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Recht und Steuern > Rechtstipp der Woche

Kündigung muss zeitnah zu erfolglosem Wiedereingliederungsversuch erfolgen

Entschließt sich der Arbeitgeber dazu, einen sehr häufig und über lange Zeit erkrankten Mitarbeiter zu kündigen, muss er vorher ein „betriebliches Eingliederungsmanagement“ (BEM) durchführen. Das ist nicht ohne Tücken.

Arbeitgeber dürfen krankgeschriebene Arbeitnehmer erst nach betrieblichen Eingliederungsmanagement kündigen. Bildnachweis: Shutterstock

Ist ein Beschäftigter lange Zeit ununterbrochen oder sehr häufig krank, darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis beenden, wenn sich die Kündigung nicht durch mildere Maßnahmen verhindern lässt. Um auszuloten, ob und wie der Beschäftigte nach langer Krankheit in den Betrieb zurückkehren kann, muss der Arbeitgeber unbedingt ein „betriebliches Eingliederungsmanagement“ (BEM) durchführen. Nur wenn das erfolglos bleibt und künftige Fehlzeiten sich absehbar nicht verhindern lassen, ist eine Kündigung gerechtfertigt. 

Wann aber ist eine Wiedereingliederung absehbar unmöglich? Die Frage beschäftigt immer wieder die Gerichte. Zwei jüngere Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) machen noch einmal deutlich, dass Arbeitgeber beim BEM besondere Sorgfalt walten lassen müssen.

In dem einen Fall ging es um die Frage, ob und wann ein BEM „verfällt“. Geklagt hatte ein Produktionshelfer, der in drei aufeinanderfolgenden Jahren 40, 61 und 103 Arbeitstage arbeitsunfähig erkrankt war. Im März 2019 führte der Arbeitgeber mit ihm ein Gespräch über ein betriebliches Eingliederungsmanagement. Anschließend war der Mann erneut an 79 Arbeitstagen krank. Im Februar 2020 kündigte ihm der Arbeitgeber fristgemäß. Der Produktionshelfer meinte, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt und klagte.

„Wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, ist der Arbeitgeber per Gesetz verpflichtet, ein BEM durchzuführen“, erläutert Lars Kuchenbecker, Partner im Arbeitsrecht bei Menold Bezler. „Dies gilt unabhängig davon, ob der Arbeitgeber eine krankheitsbedingte Kündigung in Betracht zieht oder nicht.“ Kommt der Arbeitgeber der Verpflichtung nicht oder nicht ordnungsgemäß nach, hat er in einem späteren Kündigungsschutzprozess meist schlechte Karten: Er muss dann nämlich beweisen, dass auch ein BEM nichts daran geändert hätte, dass der Mitarbeiter erneut arbeitsunfähig erkrankt und das Arbeitsverhältnis hätte bestehen bleiben können. „Das wird in der Regel nicht gelingen“, so die Erfahrung von Anwalt Kuchenbecker.
 

BEM hat kein „Mindesthaltbarkeitsdatum“

Dem Produktionshelfer aus dem geschilderten Fall gab das BAG in letzter Instanz Recht: Ein einmal durchgeführtes oder angebotenes BEM hat kein rechtliches „Mindesthaltbarkeitsdatum“, urteilte das Gericht. Ist der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Abschluss des BEM erneut länger als sechs Wochen durchgängig oder wiederholt krank, muss ein neues BEM durchgeführt werden – und zwar auch dann, wenn nach dem vorherigen BEM noch nicht wieder ein Jahr vergangen ist. Lars Kuchenbecker weist deshalb darauf hin: „Wenn sich der Arbeitgeber nach dem BEM zum Ausspruch einer Kündigung entschließt, darf er nicht lange zögern.“

In einem weiteren Fall hatte das BAG zu entscheiden, ob bei der Kündigung eines schwerbehinderten Mitarbeiters die Zustimmung des Integrationsamts die Vermutung begründet, dass ein BEM die Kündigung nicht hätte verhindern können. 

Eine schwerbehinderte Sachbearbeiterin war in diesem Fall von Dezember 2014 bis Mai 2020 ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Im Mai 2019 kam es unter Beteiligung des Integrationsamts, das der Kündigung Schwerbehinderter zustimmen muss, zu einem Gespräch. Ein anschließend vom Arbeitgeber angeregtes BEM fand nicht statt, weil die Sachbearbeiterin eine nötige datenschutzrechtliche Einwilligung nicht erteilte. Von September bis Oktober 2019 kam die Frau wieder zur Arbeit. Im Mai 2020 wurde ihr nach Zustimmung durch das Integrationsamt gekündigt.
 

Zustimmung des Integrationsamts ersetzt kein BEM

Auch in diesem Fall war die Klage gegen den Arbeitgeber erfolgreich: Dass das Integrationsamt der Kündigung zugestimmt hatte, begründe keine Vermutung dafür, dass nicht ein betriebliches Eingliederungsmanagement die Kündigung hätte verhindern können. Sprich: Der Arbeitgeber hätte der Sachbearbeiterin vor der Kündigung erneut ein BEM vorschlagen müssen.

„Beide Fälle zeigen, wie wichtig es für Betriebe ist, ein BEM korrekt einzuleiten, durchzuführen und abzuschließen sowie auch sehr sorgfältig zu protokollieren“, betont Rechtsanwalt Kuchenbecker. Diese gelte vor allem in den Fällen, in denen im Anschluss an das BEM eine krankheitsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht komme. „Sobald das BEM beendet ist, muss die Kündigung erfolgen, bevor der Arbeitnehmer erneut länger als sechs Wochen durchgängig arbeitsunfähig bleibt oder innerhalb eines Jahres wiederholt arbeitsunfähig erkrankt“, so der Arbeitsrechtler. „Falls vor Ausspruch der Kündigung die Zustimmung des Integrationsamts erforderlich ist, dürfte es ausreichen, wenn innerhalb von sechs Wochen das Antragsverfahren eingeleitet ist.“

BAG, Urteil vom 18. November 2021 – 2 AZR 138/21
BAG, Urteil vom 15. Dezember 2022 – 2 AZR 162/22
 

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