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Management > Innovationsfähigkeit

Wie Mittelständler mit Start-ups kooperieren können

Für Mittelständler sind Beteiligungen an ­Start-ups eine Herausforderung. Sie arbeiten anders und kosten Geld. Im Idealfall bringt das Engagement die Investoren aber voran.

Andächtig zuhören: Bei einer Veranstaltung der Plattform Start-up Autobahn treffen sich Gründer und Mittel­ständler, um zu sprechen und das eine oder andere Geschäft zu überlegen.Bildquelle: Mercedes-Benz

Die Idee ist geboren und fachliche Fertigkeiten sind ebenfalls vorhanden. Und Bill Gates hat ja auch klein in einer Garage angefangen. Doch woher soll das Geld kommen, um das neue Unternehmen aus dem Bastlerstatus heraus erfolgreich an den Markt zu bringen? Vor diesem Dilemma stehen wohl die meisten Gründer von Start-ups – jenen jungen Firmen, die sich aufmachen, den Mittelstand von morgen zu bilden oder, siehe Bill Gates, noch größer zu werden. Doch die Zeiten für Gründer sind in Deutschland schlecht. Nach Erhebungen der Beratungsgesellschaft EY in Stuttgart floss 2023 an junge Unternehmen ein Drittel Geld weniger als noch im Jahr davor. Im Vergleich zu 2021 sind es sogar zwei Drittel weniger. Das sei ein weltweiter Trend, schreiben die Berater. In Deutschland ist er besonders ausgeprägt.

Risikokapitalgeber halten ihr Geld zusammen. Und auch im Mittelstand ist es offenbar mit der Begeisterung vorbei, sich bei vermeintlichen Jungstars finanziell zu engagieren. „Das hat in vielen Fällen nicht gut funktioniert.“, beobachtet Thomas Prüver, Start-up-Spezialist bei EY. Die Beteiligungen seien nun mal betreuungsintensiv und kämen oft nicht so schnell auf den Punkt, wie sich das die Familienunternehmen aus dem eigenen Alltag heraus vorstellten.

Die Theorie klingt anders. „Die Zusammenarbeit eines mittelständischen Unternehmens mit einem Start-up kann zwar anstrengender sein als altbewährte Kooperationen“, wertet die IHK München, die auf ihrer Webseite für derartige Modelle wirbt. Sie sieht aber weiterhin Chancen, denn Start-ups seien dynamischer. Diese kleinen, schnellen, innovativen und agilen Unternehmen seien die Seismografen der Digitalisierung und Technologie. „Sie erspüren neue technische Möglichkeiten, testen sie und wandeln sie rasch in marktfähige Lösungen um.“ 

Aus Sicht der IHK München, die für Mittelständler einen „Kooperationskompass“ erstellt hat, können beide Seiten profitieren. Die größten Schwächen der Start-ups seien Ungeduld, Unerfahrenheit, fehlende Marktkenntnis und knappes Kapital. Hier könne der Mittelstand Produktentwicklung und Marktzugang helfen unterstützen. Im Gegenzug bekommen sie Impulse für neue Produkte, Services, Arbeitsabläufe – und womöglich auch für völlig neue Geschäftsmodelle.

Nur leider hakt es in der Praxis. „Selten ist die Idee zu 100 Prozent passgenau zu dem, was ein Mittelständler tatsächlich braucht“, sagt EY-Experte Prüver. Die Mittelständler seien meist Spitzenanbieter in ihrer Nische. Durch die Kooperation mit einem Gründer müssten sie sich aber mit Märkten beschäftigen, die nicht zum Kerngeschäft gehörten. Dazu fehlten oft Zeit und Kapazität. Ohne enge Begleitung aber riskieren die Mittelständler, ins Hintertreffen zu geraten, wie die IHK München betont. Start-ups sprechen ihre Kunden auf neuen Wegen an: Wann, wo und wie diese es sich wünschen. Mit den digitalen Plattformen drängen sich Start-ups zwischen Hersteller und Kunden. Die Gefahr: Der Kunde kommuniziert nur noch mit dem Start-up und nicht mehr mit dem Produzenten – der Mittelständler verliert überlebenswichtige Informationen.

Frische Gedanken

Für die sehr fokussiert ausgerichteten Mittelständler ist der eher spielerische Ansatz der Gründer meist nur schwer kompatibel. „Da prallen zwei Welten aufeinander“, erklärt Prüver. Das sieht man auch bei der IHK München so. Die Kontraste werden dort aber eher als befruchtend angesehen. „Durch die Kooperation lassen sich alte, festgefahrene Strukturen aufbrechen. Das ist wichtig, weil die Digitalisierung frische, neue Gedanken erfordert.“ Erfahrene Unternehmenslenker könnten zudem der nachfolgenden Generation übertragen, die Zusammenarbeit mit dem Start-up zu leiten.

Konflikte mit dem Geldgeber sind da sicher. Viele Gründer kommen mit einer engen Führung nicht zurecht. Doch sie hat Gründe: Offenbar fehlt es aus Sicht der Geldgeber oft an den notwendigen unternehmerischen Grundlagen. So hat jetzt selbst die Berliner Cherry Ventures als erste Investorin in Deutschland schärfere Regeln eingeführt. Der Wagniskapitalgeber verpflichtet die Gründer zu Nachhilfestunden. „Das Coaching­angebot wird Teil unserer Vereinbarung mit den Start-ups. Sie erhalten ein Budget, das sie nach eigenem Ermessen nutzen können“, erklärt Filip Dames von Cherry VC im Gespräch mit dem Handelsblatt. Die Berliner Gesellschaft beteiligt sich schon in der ersten Phase nach der Gründung mit bis zu drei Millionen Euro an Firmen aus Europa. Darum kennt man die Defizite mancher Gründer. Dames hofft, dass sich „andere Finanzinvestoren anschließen“ und die von ihnen mitfinanzierten Start-ups zum Coaching verpflichten.

In den vergangenen Jahren gab es noch eine wahre Euphorie. Etliche Mittelständler haben sogenannte Acceleratoren-Programme aufgelegt, mit denen Gründer angelockt wurden. Die Hoffnung war, schneller an Innovationen zu kommen, als dies die eigene Entwicklungsabteilung mit ihren begrenzten Mitteln liefern kann. Ganz so, wie es die IHK München auch heute noch sieht. Vorbei. Investoren und Mittelständler reagieren offenbar auch angesichts der zunehmenden Zahl von Insolvenzen junger Unternehmen zurückhaltend. Im vergangenen Jahr haben in Deutschland so viele Start-ups aufgeben müssen wie nie zuvor. Insgesamt 297 Jungfirmen meldeten 2023 nach Angaben des Datendienstes Start-up-Detector Insolvenz an – 65 Prozent mehr als im Vorjahr und 33 Prozent mehr als 2021. Zu den Pleite-Start-ups gehören bekannte Marken, etwa der E-Rollerhersteller Unu, der Fahrdienstleister Clevershuttle, der Onlinehändler Brands4Friends und der Solarautohersteller Sono Motors.

Start-ups werden deutlich kritischer hinterfragt“, bestätigt EY-Experte Prüver. Die Misserfolge der Gründer bringen gerade im Mittelstand auch jene in Bedrängnis, die sich für so eine Kooperation eingesetzt haben. „Geht es schief, kann das schnell die Karriere kosten“, sagt Berater Prüver. Der rät den Mittelständlern zu zwei unterschiedlichen Ansätzen: Entweder das Start-up aufkaufen und das Team des Gründers voll in das eigene Unternehmen einbinden, wenn es zur eigenen Entwicklung passt. Oder es bleibt bei einer punktuellen Zusammenarbeit und das Jungunternehmen wird als Lieferant eingebunden. Aus der Finanzierung hält man sich in dem Fall dann weitgehend heraus.

Offenbar verlangt Risikokapital eine hochprofessionelle Begleitung. So betreiben große Unternehmen einen erheblichen Aufwand, um tragfähige Start-ups zu finden. Mercedes oder auch Bosch prüfen jedes Jahr mehrere Tausend hoffnungsvolle Gründer, bevor sie Geld geben. Und selbst die Konzerne bewältigen die Aufgabe nicht alleine. Für den Stuttgarter Autokonzern ist die Plattform Start-up Autobahn seit 2016 aktiv, eine Kooperation von Mercedes mit der Uni Stuttgart, der Plattform Plug and Play und der Forschungsfabrik Arena2036. Auch der Zulieferer Scheffler nutzt die „Autobahn“ und hofft, dass etwas Passendes vorbeikommt. Das Netzwerk sichtet Gründer rund um neue Produkte, Verfahren und Dienstleistungen. Inzwischen ist die Start-up Autobahn auch in Korea und Indien aktiv. 

Viel Geld nötig

Oft sind aber nicht der unterschiedliche Arbeitsstil oder andere Prinzipien das Problem für die Geldgeber, sondern vor allem die zweite Finanzierungsrunde. Da werden dann Summen aufgerufen, die manchen Mittelständler schlicht überfordern. Für das KI-Start-up Aleph Alpha mussten beispielsweise im vergangenen Herbst mehr als 500 Millionen Dollar gefunden werden. Nur so können die Heidelberger mit den Branchenwölfen Google, Baidu oder Microsoft ein wenig mitheulen. Gestemmt haben diese Summe Bosch Ventures, die Wagniskapitaltochter der Bosch Gruppe, die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland), die Berliner Christ&Company Consulting, Hewlett Packard, SAP, Burda Principal Investments sowie der Innovationspark Heilbronn (Ipai). Die setzen darauf, schon früh von den Erfolgen des Heidelberger Hoffnungsträgers profitieren zu können. So läuft die Software von Aleph Alpha bereits in einigen Bosch-Rechenzentren.

Ähnlich schwergewichtig hat die US-Investmentgesellschaft Blackrock beim Solar-Start-up Enviria nachgelegt. Mehr als 200 Millionen Dollar bekommen die Frankfurter über den Fonds Global Renewable Power IV. Wie stark der US-Riese jetzt an dem Unternehmen beteiligt ist, verrät Enviria allerdings nicht. Aber auch hier wird deutlich, dass die „zweite Runde“ von den Investoren mehr als nur ein pralles Konto abverlangt und Mittelständler an den Rand ihrer Möglichkeiten bringt. „Blackrock versteht die Komplexität und die kapitalintensive Natur unseres Geschäfts und kann so einen entscheidenden Beitrag leisten, das Potenzial von erneuerbaren Energien für Gewerbe und Industrie zu realisieren“, betont Gründer Melchior Schulze Brock. Die Investmentgesellschaft arbeite weltweit mit Unternehmen aus der Solarbranche zusammen, besonders in Asien und Amerika. „Es hat eindrucksvoll gezeigt, wie Erfolg aussehen kann“, kommentiert er den Geldsegen der Amerikaner. Enviria beschäftigt bereits 200 Mitarbeiter. Das Start-up pachtet unter anderem auch Dächer, betreibt darauf Solaranlagen und verkauft den dadurch gewonnenen Strom.

Manchmal liegt das Gute auch ganz nah – man muss die Chance nur nutzen. Beim schwäbischen Maschinenbauer Trumpf haben sich in den eigenen Reihen Spezialisten gefunden, die sich mit der Entwicklung der Quantentechnologie beschäftigen wollen. Das ist nicht gerade das Kerngeschäft des Herstellers von Lasertechnik. Aber in Ditzingen bei Stuttgart hat man erkannt, dass diese Technologie eines Tages eine Rolle spielen könnte. Also wurde das Start-up Qant ausgegründet, das nun Chips mit einer bisher unbekannten Rechenleistung entwickelt. Die Freiheit ermöglicht der Trumpf-Ausgründung, viel einfacher mit Universitäten und anderen Investoren zusammenzuarbeiten. Gleichzeitig ist für die Mutter aber gesichert, dass neue Erkenntnisse dieser revolutionären Technologie früh in die eigenen Produkte und Prozesse integriert werden können.

Risikokapital spielt auch beim Badarmaturenhersteller Hansgrohe eine immer wichtigere Rolle. Der Schwarzwälder Mittelständler betreibt eine eigene Beteiligungsgesellschaft. Die Syngrohe verwaltet alle Finanzanlagen, Immobilien und Beteiligungen der Eignerfamilie, die immer noch ein Drittel an Hansgrohe hält. Für dieses Family-Office wurde Anfang März mit Ralph Becker ein erfahrener Anlagespezialist als Geschäftsführer gewonnen. Bis Ende Oktober 2023 war der 56-jährige Geschäftsführer von Blue Lion, der Firma der Schörghuber-Familie, der unter anderem die Paulaner-Brauerei und die Arabella-Hotels gehören. Becker soll das Portfolio der 200 Millionen Euro schweren Syngrohe verbreitern. Die Grohes zeigen im Übrigen, dass es für Mittelständler nicht nur Jungunternehmen als mögliche Beteiligung gibt. Sie haben es auch auf Firmen abgesehen, die Probleme haben, einen Nachfolger zu finden. 

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