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Personal > Nachhaltigkeit

Was juristisch auf den Mittelstand zukommt

Klare Regeln für ESG-Kriterien fehlen noch. ­Dennoch müssen Mittelständler handeln. ­Denn Investoren und Kunden halten nicht mehr still.

Noch ist wenig geregelt, der Markt zwingt aber bereits zu korrektem ESG-Verhalten.© Wikipedia/gemeinfrei

Das Beispiel Porsche lässt all die verzweifeln, die an die Wende zur Nachhaltigkeit glauben. Dabei sind nicht die Autos das Problem, hier wandeln sich die Zuffenhausener durchaus ein bisschen in Richtung Elektro. Nein, die Mängel stecken nicht im Antrieb, sondern bei den Regeln zur guten Unternehmensführung, zur Governance – und damit zum Buchstaben „G“, der Porsche offenbar wenig kümmert.

Der Mutterkonzern Volkswagen und der Sportwagenbauer haben denselben Chef, nämlich Oliver Blume. Und das just dann, wenn Porsche an die Börse geht. Für Fachleute ist das ein handfester Interessenkonflikt: Der Porsche Chef ist sein eigener Aufseher. Das hat mit guter Unternehmensführung, nichts zu tun. Banken, Fonds und Investoren murren. Aber sie spielen dann doch mit. Niemand will Spielverderber sein. Und schließlich, so heißt es, sei das Konstrukt ja rechtlich in Ordnung: Im Corporate-Governance-Kodex sind Empfehlungen formuliert. Auch wenn die gänzlich anders lauten, als VW und Porsche sie handhaben, bindend sind sie nicht. Und die ESG-Regeln sind derzeit noch so schwammig formuliert, dass selbst im sonst so streng geregelten Börsengeschehen keine Konsequenzen drohen.

Allerdings bleibt das nicht so. Die EU-Kommission hat im Rahmen des European Green Deal 2021 einen Entwurf vorgelegt, der das Berichtswesen neu regelt. Danach müssen auch mittelständische Unternehmen umfangreich Auskunft über ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten geben. Und wenn nicht? „Welche juristischen Strafen auf die Verweigerer der ESG-Reporte zukommen, ist noch nicht im Detail geklärt“, sagt Nicole ­Alexander-Huhle von der Heussen Rechtsanwaltsgesellschaft. Das wird auch nicht bei der EU, sondern in den Mitgliedstaaten entschieden. „Die unmittelbare Sanktion auch für kleinere und mittlere Betriebe wird aber sein, dass sie kein Testat ihres Wirtschaftsprüfers bekommen werden.“

Vorwurf: Greenwashing

Die Anwältin rät den Unternehmen, ihren Offenlegungspflichten so vollständig und schnell wie möglich nachzukommen. „Andernfalls droht ihnen unabhängig von Schwierigkeiten bei der Refinanzierung und mit Investoren auch ein Reputationsrisiko. Dann schwebt der Vorwurf des Greenwashings über ihnen.“ Und der könne schmerzlichere Folgen als ein späteres Bußgeld haben. Wer noch nicht über alle Daten nach dem Katalog der ESG-Kriterien verfüge, solle sich zügig mit seinem Wirtschaftsprüfer absprechen, was der sich wie genau anschauen wolle. „Es gibt noch nicht den einen verbindlichen Maßstab, weil auch die EU-Taxonomie noch nicht für alle Fragen klare Messwerte beinhaltet“, sagt Anwältin Alexander-Huhle. „Wichtig ist, dass Rückfragen einleuchtend beantwortet werden können. Erst auf Sicht der nächsten Jahre wird sich ein Marktstandard etablieren.“ Es werde komplex und es sei wichtig, sich jetzt auf eine vernünftige, für das Unternehmen praktikable Berichterstattung zu konzentrieren.

Schwieriger als der Nachweis zu Lieferketten und CO2-Abdruck ist die Frage der Unternehmensführung: „Viele Mittelständler unterschätzen die Reporting-Pflichten im Bereich Governance. Sie müssen klar ausweisen, wie ihr Risikomanagement auch in diesem Bereich organisiert ist“, sagt die Juristin. Es sollte klar dokumentiert sein, welche Rollen Unternehmensleitung und Aufsichtsrat auch bei Firmenethik und -kultur einnehmen.

Ulrich Baumann, Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht bei Corplegal, meint ebenfalls, dass Unternehmen nicht erst handeln sollen, wenn die konkreten Gesetze vorliegen. „Der größere Druck zu einem validen ESG-Reporting kommt aus meiner Sicht nicht von rechtlichen Vorgaben, sondern vom Markt. Für die Banken sind diese Unternehmensangaben aufgrund ihrer eigenen Nachweisverpflichtungen unverzichtbar.“ Wer sie nicht liefern könne oder wolle, müsse mindestens mit teureren Finanzierungen rechnen. „Zudem werden solche Unternehmen auch für Investoren im Vergleich zu Mitbewerbern uninteressanter und damit schwerer verkäuflich“, sagt Baumann. Hinzu komme der Druck, den die Auftraggeber ausüben könnten. So drohe der Abschied aus der Lieferkette etwa eines Konzerns, wenn Lieferanten nicht nachweisen könnten, dass sie die ESG-Kriterien einhielten. „In drei bis vier Jahren werden diese Aspekte eine ebenso wichtige Rolle spielen wie Preis, Qualität und Zuverlässigkeit.“

McKinsey-Berater Sascha Lehmann beobachtet derzeit „einen beispiellosen Wandel in Richtung nachhaltiger Wirtschaft“. Abnehmer und Kunden fordern zunehmend klimaneutrale, sozialverträgliche Produkte. Sie erwarten, dass die Unternehmen konkrete Maßnahmen umsetzen, etwa Treibhausgase bei der Produktion oder Transport verringern. Und dass sie transparent über Ziele, Maßnahmen und Fortschritt berichten. „Aus unserer Sicht ist das Reporting zwar ein wesentlicher Bestandteil der ESG-Strategie, noch wichtiger ist aber die glaubhafte und ernst gemeinte Auseinandersetzung mit den Themenbereichen auf höchster Managementebene“, sagt Berater Lehmann. Und ergänzt: „An einigen Stellen fehlen klare Standards – oft aber auch der Mut der Unternehmen, Ziele und Ambitionen offensiv zu kommunizieren.“

Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) bewertet seit 1994 die Berichte deutscher Unternehmen über ihre ESG-Aktivitäten und weiß, wie gute Berichte aussehen sollten. Und wie nicht. Christian Lautermann, der das Forschungsfeld Unternehmen, Wertschöpfungsketten und Konsum leitet, nennt nicht nur die üblichen Verdächtigen, wie fehlende Daten oder knappe Zeit, sondern vor allem den Mangel an Wissen: „Wir beobachten, dass selbst für die Mittelständler, die beim Thema Nachhaltigkeit schon weit sind, geeignetes Personal ein knappes Gut ist.“

Einen guten Nachhaltigkeitsbericht mache aus, dass man nicht statisch an der im Alltag gebräuchlichen Einteilung in E, S und G, also Ökologisches, Soziales und gute Unternehmensführung, klebe, sagt Lautermann. Die meisten Vorgänge im Unternehmen berührten mindestens zwei dieser Bereiche, meistens alle drei. „Für uns ist es wichtig, dass die Firmen für alle wesentlichen Themenfelder eine konsistente Darstellung aus fünf Berichtskategorien bieten.“

Das hieße erstens, die eigene klimafreundliche Strategie im Kontext globaler Nachhaltigkeitsziele einzuordnen, also zum Beispiel eine CO2-Bilanz zu erstellen. Zweitens brauche es für jedes Thema überprüfbare Ziele. Drittens schließe dies nicht nur alle Pilotprojekte, sondern auch eine übergeordnete Strategie mit ein. Dafür brauche es – viertens – eine Übersicht der Ergebnisse anhand geeigneter Leistungsindikatoren. Und als Punkt fünf: die Reflexion des Erreichten samt der Diskussion, ob und wie Gegenmaßnahmen ergriffen werden müssen. Das klingt nach viel Arbeit – und ist doch nur der freiwillige Teil des Nachhaltigkeitsberichts. Der muss deshalb je nach Zielgruppe aufbereitet werden. Der Finanzmarkt will anderes wissen als der Bewerber oder der Kunde.

Für konkrete Gesetze ist nun die Bundesregierung am Zug. Sie muss bis zum 1. Dezember die EU-Vorlage namens Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) in nationales Recht umsetzen. Für kleinere und mittlere Unternehmen soll es in einer Übergangszeit bis 2028 Ausnahmen geben, was praktisch wohl wenig bedeutet. „Ob man 2023 oder vielleicht eine Fristverlängerung bis 2024 bekommt, ist nicht allzu entscheidend“, sagt Sebastian Theopold, Fachmann für Nachhaltigkeit von der Beratung Munich Strategy. „Ich glaube nicht, dass sich Firmen jetzt noch Zeit gönnen, um die Dinge treiben zu lassen. Aussitzen oder Wegducken ist der falsche Ansatz.“

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