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Technologie > Energie aus Kernspaltung

Neustart der Atomindustrie – in Frankreich

Das Nachbarland beschleunigt den Bau von Atomkraftwerken. Paris rechnet damit, mehr Atomstrom nach Deutschland exportieren zu können. In Deutschland dagegen findet sich selbst für den Rückbau der Kernkraftwerke kaum Personal. Es gibt aber einen Hoffnungsschimmer.

Französisches Atomkraftwerk
Der Eingang des Atomkraftwerks bei Nogent-sur-Seine in Frankreich mit zwei Kühltürmen: Frankreich beschleunigt den Bau von Atomkraftwerken. Bild: Shutterstock

Deutschland hat abgeschaltet, aber das Nachbarland Frankreich will den Bau neuer Atomreaktoren beschleunigen. Die Nationalversammlung in Paris hat jetzt ein Gesetz verabschiedet, das weniger bürokratische Hürden für den von Präsident Emmanuel Macron angekündigten Bau von sechs neuen Reaktoren bis 2035 vorsieht. Sie sollen in der Nähe bereits bestehender Atomkraftwerke errichtet und dafür die Genehmigungsverfahren abgekürzt werden. Die Eile ist nicht zuletzt deswegen geboten, weil Frankreich damit rechnet, auch dauerhaft mehr Strom nach Deutschland liefern zu können.

Die Franzosen beschreiten damit den genau umgekehrten Weg von dem, den die Deutschen gehen. Hierzulande sind die letzten Reaktoren im April abgeschaltet worden. Mit dem politischen Aus für die Kernspaltung, hat sich auch die deutsche Industrie aus dem Thema verabschiedet. Forschung und Startups, die in diesem Bereich unterwegs waren, haben dem Land den Rücken gekehrt.

Ganz anders in Frankreich: 399 Abgeordnete stimmten für das Gesetz zum schnelleren Krankraftwerke-Bau, neben Macrons Regierungspartei auch die Rechtspopulisten vom Rassemblement National, die konservativen Republikaner und die Kommunisten. 100 Nein-Stimmen kamen von Grünen und Linkspopulisten. Die Sozialisten enthielten sich. Neben kürzeren Genehmigungsverfahren wird mit dem neuen Gesetz auch das seit 2015 geltende Ziel abgeschafft, den Anteil von Atomstrom bis 2035 von mehr als 70 bis auf 50 Prozent herunterzufahren. Außerdem wird die zum selben Zeitpunkt beschlossene Höchstgrenze für Atomstrom gekippt, die bisher bei 63 Gigawatt lag. Macron begründet seine expansive Atompolitik damit, dass Atomkraft emissionsarm sei und zur unabhängigen Energieversorgung beitrage. Umweltschützer allerdings sind empört: Greenpeace sprach von einem Neustart der Atomindustrie, den Frankreich „mit Gewalt“ durchsetzt.

Energieministerin Agnès Pannier-Runacher hält dagegen. Im Parlament sagte sie: „Die Wiederbelebung unserer Kernenergiebranche bedeutet, die Umwelt zu schützen. Wie kann man sich als Umweltschützer bezeichnen, wenn man fossile Energien den kohlenstofffreien Energien vorzieht?“ Das Ziel sei es, die Fähigkeit zu schaffen, Strom zu wettbewerbsfähigen Kosten zu produzieren – und zu exportieren. So hat Frankreich im Mai, dem ersten vollständigen Monat nach dem Ausschalten der deutschen Kraftwerke, nach Daten der Bundesnetzagentur rund 1,4 Millionen Megawattstunden Strom nach Deutschland exportiert. Das Land verfügt über 56 Kernkraftwerke und ist nach den USA der zweitgrößte Atomstromproduzent weltweit.  Pannier-Runacher führt derzeit Gespräche mit 15 europäischen Staaten über die von Frankreich gegründete „Nukleare Allianz“.  Sie arbeitet unter anderem darauf hin, die Abhängigkeit von russischem Kernbrennstoff zu verringern, denn noch immer ist Russland wichtiger Lieferant von Uran, der Handel unterliegt keinen Sanktionen. Deutschland ist nicht im Kreis der „Nuklearen Allianz“ vertreten.

Hierzulande herrscht zumindest beim Thema Energiegewinnung aus der Kernspaltung Totentanz. Einer der letzten Experten auf dem Gebiet ist Markus Roth, Physik-Professor und Leiter des Instituts für Kernphysik an der Technischen Universität Darmstadt. „Der Forschungsbereich Kernspaltung findet in Deutschland de facto nicht mehr statt“, sagt er. „Selbst für den Rückbau der Kernkraftwerke haben wir so gut wie keine Experten mehr.“ Mit Blick auf Frankreich stellt er fest: „In anderen Ländern wird es weitergehen. Deutsche Startups aus diesem Bereich sind deswegen bereits abgewandert, etwa nach Kanada. Und selbst die großen deutschen Konzerne wie Siemens lassen das Thema ruhen.“

Allerdings hat Roth noch einen Trumpf im Ärmel. Er ist wissenschaftlicher Leiter von Focused Energy, einem Unternehmen, das als Ausgründung der Uni entstanden ist und inzwischen mit seinen Forschungen an der lasergestützten Kernfusion international für Aufsehen sorgt. Die Forschung an der Kernfusion wird im Gegensatz zur Kernspaltung auch von der Bundesregierung weiter unterstützt, weil sich hier möglicherweise eine saubere Energiequelle für die Zukunft auftut. „Wir als Unternehmen sind weltweit führend im Bereich der Laserfusion“, sagt Roth und stößt damit sogar bei der Bundesregierung auf offene Ohren. „Wenn es um staatliche Fördermittel geht, war das in Deutschland lange politisch nicht gewollt. Ein Teil der Technologie war geheim, weil sie auch militärisch genutzt werden kann. Doch das ändert sich jetzt, da unser Verfahren keine militärische Komponente hat. Der Zug verlässt den Bahnhof und kommt ins Rollen. Wir hoffen, dass er Fahrt aufnimmt.“

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