Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Energie & Rohstoffe > Reaktionen auf das Strategie-Papier

Habecks Industriepolitik überzeugt den Mittelstand nicht

Robert Habeck hat einen umfangreichen Plan für die Industrie vorgelegt und betont dabei immer wieder die Interessen des Mittelstandes. Was Ökonomen und die Unternehmer selbst von seinen Ideen halten.

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, bei Vorstellung der Industriestrategie.

Eins kann man Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wahrlich nicht vorwerfen: Dass er die Fehler seines Amtsvorgängers Peter Altmaier wiederholt. Der CDU-Mann sprach sehr wenig über die Interessen der mittelständischen Betriebe und sehr viel über nationale Champions. Kein Wunder, dass Altmaier bei den meisten Familienunternehmen in Ungnade gefallen war. Habeck erwähnte den Begriff „Mittelstand“ ganze 23-mal, als er am Dienstag seine Industriestrategie vorstellte. Er wolle alles erhalten: „Vom Weltkonzern über die mittelständischen Hidden Champions bis zum Kleinbetrieb. Von der energieintensiven Grundstoffindustrie über den Maschinen- und Fahrzeugbau bis zur Raumfahrt.“

Von dem Versprechen können sich die Betriebe noch nichts kaufen, aber er wollte damit zweifellos den Tenor sehr bewusst setzen. Auf 60 Seiten hat Habecks Ministerium diverse Maßnahmen aufgelistet, mit denen der Standort vorankommen soll: „Wir wollen Deutschland als starken Industriestandort in seiner ganzen Vielfalt erhalten“, ist eine der zentralen Thesen.

Vor einem Jahr hatte der Bundeswirtschaftsminister für 2023 „das Jahr der Industriepolitik“ ausgerufen, aber bisher keine Strategie vorgelegt, die hinter den einzelnen Maßnahmen und Förderprogrammen steht. „Die Indus­trie steht enorm unter Druck“, sagte Habeck am Dienstag und sprach von einer „Zeiten­wen­de“ in der Wirtschaft. Die Trans­for­ma­ti­on zur CO2-Neutra­li­tät erfor­de­re hohe Inves­ti­tio­nen. Gleichzeitig sei es geostrategisch von hoher Bedeutung, dass die energie­in­ten­si­ve Grund­stoff­in­dus­trie in Deutsch­land erhal­ten bleibt – man will ja nicht noch abhängiger werden von autokratisch geführten Ländern.

Die beiden wesentlichen Ideen

Der Bundeswirtschaftsminister skizzierte seine beiden wesentlichen Stell­schrau­ben: ein staat­lich gedeckel­ten Strom­preis von 6 Cent je Kilowatt­stun­de bis Ende des Jahrzehnts für energie­in­ten­si­ve Betrie­be als „das entschei­den­de Instru­ment“, um die Wettbe­werbs­fä­hig­keit der Indus­trie zu sichern. „Andern­falls drohen Produk­ti­ons­rück­gän­ge oder sogar die Abwan­de­rung struk­tu­rell wettbe­werbs­fä­hi­ger Unter­neh­men aus Deutsch­land.“ Zweitens soll die im Grund­ge­setz veran­ker­te Schul­den­brem­se gelockert werden: „Spätes­tens mit Beginn der nächs­ten Legis­la­tur­pe­ri­ode“ stehe „eine Richtungs­ent­schei­dung an, wie die notwen­di­ge strate­gi­sche Indus­trie­po­li­tik zur Siche­rung des Stand­orts, zur Erneue­rung unseres Wohlstands und zur Stärkung unserer Wirtschafts­si­cher­heit auf finan­zi­ell nachhal­tig belast­ba­re Füße gestellt werden kann“. Es müsse überprüft werden, „ob die finanz­po­li­ti­schen Spiel­re­geln, die wir uns gegeben haben, noch zu dieser Zeit passen“.

Das bedeutet auch: Im Kern tragen den Schwarzen Peter bei der Umsetzung andere als Habeck selbst, vor allem im Hinblick auf die beiden zentralen Punkte seines Plans: Die Schuldenbremse möge ausgesetzt werden, um für die Finanzierung zu sorgen. Abgestimmt mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) war das nicht. Genauso wenig wie der zweite zentrale Punkt mit dem Bundeskanzler geklärt war: Die Einführung eines Industriestrompreises – Scholz ist bisher dagegen, was er am Dienstag praktisch zeitgleich auf einer Veranstaltung der IG Metall bekräftigte.  

Habeck würde die Strom-Subven­ti­on gern wie die bisherigen Energie­preis­brem­sen aus dem Wirtschafts­sta­bi­li­sie­rungs­fonds finan­zie­ren. Lindner hält das recht­lich für nicht möglich. Zuletzt galt am wahrscheinlichsten, dass der Indus­trie­strom­preis aus dem Klima- und Trans­for­ma­ti­ons­fonds finan­ziert wird. Dessen Ziel lautet allerdings, den Verbrauch von fossi­len Energi­en zu reduzieren – was partout nicht mit dem Industriestrompreis zusammengehen würde.

Woher können mehr Fachkräfte kommen?

Habeck betonte immer wieder die Verbesserung der Angebotsbedingungen, die mit Abstand wichtigste Hilfe für Kleinbetriebe und Mittelstand: „Es wird ein Gegensatz zwischen Industrie und Mittelstand konstruiert.“ Das sei aber nicht richtig. Kurzzeitig hatte er den Begriff „Industriestrategie“ wurde überdacht aus Sorge, zu viele Betriebe könnten sich ausgeschlossen fühlen. „Die Verbesserung der Angebotsbedingungen muss den Schwerpunkt der zweiten Halbzeit der Bundesregierung bilden“, steht im Strategiepapier geschrieben.

Damit meint der Bundeswirtschaftsminister auch das Angebot an Fachkräften – für Ökonominnen und Ökonomen die größte Gefahr für die Zukunft der Industrie. Habeck Vorschläge diesbezüglich sind neben mehr Einwanderung Anreize, um die Lebensarbeitszeit zu verlängern. Eine Maßnahme ist die Auszahlung des Arbeitgeberbeitrags zur gesetzlichen Arbeitslosen- und Rentenversicherung nach Erreichen der Regelaltersgrenze direkt an die Arbeitnehmer. Alternativ wäre ein steuerlicher Freibetrag für sozialversicherungspflichtige Beschäftigte oberhalb der Regelaltersgrenze denkbar.

Ifo-Chef Fuest sieht da gute Ansätze, aber: „Gebraucht wird eine deutlich breitere Strategie zur Stärkung des Arbeitsangebots.“ Fuest fehlen unter anderem eine Reform der Anrechnungsregeln des Bürgergelds und eine Einkommensteuerreform. Generell kam das Thema Unternehmensteuer vielen Fachleuten zu kurz. Zwar gibt das Wirtschaftsministerium zu, dass deutsche Unternehmen mit einer nominalen Steuerbelastung in Höhe von durchschnittlich circa 30 Prozent auf den vorderen Plätzen liegen. Doch Fuest kritisiert: „Das Papier enthält keine neuen Ideen zur Minderung dieser Last.“

Mittelstandsvertreterin: klingt planwirtschaftlich

Noch deutlicher wird Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Verbandes Die Familienunternehmer: „Wir hatten gehofft, dass Robert Habeck die mittelständische Wirtschaftsstruktur Deutschlands verstanden hat und sich endlich etwas bewegt. Diese Industriestrategie zeigt, dass beides nicht der Fall ist.“ Wichtige grundlegende Reformen wolle der Wirtschaftsminister nicht angehen. Ihr Vorschlag lautet: Statt mit Fördergeldern um sich zu schmeißen, solle Minister Habeck begreifen, wie viel wichtiger es wäre, die Milliardensummen in dringend notwendige Reformen zu investieren. „Es spricht doch Bände, wenn eine einzelne Firma mit 10 Milliarden Euro Fördermitteln erst überzeugt werden muss, sich in Deutschland anzusiedeln, weil zu wenig sonst für diesen Standort spricht.“

Der Bundeswirtschaftsminister kalkuliere mit Steuererhöhungen oder der Aushebelung der Schuldenbremse. „Für den heimischen Mittelstand sind Staatsschulden aber immer die Steuern von morgen.“ So schaffe Habeck keine attraktiven Standortbedingungen, so verschlimmert er sie. „Manches in dieser Industriestrategie klingt sogar so, als hätten Robert Habeck und seine hauptsächlich klimapolitisch qualifizierten Mitarbeiter im Ministerium heimlich Nachhilfe in planwirtschaftlicher Industriepolitik bei Ex-Bundeswirtschaftsminister Altmaier genommen“, sagt Ostermann.

Woher soll das Geld kommen?

Das Strategiepapier zeigt, dass Industriepolitik für Habeck einhergeht mit umfangreichem finanziellem Einsatz des Staates. Und das sehen andere in der Bundesregierung eben anders. Lindner will ab dem nächsten Jahr zumindest formell die Schuldenbremse wieder einhalten. Das passt nicht zu Habecks Plänen. Er braucht viel Geld, um das Bündel von Maßnahmen umsetzen: Das Bundeswirtschaftsministerium will hierzulande die Einlagerung von CO2 ermöglichen und die grüne Transformation von Unternehmen noch stärker fördern. Zudem soll es intensive Anreize für Fachkräfte geben, länger zu arbeiten. Ökonomen und andere Fachleute bewerten Habecks Pläne nach dem Motto „Besser als nichts“.

Immerhin mache er sich überhaupt Gedanken über die Zukunft der deutschen Industrie und die Belange des Mittelstandes: „Die Pläne sind ein wichtiger Aufschlag“, sagte zum Beispiel Achim Wambac, der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsförderung. Doch je konkreter der Blick auf die Details von Habecks Plänen geht, desto stärker wird die Kritik: „Es fehlt eine überzeugende Strategie zur Überwindung der Probleme“, sagte Ifo-Präsident Fuest. Der vorgelegte Plan widerspreche sich in Teilen. 

Auf der einen Seite würde Habeck Bürokra­tie beklagen, dann aber das bürokra­ti­sche Energie­ef­fi­zi­enz­ge­setz loben – um nur ein Beispiel zu nennen. Moritz Schula­rick. Der Präsi­dent des Insti­tuts für Weltwirt­schaft in Kiel, warnte vor einem „Einfalls­tor für Lobby­in­ter­es­sen“ und bezweifelt Habecks Ansatz, allen gleichzeitig helfen zu wollen: „Wenn Deutschland allerdings die Herausforderungen der Zukunft meistern will, dann muss die Politik den Blick auch in anderen Bereichen vom Rückspiegel lösen“, sagte Schularick: „Der Staat ist zwar nicht gut darin, die Gewin­ner von morgen zu finden, aber ganz sicher finden die Verlie­rer von gestern den Staat.“

Damit spielt der Ökonom auf den von Habeck verwendeten Begriff „Kampf­li­ni­en“ an, also der Frage, welche Rolle der Staat bei der Transformation der Unternehmenswelt spielen soll: „Soll das dann nicht der Markt regeln?“, fragte er in Anspie­lung auf Ökono­men, die der Indus­trie­po­li­tik kritisch gegen­über­ste­he und erklärte, warum er anderer Meinung ist: „Das verkennt die beson­de­re Bedeu­tung der Zeiten­wen­de für den Wirtschafts­stand­ort. Es geht nicht darum, dass irgend­wo produ­ziert wird.“

Und was ist mit China?

Dass Deutsch­lands wichtigs­ter Handels­part­ner China in Habecks Strategie nur am Rande vorkommt, ist gelinde gesagt auffällig. In der Indus­trie­stra­te­gie heißt es, China trete immer aggres­si­ver auf. „Wirtschafts­si­cher­heit ist deshalb eine neue Priori­tät unserer Indus­trie- und Wirtschaftspolitik.“ Konkreter wird es hier nicht, was an den blutleeren Auftritt des Bundeskanzlers diesbezüglich auf dessen großer Sommer-Pressekonferenz erinnert. Planungssicherheit sieht für Unternehmens anders aus.

Die Reaktionen aus Wirtschaft und Wissenschaft zeigen, dass Habecks Strategie ein Kompromiss ist, der es nicht alles vollumfänglich recht machen kann. „Ich kann nichts fordern, was den Koalitionsvertrag sprengen würde“, sagte der Bundeswirtschaftsminister. Für SPD und FDP sei die Unterlage eine Einladung zum Diskurs. Der begann quasi umgehend: Verena Hubertz, stell­ver­tre­ten­de Frakti­ons­vor­sit­zen­de der SPD, lobte das Papier. Finanz­mi­nis­ter Chris­ti­an Lindner (FDP) hatte hingegen deutlich gemacht, dass er sowohl einen Indus­trie­strom­preis als auch die Aufnah­me neuer Schul­den ablehnt.

Ähnliche Artikel