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Recht und Steuern > Rechtstipp der Woche

Kündigungsschutzprozess verloren: Wann Arbeitgeber trotzdem kein Gehalt nachzahlen müssen

In Zeiten des Arbeitskräftemangels finden gekündigte Arbeitnehmer vielerorts schnell einen Anschluss-Job. Wer gegen die Kündigung klagt und auf Gehaltsnachzahlung hofft, ohne sich auf zumutbare Stellen zu bewerben, kann leer ausgehen.

Wer gegen eine Kündigung klagt und auf Gehaltsnachzahlung hofft, ohne sich auf zumutbare Stellen zu bewerben, kann leer ausgehen.

Streiten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor Gericht über die Wirksamkeit einer Kündigung und verliert der Arbeitgeber den Prozess, hat der Arbeitnehmer grundsätzlich rückwirkend Anspruch auf das Gehalt. Weil Kündigungsschutzprozesse Monate bis Jahre dauern können, kann so eine stolze Summe zusammenkommen. Zu früh freuen sollten sich Arbeitnehmer nicht. Denn auf den sogenannten Annahmeverzugslohn werden nicht bloß alle Einkünfte angerechnet, die sie vom Zeitpunkt des vermeintlichen Vertragsendes erzielt haben, sondern auch all das, was sie zumutbar hätten verdienen können. 

„Bei manchen Arbeitsgerichten erleben wir zurzeit, dass Kammertermine mit einer Vorlaufzeit von elf Monaten vergeben werden, schon bis zum Gütetermin wartet man oft zwei Monate“, schildert Ilva Woeste von der Kanzlei McDermott Will & Emery, die Arbeitgeber in Kündigungsprozessen vertritt. Die Überlastung der Gerichte wirkt sich auch auf das Prozessrisiko aus, und zwar für beide Seiten. Sucht sich der gekündigte Mitarbeiter keine zumutbare anderweitige Beschäftigung, sondern vertraut auf ein Prozessende zu seinen Gunsten, riskiert er, dass er – sofern er doch verliert – für viele Monate kein Gehalt bekommt. Der Arbeitgeber, der im Prozess eine Niederlage einstreicht, muss damit rechnen, dass er Annahmeverzugslohn zahlen muss. „Zieht sich ein Rechtsstreit sehr lange hin, sind die Annahmeverzugslohnansprüche häufig wirtschaftlich entscheidender als die im Raum stehenden Abfindungsansprüche“, betont Ilva Woeste.

Was in der Praxis bisweilen übersehen wird: Der Annahmeverzugslohn unterliegt zwei wichtigen Einschränkungen. Damit der Arbeitnehmer nicht im Ergebnis doppelt verdient, muss er sich anrechnen lassen, was er in der Zwischenzeit bei einem anderen Arbeitgeber oder als Selbstständiger an Einkommen erzielt hat. „Diese Regelung haben die meisten Kläger auf dem Schirm“, sagt Ilva Woeste, „im Ergebnis verdienen sie damit nicht weniger als ihnen bei ihrem alten Arbeitgeber vertraglich zustand.“ Angerechnet wird aber auch, was der Arbeitnehmer böswillig zu erwerben unterlässt. „Es geht nicht nur darum, was der Arbeitnehmer tatsächlich verdient hat, sondern was er hätte zumutbar verdienen können“, erläutert Arbeitsrechtlerin Woeste. „Mit Blick auf den derzeit sehr arbeitnehmerfreundlichen Arbeitsmarkt dürfte für die meisten Berufszweige ein Überangebot an freien Stellen bestehen, vor allem in den Ballungszentren.“ Dass Arbeitnehmer über Monate keinen zumutbaren Job finden können, sei damit selten.

Wie aber findet der Ex-Arbeitgeber heraus, ob der gekündigte Mitarbeiter auf ein für ihn günstiges Prozessende spekuliert und andere Stellenangebote ausgeschlagen hat? „Das Bundesarbeitsgericht hat schon vor einigen Jahren entschieden, dass Arbeitgeber Anspruch haben auf Auskunft über die Vermittlungsvorschläge, die Agentur für Arbeit bzw. das Jobcenter dem Arbeitnehmer unterbreitet haben“, berichtet Ilva Woeste, „noch nicht abschließend gerichtlich geklärt ist, ob sie darüber hinaus auch verlangen können, dass der unwirksam gekündigte Mitarbeiter seine eigenen Bemühungen offenlegt, etwa eine Suche über Online-Stellenportale.“ Arbeitgebern empfiehlt die Arbeitsrechtlerin allerdings, eine etwaige Auskunftsklage auch auf diese Eigenbemühungen zu erstrecken. 

Können Arbeitgeber etwas tun, um das Risiko des Annahmeverzugslohns zu verringern? „Eine tatsächlich zulässige Option ist es, dem gekündigten Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses unaufgefordert Stellenanzeigen zu geeigneten Jobs zu schicken, idealerweise in Wohnortnähe des Arbeitnehmers“, rät Ilva Woeste. In einem späteren Rechtsstreit lasse sich so dokumentieren, dass es zumutbare anderweitige Erwerbsmöglichkeiten gab, die der Arbeitnehmer nicht nachverfolgt hat. Denn: „Die Beweislast für das böswillige Unterlassen eines anderweitigen Erwerbs liegt beim Arbeitgeber.“ 

Dass der Arbeitgeber Beschäftigte, von denen er sich trennt, bei der Suche nach einem neuen Job unterstützt, kann sich ohnehin auszahlen. „Wer schnell eine neue Stelle findet, wird in der Regel nicht zum alten Arbeitgeber zurückkehren wollen, zu dem das Verhältnis nach der Kündigung ohnehin meist stark belastet ist“, sagt Arbeitsrechtlerin Woeste. „Zeichnet sich dann noch ab, dass sich mit Blick auf ein langes Kündigungsschutzverfahren das Abwarten womöglich gar nicht rechnet, einigen sich die Parteien häufig zu für den Arbeitgeber günstigen Bedingungen.“
 

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