsischen Riskau-Dannenberg noch eine weitere Subventionsdaumenregel offen. Je industrialisierter ein Betrieb, desto eher bekommt – und behält – er Subventionen. Kathrin Ollendorf und ihr Partner Holger Linde sowie zwei Mitarbeiter betreiben eine Freilandschweinehaltung, mit eigener Marke Porco Wéndico, als einer der ganz wenigen landwirtschaftlichen Betriebe seit ein paar Jahren komplett ohne öffentliche Subventionen.

Sie mussten erleben, wie von Jahr zu Jahr weniger Geld floss – mal ein Viertel weniger, mal ein Drittel weniger als im Vorjahr. Denn jedes Jahr im Frühjahr muss der Bauer den Behörden melden, welche Feldfrüchte genau zu einem Stichtag im Juli auf welcher Fläche stehen werden. „Das hängt aber bei uns von der Witterung und der Größe der Würfe unserer Sauen ab“, erklärt Betriebsleiterin Ollendorf. Sind die Würfe der drei Zuchtsauen mal wieder groß, fressen die dann zahlreicheren Schweine die Parzellen schneller leer. Das weiß man vorher nicht. „Und dann wird neu eingesät, auch wenn es noch nicht Juli ist“, sagt Ollendorf. Das Problem: Die Feldfrucht stimmt dann nicht mehr mit dem Subventionsantrag überein. Und jedes Jahr stand dann der Kontrolleur auf dem Hof und hat die Subvention zusammengestrichen.

Schweine-Leasing im Norden

Mal einen Pfosten zu versetzen, damit die Schweine ungestört wühlen können und dabei im Gehege bleiben, ging nicht. Ärger mit dem Kontrolleur gab es auch, als Ollendorf und Linde einen Streifen Gras für ein Paar darin brütende Feldlerchen stehen ließen, die als bedrohte Art gelten. Auch der letzte Versuch, sich wegen des Erhalts alter Nutztierrassen oder der Art der Haltung für generell förderungswürdig erklären zu lassen, scheiterte. Bei der dann nötigen Preiserhöhung sprang ein Gourmetrestaurant als Kunde wieder ab – alle übrigen Kunden sind geblieben.

Auch der Hutewaldhof vermarktet direkt, schlachtet aber nicht selbst. Ollendorf und Linde bieten Schweine-Leasing an. „Die Kunden bezahlen damit die Lebenshaltungskosten ihres Schweins und bekommen nach dessen Schlachtung von uns das Fleisch fertig abgepackt“, erklärt sie. Ein wesentlicher Teil der Einkünfte kommt mittlerweile aber über den Verein Werbegemeinschaft Dannenberg Elbe, in dem der Hutewaldhof Mitglied ist. Der von den Mitgliedern und der Stadt getragene Verein betreibt die privat angemietete örtliche Markthalle mit zwei Beschäftigten. „Wir haben drei Quadratmeter dieser Halle gemietet und sind dafür verantwortlich, unseren Kühlschrank und unsere Kühltruhe zu bestücken und den Teil auch sauberzuhalten“, sagt Ollendorf. „Wenn Produkte von uns dort verkauft werden, wird das an der Kasse erkannt und wir erhalten automatisch den Kaufpreis abzüglich der Miete.“

Auch Odefeys Kunden – Privatleute und Restaurants sowie Hoteliers für ihre Gastronomie – sind treu. Im Schnitt kaufen sie mehrmals jährlich seine ofenfertigen Hühner, Perlhühner oder Enten über den Onlineshop. „Bei der Bank stehen aktuell keine hunderttausend Euro, eine vergleichsweise kleine Summe in Relation zu unserem Umsatz und zu dem, was andere landwirtschaftliche Betriebe für Technik und Gebäude investieren (müssen)“, bezog Odefey anlässlich der Bauernproteste auf seiner Facebook-Seite Stellung. Odefey & Töchter sind unabhängig von einzelnen Kunden, Händlern, Banken oder Investoren. „Und das Beste ist, wir stehen nicht unter Kostendruck.“

Kühl durchgerechnet

Das Biofutter beim Meyerhof zu Bakum kauft er ein, ohne je einen Preis zu verhandeln. „Die Mühle bekommt eben, was sie braucht“, sagt Odefey. Ebenso der Boden. Keine chemischen Pestizide, kein chemisch-synthetischer Mineraldünger. Die Wiesenpflege übernehmen ein paar Shropshire-Schafe, die Odefey nach Bedarf von Wiese zu Wiese umziehen lässt. Hecken und Obstbäume sorgen für intakte Ökosysteme mit wichtigen Nützlingen. Odefeys Kunden wissen das zu schätzen. Und die Wertschöpfung braucht er nicht zu teilen. Zwar ist sein Hof nicht biozertifiziert, erfüllt aber selbst strengste Bio- und Tierwohlstandards bei weitem.

„Mag sein, dass wir mit dieser Situation eine Ausnahme sind oder einfach Glück haben“, sagt Odefey. Doch so romantisch und glücklich das Landleben auf dem Hof seiner Kindheit aussieht, so kühl hat der studierte Agrarökonom sein Geschäft durchgerechnet. Businessplan für drei, fünf, sieben Jahre aufgesetzt – ganz klassisch, mithilfe der IHK Lüneburg. „Flächen, Gebäude, Investitionen – das ist alles gut durchkalkuliert und geplant“, sagt er. Markenstrategie sowie Corporate Design und Identity entwickelte er mit einer Agentur. „Für mich war immer Prämisse: Ich darf nicht weniger verdienen als zuvor im Angestelltenverhältnis“, erklärt er. „Und ich will mich jeden Tag für, aber auch gegen meine Selbstständigkeit entscheiden können. Ich will nicht in ein Hamsterrad, aus dem ich nicht mehr herauskomme.“ Der Siebenjahresplan ist aufgegangen. 
 

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