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Debatte > Zum Tod von Wolfgang Schäuble

Die Zweiten werden die Wichtigsten sein

Wolfgang Schäuble war vieles, aber nie Kanzler oder Bundespräsident. Viele nennen ihn den „ewigen Zweiten". Dabei zeigt kaum eine historische Figur besser, dass wahrer Gestaltungsspielraum selten bei den Allermächtigsten liegt.

Wolfgang Schäuble ist im Alter von 81 Jahren verstorben. Das Foto zeigt ihn, als er im Mai 2023 den Karlspreis der Stadt Aachen verliehen bekam.

Ein Kommentar  von Thorsten Giersch, Chefredakteur von Markt und Mittelstand

Wolfang Schäuble ist am Dienstagabend mit 81 Jahren verstorben. Die CDU-Politiker wird über Parteigrenzen hinweg als Institution in Erinnerung bleiben, als Bollwerk der Demokratie. Als er das Finanzministerium verließ, formten seine Mitarbeiter eine riesige Null. Niemand steht so für das Thema seriöse Haushaltspolitik wie er. Das bleibt und ist ein Teil der Antwort auf die Frage: War er wirklich weniger wichtig wie die beiden CDU-Kanzler über ihm, Helmut Kohl und Angela Merkel? Nein, das war er nicht.

Schäuble konnte Dinge auf eine Art ansprechen, wie es nur Wenige konnten. Er polarisierte und hielt die demokratischen Institutionen gerade dadurch lebendig. In der Sache mangelte es ihm nie an Biss, auf den ersten Blick aber, wenn es darum ging, ganz an die Spitze zu kommen. Das sagen zumindest Kritiker, nach seinem Tod ein wenig leiser als zu seinen Lebzeiten. Aber es wird an ihm haften bleiben, nie Kanzler oder Bundespräsident geworden zu sein.

Doch weiter entfernt von der Wahrheit könnte die These vom mangelnden Biss kaum liegen. Das ist eine Denke der Erfolgsgesellschaft, zu die wir drohen zu mutieren. Schäubles Kernwert hieß Loyalität. Übrigens unabhängig davon, ob die über ihm diese wirklich verdient haben oder nicht. Weder fiel er Helmut Kohl in den Rücken noch Angela Merkel. Gelegenheiten gab es diverse und noch mehr Menschen, die ihn immer wieder dazu aufforderten. Einmal hat Schäuble gesagt: „Die Stärke des Zweitbesten liegt darin, Führung zu ertragen.“ Wenn das konservativ ist, dann ist konservativ cool. Gerade wenn man es wie Schäuble mit der typisch badischen Liberalität mixt im Sinne eines „leben und leben lassen“.

Heute wünschen wir uns eine Figur, hinter der sich die bürgerliche Mitte vereint fühlt. Jemand, der oder die zwei oder drei Parteien orchestrieren kann. Charisma wird es dafür brauchen, keine Frage. Aber viel mehr braucht es Hintermänner und -Frauen vom Schlage eines Wolfgang Schäuble. Das gilt übrigens nicht nur für die Politik, sondern für alle Organisationen: Ämter, Schulen, Universitäten und natürlich Unternehmen jeder Größe.

Selten sind es die, die ganz oben stehen, die nachhaltig Wirkung erzeugen – sondern die Ebene darunter. Wer Vorbilder sucht, sollte nach diesen Menschen schauen, die über Jahrzehnte an Ort und Stelle agieren, anstatt auf die CEO, die erstens alle vier bis acht Jahre ausgetauscht werden und in der Regel ohnehin nur aus Zufällen diesen letzten Schritt mehr gegangen sind.

Mit Wolfgang Schäuble geht der beste zweite Mann, den Deutschland je hatte. Aber es gibt Hunderttausende Frauen und Männer, die seine Rolle spielen. Von ihnen lebt Deutschland. Von ihnen lebt eine Leistungsgesellschaft. Wolfgang Schäuble wird mir fehlen. Aber diese Idee von Führung, die muss bleiben.

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