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Recht und Steuern > Urteil der Woche

Bundesarbeitsgericht: Tarifvertrag darf geringere Löhne für Leiharbeiter vorsehen

Leiharbeiter dürfen nicht schlechter bezahlt werden als die Stammbelegschaft – es sei denn, sie bekommen einen Ausgleich. Das Bundesarbeitsgericht hat nun entschieden: Ein Tarifvertrag darf eine Abweichung „nach unten“ vorsehen.

Bundesarbeitsgericht
Das Bundesarbeitsgericht ist das höchste deutsche Arbeitsgericht. Bild: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Martin Schutt

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, das gilt grundsätzlich auch für die Leiharbeit. Allerdings sehen Tarifverträge bisweilen Abweichungen „nach unten“ für Leiharbeiter im Vergleich zu Stammbeschäftigten vor. Ob das rechtens ist, damit beschäftigten sich zuletzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) und der Europäische Gerichtshof (EuGH). Die Gerichte kamen zu dem Ergebnis: Sieht ein Tarifvertrag Ausgleichsvorteile für Leiharbeiter vor, sind geringere Löhne gerechtfertigt.

Darum ging es in dem Ausgangsfall

Geklagt hatte eine Frau, die 2017 als Leiharbeitnehmerin in Teilzeit bei einem Einzelhändler 9,23 Euro die Stunde verdient hatte. Vergleichbare Stammarbeitnehmer, ärgerte sich die Frau, bekamen allerdings 13,64 Euro die Stunde. Also verlangte die Frau die Differenz von insgesamt 1.296,72 Euro für die Dauer ihrer Beschäftigung. Dass ein Tarifvertrag von iGZ und ver.di, nach dem die Frau bezahlt wurde, einen geringeren Lohn für Leiharbeiter vorsieht, hielt sie für einen Verstoß gegen das Europarecht.

Vor dem Arbeitsgericht, dem Landesarbeitsgericht und schließlich auch dem Bundesarbeitsgericht blitzte die Frau zunächst ab. Allerdings legt das Bundesarbeitsgericht die Frage, wie weit die in der EU-Richtlinie zur Leiharbeit (Leiharbeits-RL) verlangte, aber nicht näher definierte „Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“ denn in der Praxis reicht, dem EuGH vor.

So entschieden die Richter

Der EuGH entschied im Dezember 2022: Eine geringere Entlohnung oder andere Ungleichbehandlungen von Leiharbeitern in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in einem Tarifvertrag sind immer dann zulässig, wenn der Tarifvertrag im Gegenzug den Leiharbeitnehmern auch Vorteile gewähre, die geeignet sind, die Ungleichbehandlung auszugleichen – und damit den Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer zu achten.

Die Entscheidung des EuGH stimmte nach Einschätzung von Rolf Kowanz, Partner der Kanzlei Eversheds Sutherland, die Zeitarbeitsbranche und ihre Kunden zunächst verhalten optimistisch. Allerdings blieben, so Arbeitsrechtler Kowanz, auch nach dem Richterspruch aus Luxemburg viele Fragen offen. Denn welche konkreten „Ausgleichsvorteile“ aus Sicht des EuGH ausreichend sein sollen, um den „Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer“ in einem Tarifvertrag zu achten, ließ der EuGH unbeantwortet. „Mit umso größerer Spannung wurde deshalb die Entscheidung des BAG erwartet, das die vom EuGH geschaffenen Interpretationsspielräume anhand des konkreten Falles auszufüllen hatte“, so Kowanz.

Das BAG kam zu dem Ergebnis: Die Klägerin hat keinen Anspruch auf das gleiche Gehalt wie vergleichbare Stammarbeitnehmer. Weil sowohl das Zeitarbeitsunternehmen als auch der Einzelhändler als Entleiher tarifgebunden waren, gelte das Tarifwerk von iGZ und ver.di. Es sei nur die darin vorgesehene tarifliche Vergütung zu zahlen. Zwar bestätigte das BAG, dass die Frau tatsächlich einen Nachteil erlitten habe, weil sie als Leiharbeiterin weniger verdiente, als wenn sie unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz von dem entleihenden Unternehmen eingestellt worden wäre. Die Leiharbeits-RL lasse nach der Rechtsprechung des EuGH eine solche Schlechterstellung aber dann zu, wenn Ausgleichsvorteile die Ungleichbehandlung „neutralisieren“. Ein solcher Ausgleichsvorteil kann nach Auffassung des BAG etwa die Entgeltfortzahlung auch in verleihfreien Zeiten sein. Das ist bei dem Tarifwerk von iGZ und ver.di der Fall.

Der deutsche Gesetzgeber habe außerdem für die Leiharbeit zwingend sichergestellt, dass die Verleiher das Wirtschafts- und Betriebsrisiko für verleihfreie Zeiten uneingeschränkt tragen, so das BAG. Und schließlich dürften auch für die Leiharbeit festgesetzte Lohnuntergrenzen und der gesetzliche Mindestlohn nicht unterschritten werden.

Das sagt der Experte

„Das Urteil ist praxisgerecht, weil es zum einen die Planungssicherheit für Zeitarbeitsunternehmen und ihre Kunden erhöht, zum anderen aber auch das deutsche System der Leiharbeit bestätigt,“ betont Rolf Kowanz. Dieses System nehme eine gewisse Schlechterstellung von Leiharbeitnehmern in Kauf, solange für diese insgesamt adäquate Arbeitsbedingungen gelten. Sichergestellt werde dies dadurch, dass von „Equal Pay“ nur durch Tarifverträge abgewichen werden darf. Müsste flächendeckend der gleiche Lohn gezahlt werden wie im Stammbetrieb des Entleihers, so Kowanz, wäre insbesondere die Vergütung für verleihfreie Zeiten für Zeitarbeitsunternehmen und ihre Kunden (bei entsprechender Umlage der Mehrkosten) nicht mehr tragbar. „Dies hätte die Zeitarbeit in Deutschland im Zweifel erheblich eingeschränkt, womit ein vielgeschätztes Flexibilitätsinstrument verloren gegangen wäre.“

Während das BAG nach Ansicht des Arbeitsrechtlers das Vertrauen in die Wirksamkeit der bestehenden Tarifverträge gestärkt hat, bedauerte der DGB in einer ersten Reaktion die Entscheidung aus Erfurt und erklärte, sie nach Vorliegen der Urteilsgründe „tarifpolitisch bewerten“ zu wollen. Auch ein vom BAG als wirksam anerkannter Tarifvertrag kann von den Gewerkschaften nach einer „tarifpolitischen Bewertung“ gekündigt werden mit der Folge, dass ohne gültige Tarifverträge „Equal Pay“ für die fast 800.000 Leiharbeitnehmer in Deutschland deutlich leichter durchsetzbar wäre. Unternehmen rät Arbeitsrechtler Kowanz, weiterhin auf die Tarifverträge der Zeitarbeit zu setzen und darauf zu vertrauen, dass die dort gefundenen Lösungen – wie vom BAG bestätigt – einen ausreichenden „Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer“ sicherstellen und damit wirksam sind.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 31. Mai 2023 – 5 AZR 143/19 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 7. März 2019 – 5 Sa 230/18 –

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