Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Strategie & Personal > Kreislaufwirtschaft auf dem Prüfstand

Im Auftrag des Klimas ermitteln

Wie einst Sherlock Holmes: Auszubildende suchen in ihren Firmen nach ­ökologischem Verbesserungspotenzial. Die Umwelt profitiert, der Arbeitgeber auch.

Wie Sherlock Holmes: Bei der IHK Köln werden Auszubildende zu Detektiven, die im Betrieb Chancen für mehr Nachhaltigkeit aufspüren. © Massimo Todaro/Shutterstock.com

Jannik Willms, angehender Industriemechaniker, und Dominik Vollmar, bald Zerspanungsmechaniker, wollten es wissen. Wie die Detektive suchten sie Anfang des Jahres in ihrem Ausbildungsbetrieb, wo es bei Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft noch klemmt. Das nötige intellektuelle Rüstzeug vermittelte ihnen die IHK Köln mit ihrem bundesweit noch einzigartigem Wettbewerbsprojekt „Circularity Scouts“. Es zeichnet junge Teams aus, die in ihrem Ausbildungsbetrieb ökologisches Verbesserungspotenzial heben und umsetzen.

Jannik und Dominik haben bei ihrer Firma, Walterscheid aus dem nordrhein-westfälischen Lohmar, etwas bewirkt. Seit September werden dort nun Verpackungen von Fräsern und Wendeplatten zentral gesammelt und dem Hersteller zur Wiederverwendung zur Verfügung gestellt. Auch Werkzeuge aus hochwertigem Hartmetall werden jetzt nach Gebrauch aufgearbeitet und wieder eingesetzt. Die Umwelt dankt, die Kostenstelle womöglich auch. Auf jeden Fall freuen sich die beiden Scouts über ihren dritten Platz beim Wettbewerb um die besten Ideen. Und Lars Giesbrecht, Head of Environmental, Safety, Energy & Risk Management, bei Walterscheid freut sich über frischen Wind im Betrieb.

Das mehr als 100 Jahre alte Familienunternehmen südöstlich von Köln fertigt Gelenkwellen, Sondergabeln, Kupplungen, Anhängetechnik. Das klingt nach „old school“, nach Maschinenbau unter Männern, nach „Machen wir immer schon erfolgreich so“. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Lohmarer sind nicht nur bei ihren innovativen Produkten vorne, sondern auch als Talentschmiede für umweltbewegte Auszubildende.

Giesbrecht treibt das Projekt „Circularity Scouts“ im Unternehmen voran: „Wir wollen das Denken in Kreisläufen bereits bei den Jugendlichen implementieren.“ Denn die bringen außer jugendlichem Elan und Wissensdurst auch noch den frischen Blick auf alte Prozesse mit. „Mitarbeiter werden nach langer Zugehörigkeit in einem Unternehmen betriebsblind“, diagnostiziert Giesbrecht. „Unsere Auszubildenden durchlaufen fast alle Abteilungen. So können sie die Belegschaft zum Nachmachen anregen und als Impulsgeber für die Führungskräfte dienen.“

Das nötige Know-how, um mit dem Chef auf Augenhöhe zu diskutieren, haben sich die Scouts in den Projekt-Workshops der IHK Köln geholt. Zurück aus der Elternzeit treibt dort Julia Heidkamp mit Kollegen den bundesweit noch einmaligen Wettbewerb voran. „Zu sehen, wie sinnstiftend er für die Auszubildenden ist und welchen Mehrwert er auch für die Umwelt und Gesellschaft bietet, das motiviert uns sehr“, berichtet sie. Ihre Erfahrung deckt sich mit einer aktuellen Studie des Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo) in München. 63 Prozent der befragten Personalleiter gaben an, dass sie mit ihren Azubis zufrieden sind, weitere 18 Prozent loben „sehr gute Qualität“. Die Generation Z ist offenbar doch nicht so schlecht, wie immer behauptet wird.

Neugierig geworden, fragen nun auch andere deutsche Industrie- und Handelskammern bei den Kölner Kollegen nach. „Wir helfen gerne mit unseren Erfahrungen und Kontakten weiter“, freut sich Initiatorin Heidkamp. „Unterlagen alleine bringen nichts.“ Das gilt für die Scouts wie für interessierte IHKn und Unternehmen. Denn hinter der Idee verbirgt sich ein aufwendiges Konzept. Auszubildende aller Berufe können mit einem Thema ihrer Wahl am Wettbewerb teilnehmen. Zwei bis drei Azubis pro Unternehmen bilden ein Team. Die Teilnahme ist kostenlos.

Aufwendige Zusatzausbildung
 

„Die Nachfrage ist groß und die Warteliste wächst, aber mehr als etwa dreißig Azubis können wir im Wettbewerb leider nicht aufnehmen“, sagt Heidkamp. Der Grund ist die beachtliche Weiterbildung während des Wettbewerbs. Die jungen Leute ahnen vermutlich nicht, welcher Organisationsaufwand im Hintergrund betrieben wird. Außer der IHK Köln bringen die Effizienz-Agentur NRW, das Innovationszentrum :metabolon, verschiedene Hochschulen und das VDI Zentrum Ressourceneffizienz ihre Expertise ein. Ein Menge an aktuellem Wissen, das für Ausbildungsbetriebe in der Regel gar nicht zugänglich wäre. An fünf Schulungstagen, verteilt auf drei Monate, pauken die jungen Öko-Aktivisten praxisorientiertes Basiswissen rund um zirkuläres Wirtschaften und Ressourceneffizienz. Es geht um produkt- und prozessspezifische Schwachstellen, Energie-, Abfallbeseitigungs- und Ressourcenkosten und die CO2-Emissionen eines Unternehmens. Um Ökodesign, Datenerfassung und Projektmanagement. Es gibt viel zu tun.

All die Theorie führt direkt in die Praxis. Mit diesem Wissen ausgerüstet, entwickeln die Auszubildenden parallel ihr eigenes Projekt im Lehrbetrieb. Sie spüren zu optimierende Prozessen auf, analysieren, wo die Kreislaufwirtschaft nicht rund läuft und liefern konkrete Verbesserungsvorschläge. Die präsentieren sie anschließend im öffentlichen Wettbewerb vor einer Jury. Sie bewertet die Kriterien „Idee/Kreativität“, „Herangehensweise/Prozess“, „Darstellung/Präsentation“, „Umsetzbarkeit/Wirtschaftlichkeit“, ob die Zirkularität erfüllt ist und auch den Gesamteindruck. Die Besten erhalten ein Siegergeld.

Bei der Präsentation hat manches junge Herz vor Lampenfieber heftig geklopft, aber das gehört zum Konzept. Auch Präsentieren und Kommunizieren will gelernt sein. Zudem vernetzen sich die jungen Menschen quer durchs eigene Unternehmen und mit den Azubis anderer teilnehmender Firmen. Sie lernen so von unterschiedlichen Fachrichtungen und anderen Betrieben. Für manchen Teilnehmer könnte sich das später als erster Karriereschritt zum Projektmanager entpuppen.
Den ersten Preis im Wettbewerb 2023 trugen drei Azubis der ASS Maschinenbau aus Overath nach Hause. Sie lieferten die Idee, wie gebrauchte Greiferteile von Industrierobotern wieder vom Kunden zurückgenommen und in Teilen wiederverwertet oder recycelt werden können. Das spart vor allem das energieintensive Aluminium und senkt so den CO2-Fußabdruck deutlich. Das Team setzte die Idee auch gleich um. Nina Liebsch, Teil des Dreierteams und angehende Industriekauffrau, freut sich über doppelten Nutzen: „Ich habe sehr viel für den weiteren Berufsweg gelernt, die Arbeit war auch persönlich enorm wertvoll.“

Aber nicht nur die jungen Öko-Detektive, sondern auch ihre Chefs profitieren vom Projekt „Circularity Scouts“. Walterscheid-Beauftragter Giesbrecht fasst nach der ersten Teilnahme am Wettbewerb zusammen. „Durch die Veröffentlichung haben wir auch einen positiven Effekt für die Firma Walterscheid in der Öffentlichkeit erzielt. Wir werden deswegen zwar keine Gelenkwelle mehr verkaufen, aber das Unternehmen wird als interessant wahrgenommen.“ Das Gute ist, das gilt nicht nur für Schüler, sondern auch für gestandene Fachkräfte.

Ähnliche Artikel