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Debatte > SPD-Leitantrag

Was Fachleute vom neuen SPD-Wirtschaftsprogramm halten

Die SPD will wirtschaftspolitisches wieder an Profil gewinnen. Doch der neue Leitantrag bietet Konfliktpotenzial. Eine Analyse zeigt, welche guten Ansätze und Schwachpunkte die „linke Handschrift“ hat.

Saskia Esken, SPD-Bundesvorsitzende, Lars Klingbeil, SPD-Bundesvorsitzender, und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) haben in dieser Woche viel zu besprechen.

Bei den meisten Rechtshändern ist die Schrift mit der linken Hand recht unleserlich. Aber darauf wollte Wiebke Esdar vermutlich nicht hinaus, als zu zum neuen Steuer- und Wirtschaftsprogramm der Partei sagte: „Der Antrag trägt eine deutlich linke Handschrift.“ Die Chefin der SPD-Linken meinte damit den Leitantrag zum Parteitag im Dezember, der am Montag vom SPD-Präsidium angenommen wurde. Im Kern geht es um Umverteilung im ganz großen Stil: Spitzenverdiener sollen über eine „temporäre Krisenabgabe“ deutlich mehr zahlen als bisher. Erbschaften will die SPD höher besteuern und einen Solidaritätszuschlag dauerhaft als „Zukunftsabgabe“ erheben.

Eine Million neue Arbeitsplätze sollen in Deutschland entstehen dank jährlicher Investitionen in Höhe von 100 Milliarden Euro. Der Leitantrag soll auch als programmatische Leitlinie für das Programm zur Bundestagswahl 2025 dienen. Streit ist programmiert – mit den Ampel-Partnern allen voran der FDP, aber auch innerhalb der SPD. Olaf Scholz handelt in den Mühlen des Alltags häufig anders, als es im Leitantrag steht. Es folgt eine Analyse der fünf wesentlichen Punkte des Programms.
 
Erstens: Die Rolle des Staates ausbauen

Die SPD-Spitze schreibt: „Wer immer noch glaubt, dass der Markt alles regelt, schaut nicht genau hin oder ignoriert die Realitäten." Nun ist die Frage, wo der Staat eingreifen soll, so alt wie der Kapitalismus und gleichzeitig ewig jung. Aber auffällig ist, wie stark die SPD im Hinblick auf den Gestaltungsrahmen des Staates das Thema Finanzen betont und weitgehend ignoriert, dass erhebliche Hinder­nis­se für Deutsch­lands Wohlstandstand in handwerklich schlechten Geset­zen gerade für die Energie- und Klima­po­li­tik liegen.

Was zudem das komplexe födera­le System anrichten kann, sehen wir dieser Tage unter anderem bei der Zuwanderungspolitik – Stichwort Bund-Länder-Runde. Im Kern geht es der SPD eher um die Frage, wieviel Schulden vertretbar sind. Die Partei bemüht dabei nicht zum ersten Mal die Erzäh­lung vom finan­zi­ell kaum handlungs­fä­hi­gen Staat. Wenn im Papier von „politi­schem Mut und Gestal­tungs­wil­len“ die Rede ist, meinen die Genossen damit in erster Linie, dass bei neuen Schulden zu bremsen feige ist.

Zweitens: Schuldenbremse abbauen

Die SPD ist hier immerhin ehrlich: Ihr Programm ist mit der Schul­den­brem­se, wie sie bisher im Grundgesetz steht, nicht vereinbar. Sie sei „ein Standort- und Wohlstandsrisiko für Deutschland geworden“. Deren „Reform“ – gemeint ist wohl eher Abschaffung - soll Beinfrei­heit für die Kredit­auf­nah­me schaffen. Die FDP wird begeistert sein, folgende Generationen wohl auch, wenn sie die Kredite abbezahlen müssen, die bekanntlich nicht mehr für null Prozent Zinsen zu haben sind. Doch eben dieses Zinsrisiko scheint die SPD erheblich zu unterschätzen. Schon in naher Zukunft kommen auf den Haushalt zusätzliche Rückzahlungen im achtstelligen Bereich zu.
 
Drittens: Umverteilung ausweiten

Die SPD fordert eine „grundlegende Einkommenssteuerreform“. 95 Prozent der Steuerzahlenden sollen davon laut SPD profitieren. Die „temporäre Krisenabgabe“ soll für alle Reichensteuerpflichtigen gelten. Die Reichensteuer greift ab einem zu versteuernden Einkommen von 277.826 Euro, bei Ehepaaren ist es die doppelte Summe. Wie hoch die Abgabe sein soll, hat die SPD nicht gesagt.

Bundeskanzler Olaf Scholz hielt von Sonderabgaben bisher wenig. Die SPD-Führung schreibt nun: „Bürger mit den höchsten Einkommen können die Herausforderungen der Transformation aus eigenen Mitteln finanzieren und einen größeren Beitrag zum Gemeinwohl leisten.“ Das wirkt wie ein Schwenk nach links, von dem im Wahlkampf bewusst keine Rede war. Dirk Wiese, Chef des pragmatischen Parteiflügels „Seeheimer Kreis“, verteidigt die Idee: „Wir begrüßen es, dass wir bei der Einkommensteuer den Fokus auf die Entlastung der Mitte der Gesellschaft legen und sehr hohe Einkommen zur Gegenfinanzierung heranziehen.“ Dem linken Parteiflügel gehen die Vorschläge dagegen in Teilen nicht weit genug. Tim Klüssendorf sagt: „Im Zuge der weiteren Beratungen muss der Fokus jedoch noch nachgeschärft werden, und zwar stärker in Richtung hoher Vermögen.“
Ökonomen warnen vor der Reichensteuer. Ifo-Chef Clemens Fuest meint:

„Steuererhöhungen in hohen Einkommensbereichen bedeuten eine höhere Belastung für mittelständische Unternehmen, mit negativen Folgen für Investitionen und Beschäftigung.“ Auch Michael Hüther ist skeptisch. „Jede Sonderabgabe zerfleddert die Steuersystematik und die Steuerbelastung ist in Deutschland für Unternehmen und Privathaushalte bereits sehr hoch.“ Noch deutlicher kritisierte der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium das Vorhaben:  Eine einmalige Vermögensabgabe verursache „erhebliche wirtschaftliche Schäden, weil sie das Vertrauen von Sparern und Investoren erschüttert“. Zudem sei der Vorschlag rechtlich problematisch.

Es ist wie beim Rauchen: Besteuert ein Staat Zigaretten zu hoch, kaufen immer mehr Menschen ihre Zigaretten auf dem Schwarzmarkt. Und wenn man die Reichen zu arg schröpft, gehen sie fort. Aus keinem anderen Industrieland fließen schon jetzt so hohe Summen ab wie aus Deutschland. Wenn sich Sparer und Investoren nicht mehr sicher sind, dass ihr Geld in Deutschland sicher ist, zerlegt sich das Vertrauen in den Standort in seine Bestandteile. Holt man sich bei den Reichen auf der anderen Seite zu wenig Geld ab, bringt es nicht viel. Fachleute bezweifeln deshalb nicht erst seit gestern, dass eine Steuer­po­li­tik, die auf höhere Spitzen­be­las­tung und Erbschaft­steu­ern basiert, das Gros der Zahler aber entlas­ten will, nennens­wer­te Mehrein­nah­men bringt.

Besser kommt der zweite Teil der Steuerpläne an: Die Erbschafts- und Schenkungssteuer soll derart umgestaltet werden, „dass Multimillionäre und Milliardäre mehr zum Gemeinwohl beitragen“. Dass ein Teil der Erben höher besteuert werden sollten, ist auch unter liberalen Ökonomen kaum umstritten. Und selbst CDU-Chef Friedrich Merz hat sich dafür ausgesprochen, dass der Spitzensteuersatz etwas steigen, wenn untere und mittlere Einkommen dafür weniger Steuern zahlen. Die Gelder, wenn sie denn fließen, sollen die Bundesländer vollständig in Bildung investieren. Dazu soll der in höheren Einkommensklassen zu zahlende Solidaritätszuschlag weitergeführt und als „Zukunftsabgabe neu begründet“ werden.

Viertens: 100 Milliarden investieren

Durch neue Kredite ermöglicht durch die Lockerung der Schuldenbremse und die geplanten Steuererhöhungen will die SPD Investitionen von 100 Milliarden Euro jährlich ermöglichen. Die SPD-Führung will so den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft und Gesellschaft ankurbeln. Dazu kommt ein sogenannter Deutschlandfonds, der sich aus staatlichem und privatem Kapital speisen soll „Die Finanzierung der gewaltigen Aufgaben bei Transformation, Sicherheit und Infrastruktur verlangt neue Ansätze und ein Konzept, um insbesondere privates Kapital zu mobilisieren“, sagt Ines Zenke, Präsidentin des SPD-Wirtschaftsforums. Auch IW-Chef Hüther sprach sich für die Idee aus: Sofern eine Reform der Schuldenbremse nicht machbar sein sollte, „wäre eine Fondslösung die zweitbeste Lösung“.
 
Fünftens: Arbeit reduzieren

Ähnlich wie die IG Metall fordert die SPD nun auch eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Auch hier bahnt sich ein Konflikt innerhalb der Partei an. Dass es einen Fachkräftemangel gibt, ist Bundesarbeitsminister Hubertus Heil bestens bekannt. Ebenso, dass die Produktionskosten am Standort Deutschland schon jetzt sehr hoch sind und die demografische Entwicklung die niedrige Produktivität in den kommenden Jahren weiter belasten wird. Die Vorschläge sind in diesem Licht also höchst problematisch. Das gilt auch für die Erhöhung des Mindestlohns, die über die Vorschläge der zuständigen Kommission hinausgeben soll. Da mag das Gegenargument vom steigenden Binnenkonsum so manchen überzeugen. Sicher, dass die Rechnung aufgeht, kann man sich nicht sein.

Es bleibt abzuwarten, wie Olaf Scholz, der Kanzler der Mitte, mit diesem linken Programm in zwei Jahren Wahlkampf machen will. Bisher zeigte er sich als Freund der Schuldenbremse und Feind von neuen Vermögensabgaben. So hat er die bürgerliche Mitte von sich überzeugt.

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