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Technologie > Portrait Geoclimadesigns

Das Geheimnis der Röhrchen

Millionen Gebäude müssen energetisch saniert werden. Geoclimadesign hat eine Lösung entwickelt, die ohne Dämmung auskommt – und zugleich wärmt und kühlt.

 Antje Vargas
Heizen und kühlen: Antje Vargas, Chefin und Gründerin von Geoclimadesign, bietet eine Alternative zu klassischer Dämmung an. Bildquelle: Geoclimadesign

Wer an einem kalten Wintermorgen aus seinem Dachfenster schaut, unter dem ein warmer Heizkörper steht, wird möglicherweise direkt darüber eine dunkle Aussparung auf der von Raureif bedeckten Dachziegelfläche erblicken. Über das Dach gibt der Heizkörper Wärme ab. Den Wärmeverlust allein hier veranschlagen Experten auf bis zu 20 Prozent. Natürlich ließe sich das Pro­blem mit einer Dämmung lösen. Das würde gleich ein weiteres Problem beseitigen, das zahlreiche Dachgeschossbewohner im Sommer plagt: die Hitze, die auch in der Nacht kaum verschwindet.

Viele Experten betrachten Dämmung als günstige Lösung für energetische Probleme am Bau. Doch abgesehen von vielen Quadratmetern Dämmmaterial brauchen die Gebäude dann gleich neue Fenster und eine neue Heizung. Das treibt den Preis für die energetische Sanierung rasch hoch. In vielen Gebäuden ist eine effektive Dämmung auch wegen des Denkmalschutzes nicht möglich. Und so brüten zahlreiche Dachgeschossbewohner der Republik weiter vor sich hin und heizen zum Fenster hinaus. 

Wäre da nicht das Klimaproblem, könnte das vermutlich noch Jahrzehnte so weitergehen. Mindestens vier Millionen Gebäude müssen in den nächsten Jahren gedämmt werden, um die Klimaziele zu erreichen, zu denen sich die Bundesregierung verpflichtet hat, ergab eine Studie im Auftrag des Immobiliendienstleisters McMakler 2021. Doch warum die Fassade dämmen, wenn sich das Ziel anders erreichen lässt?

Man könnte auch einfach Kapillarrohrmatten von Geoclimadesign aus dem brandenburgischen Fürstenwalde verlegen, die sich an praktisch alle baulichen Bedarfe anpassen lassen. „Kapillarrohre – also ganz feine Röhren aus Polypropylen sind nicht neu“, stellt Vorstandsvorsitzende Antje Vargas gleich klar. „Die sind Stand der Technik und schon seit Jahrzehnten im Handel zu kaufen.“ Analog zu den allerfeinsten Blutgefäßen in der menschlichen Haut, nach denen die Röhrchen benannt sind, sind sie ultrafein.

Ebenfalls nicht neu, aber praktisch unbekannt ist die Möglichkeit, eine Flächenheizung nicht nur im Fußboden einzubauen. „Selbst Baufachleute, die es besser wissen könnten, denken beim Wort Flächenheizung ausschließlich an Fußbodenheizung“, führt Vargas aus. Bei der Klimadecke verlaufen die Kapillarröhrchen des Bluemat-Systems von Geoclimadesign über die ganze Fläche hinweg parallel zueinander im Abstand von ein bis zwei Zentimetern. Die Kapillarrohrmatten sind flexibel. So legen sie „sich geschmeidig an Oberflächen an und übertragen die Wärme oder Kälte besonders schnell“, lässt sie auf der Internetseite ihres Unternehmens wissen.

„Was wir tatsächlich neu entwickelt haben, ist die Doppelfunktion dieser Kapillarrohrmatten aus Heizen und Kühlen“, sagt Vargas. Die derzeit bis zu 20 Beschäftigten in der Produktion stellen die je nach Raumlänge bis zu zwölf Meter langen Kapillarrohrmatten als Kern des Komplettsystems her. Auch die für das System nötigen Rohre, Muffen, Kappen, Winkel, Übergangsstücke, Verschraubungen und Verteiler legt das Unternehmen auf genau das geplante Projekt hin aus. Mit im Lieferumfang des Zuleitungs- und Verteilerkits sind ebenfalls Rohrschere und Muffenschweißgerät sowie die nötigen Planungsunterlagen.

Einfach aufgehängt

„Unsere Lösung funktioniert nach dem Plug-and-Play-System“, erklärt Vargas. Geoclimadesign verkauft sie an Fachunternehmen – Heizungsbauer oder Bauunternehmer –, die sie für ihre Kunden beispielsweise in Einfamilienhäusern installieren und an Bauherren und Generalunternehmer für den Einbau in größeren Projekten. „So machen wir es seit der Gründung 2007“, sagt Vargas.

Die Kapillarrohrmatten werden als Flächenheizung im Dach aufgehängt, wie es im Fachjargon heißt. „Sie werden innen unter der bestehenden Decke angebracht und darunter Gipskartonplatten verlegt“, erläutert die Firmenchefin und -mitgründerin. „Unsere Kapillarrohrmatten liegen dann in dem Zwischenraum.“ Diese Lösung ist fünf Zentimeter dick. Soll die Decke beispielsweise eine Akustikfunktion erfüllen oder mit Lehm gebaut werden, kommt eine robustere Variante zum Einsatz, die einfach verputzt werden kann. Diese Lösung ist zwei Zentimeter dick. Schon wegen der Einbauweise ist die laut Vargas auch korrosionsbeständige Heiz- und Kühllösung von Geoclimadesign günstiger als eine energetische Sanierung mit vollständiger Fassadendämmung und Heizungsaustausch, weil keine umfangreichen Baumaßnahmen notwendig werden.

Und dann ist da der Wirkungsgrad. „Dank unseres Kapillarröhrchensystems haben unsere Matten ein extrem große wärmewirksame Oberfläche und heizen den Raum so vergleichsweise günstig“, erklärt die studierte Ökonomin, die in der ehemaligen DDR bereits Polyolefine wie etwa das Polypropylen für ihre Röhrchen im- und exportiert hat. Im Sommer werden die Kapillarröhrchen mit 16 Grad kühlem Wasser durchspült und treten mit 18 Grad aus. „Die stille Kühlung fällt dann sanft in den Raum hinein“, schwärmt die Firmenchefin. „Mit einer Wärmepumpe zusammen spart unsere Lösung im Vergleich zu einer Lösung mit Wärmepumpe plus Heizkörpern bis zu 50 Prozent Primärenergie.“

Hinzu kommen die kreislaufwirtschaftlichen Vorteile. „Die Wärme- und Kühllösungen von Geoclimadesign sind eine Schlüsseltechnologie innerhalb der Gebäudeenergietechnik und sind einfach rückbaubar und recyclefähig“, erklärt Vargas. Wegen dieses Vorteils durfte sie 2022 mit SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz und der grünen Bundesumweltministerin Steffi Lemke auf China-Reise gehen. Die Süddeutsche Zeitung bezeichnete Vargas dafür als „eine der überraschendsten Personen des Jahres“.

Vom Haus über das Wohnquartier, Firmengebäude und Industriebauten bis Krankenhäusern sind hierzulande bereits Wärme- und Kühllösungen von Geoclimadesign verbaut. Und der Einbau des Kapillarrohrheiz- und kühlsystems funktioniert auch in denkmalgeschützten Gebäuden. „Denn Sie brauchen eine Gebäudefassade mit unserer Lösung überhaupt nicht zu dämmen.“

Um das mal richtig zeigen zu können, hat sich Geoclimadesign die Spreemühle Fürstenwalde als Firmensitz ausgesucht, die größte Wassermühle an der Spree. Der denkmalgeschützte rote Backsteinbau, Firmensitz seit 2010, wurde von 1837 an in mehreren Bauabschnitten errichtet und diente bis in die 1990-er Jahre als Getreidemühle. „Seit kurz nach der Wende stand das Gebäude leer“, erinnert sich Vargas, „es galt als nicht sanierbar.“ Die Gebäudehülle mit den schwarz glasierten Ziegelbändern hat Geoclimadesign von 2008 bis 2010 im Detail originalgetreu restauriert und das gesamte Gebäude mit einer Klimadecke aus Kapillarrohrmatten zum Heizen und Kühlen ausgestattet. „Der Energiebedarf im Gebäude ist circa 40 Prozent geringer als mit herkömmlichen Wärmeverteillösungen“, sagt die Chefin. Dafür erhielt das Unternehmen 2013 den Landespreis für Denkmalpflege.
„Ganz Europa ist voll mit diesen wunderschönen Gebäuden“, sinniert Vargas und schränkt gleich ein: „Wichtig ist uns, dass das Wachstum nachhaltig und gut zu bewältigen ist.“ Um Engpässe bei den Kunden auszugleichen, hat Geoclimadesign die Schwestergesellschaft Geo Direkt gegründet. „Die ist als Wärmepumpenspezialist auch dazu da, Fachkräftelücken auf Handwerkerseite für unsere Kunden zu füllen“, sagt Vargas.
 

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