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Energie & Rohstoffe > Elektroautos

Warum E-Autos unter Fettleibigkeit leiden

Was jahrelang bei Verbrenner-Fahrzeugen galt, setzt sich jetzt bei E-Autos fort: Die Vehikel werden immer größer und schwerer. Die Autohersteller machen damit den Trend zu mehr Nachhaltigkeit zunichte. Die Kunden wollen es offenbar so.

Wie grün sind Elektroautos wirklich? Der Fisker Ocean Bildquelle: Shutterstock

Der Autor dieser Zeilen hatte gerade das bittersüße Vergnügen, in einem neuen Elektro-Geländewagen vom Typ Fisker Ocean an der amerikanischen Pazifikküste entlangzufahren, wobei ihm der Wind durch die verbliebenen Haare wehte. Süß, weil er im „Kalifornien-Modus" unterwegs war - eine raffinierte Funktion, die auf Knopfdruck alle Fenster, einschließlich der Heckscheibe, herunterlässt, das Solardach zurückfährt und das Auto in ein Cabrio verwandelt, das einem rein elektrischen Fahrzeug am nächsten kommt. Bitter, denn nachdem er das Testfahrzeug zurückgegeben hatte, musste er mit seinem Kia Niro nach Hause fahren, der kleiner ist, eine geringere Reichweite hat und kein offenes Dach besitzt - nennen wir es den „Regenmodus für Großbritannien". Der Trost war, dass er etwa eine Tonne leichter ist, und wenn man ein Elektroauto fährt, um zu signalisieren, dass man kohlenstoffarm ist, sollte es eher ein Feder- als ein Schwergewicht sein.

Aber das gibt es eben leider selten. Schauen Sie sich nur die künftige Produktpalette an, die das Elektroauto-Startup Fisker am 3. August vorgestellt hat. Dazu gehörten: eine aufgemotzte, geländegängige Version des Ocean, die laut Henrik Fisker, dem dänischen Mitbegründer des Autobauers, für eine Monstertruck-Rallye geeignet wäre; ein „Supercar" mit einer Reichweite von 1000 Kilometern und ein Pickup-Truck, der direkt aus „Yellowstone" stammt - komplett mit Cowboyhut-Halter. Zugegeben, es gab auch einen erschwinglichen Sechssitzer namens Pear. Aber obwohl Fisker sagt, dass Nachhaltigkeit eines seiner Gründungsprinzipien ist, frönt das Unternehmen einem Charakterzug, der fast allen Autofirmen eigen ist: Es baut größere, wuchtigere Autos, selbst wenn sie elektrisch sind.

Hierfür gibt es zwei Gründe. Der erste ist der Profit. Wie bei herkömmlichen Autos lassen sich mit größeren Elektroautos höhere Gewinnspannen erzielen. Der zweite ist die Vorliebe der Verbraucher. Seit Jahrzehnten entscheiden sich Autofahrer eher für SUVs und Pickups als für kleinere Autos, und das gilt nun auch für batteriebetriebene Autos. Fahrer von Elektroautos, die sich über die Verfügbarkeit von Ladeinfrastrukturen Sorgen machen, wollen mehr Reichweite und daher größere Batterien. Das Beratungsunternehmen Bnef geht davon aus, dass die durchschnittliche Batteriegröße zwischen 2018 und 2022 weltweit um zehn Prozent pro Jahr zugenommen hat. Das kann dazu beitragen, dass die Fahrt beruhigender wird, weil die Reichweite steigt. Doch irgendwann wird sich der Trend zur Überdimensionierung als unhaltbar und unsicher erweisen.

Schon jetzt grenzt es ans Lächerliche. Die Elektroversion des Hummer von General Motors wiegt mehr als 4000 Kilogramm, fast ein Kia Niro mehr als sein nicht-elektrisches Gegenstück. Seine Batterie allein ist so schwer wie ein Honda Civic. General Motors hat außerdem kürzlich einen 3800 kg schweren Chevrolet Silverado Elektro-Pickup vorgestellt, der einen Traktor ziehen kann und eine Reichweite von bis zu 720 km hat. In diesem Jahr will Tesla die Produktion seines elektrischen „Cybertruck" aufnehmen, den Firmenchef Elon Musk als knallharten, futuristischen „gepanzerten Mannschaftstransporter" bezeichnet. Solche Muskeltrucks könnten der Preis sein, den man zahlen muss, um Fahrer von Pickups davon zu überzeugen, elektrisch zu fahren. Doch auch für Vorstädter ist die Größe wichtig. Die Internationale Energieagentur, eine offizieller Prognoseinstitution, hat errechnet, dass im vergangenen Jahr mehr als die Hälfte der weltweit verkauften Elektroautos SUVs waren.

Im Moment können die Autohersteller argumentieren, dass die Elektroautos, egal wie groß sie sind, einen positiven Einfluss auf den Planeten haben. Obwohl die Herstellung von Elektroautos - einschließlich der Beschaffung von Metallen und Mineralien - mehr Treibhausgase erzeugt als die eines konventionellen Autos, gleichen sie dies durch das Fehlen von Auspuffemissionen schnell wieder aus. Lucien Mathieu von Transport and Environment, einer europäischen Nichtregierungsorganisation, sagt, dass selbst die größten E-Fahrzeuge während ihrer gesamten Lebensdauer geringere Kohlendioxidemissionen aufweisen als ein durchschnittliches konventionelles Auto. Das gilt sogar in Ländern mit viel Kohlestrom, wie etwa in China.

Langfristig könnte sich der Trend zu größeren Batterien jedoch aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen rächen. Erstens: Je größer die Batterie, desto mehr Druck wird auf die Lieferkette ausgeübt. Wenn die Batterien größer werden, wird es wahrscheinlich zu einer Verknappung von Lithium und Nickel kommen. Das wird die Kosten für Lithium-Ionen-Batterien in die Höhe treiben und die Rentabilität der Automobilhersteller untergraben.

Zweitens erfordert das kohlenstoffneutrale Aufladen größerer Batterien mehr kohlenstoffarmen Strom. Das kann zu Engpässen im Stromnetz führen. Drittens: Je mehr Druck auf die knappen Ressourcen ausgeübt wird, die für die Produktion von Elektroautos unerlässlich sind, desto schwieriger wird es sein, erschwingliche Elektroautos herzustellen, die für die Elektrifizierung des Massenmarktes entscheidend sind. Das wird die allgemeine Dekarbonisierung des Verkehrs verlangsamen. Schließlich ist da noch der Aspekt der Sicherheit. Ein Kampfpanzer, der innerhalb eines Wimpernschlags von Null auf 100 Stundenkilometer beschleunigt, ist nicht nur eine Gefahr für jeden, der sich ihm in den Weg stellt. Reifen, Bremsen und die Abnutzung auf der Straße erzeugen auch gefährliche Schadstoffe, die umso schlimmer werden, je schwerer die Fahrzeuge sind.

Die Regierungen haben verschiedene Möglichkeiten, den Absatz von Elektrofahrzeugen zu fördern. Die wichtigste ist die Unterstützung des Ausbaus der Ladeinfrastruktur, was die Reichweitenangst verringern und kleinere Autos fördern würde. Steuern könnten schwerere Fahrzeuge bestrafen und Subventionen könnten leichtere Fahrzeuge fördern. Auf lokaler Ebene könnten Stau- und Parkgebühren ähnliche Auswirkungen haben. Zumindest könnten die Automobilhersteller verpflichtet werden, die Energie- und Materialeffizienz ihrer Fahrzeuge zu kennzeichnen, wie es die Hersteller von Haushaltsgeräten in der Europäischen Union tun.

Letztendlich wird die Industrie mit ziemlicher Sicherheit erkennen, dass das Streben nach Größe um ihrer selbst willen töricht ist. Der Groschen fällt allmählich. Der Vorstandsvorsitzende von Ford, Jim Farley, sagte kürzlich, dass die Autohersteller mit Batterien der größten Reichweite kein Geld verdienen können. Seine Amtskollegin bei General Motors, Mary Barra, hat den unerwarteten Schritt unternommen, den Plan zur Einstellung des erschwinglichen Chevy Bolt rückgängig zu machen. In Europa bauen Autohersteller wie Volkswagen kleinere, billigere Elektroautos. Tesla plant angeblich ein Kompaktmodell, das in Mexiko hergestellt werden soll.

Der Druck kommt teilweise von der Konkurrenz. Felipe Munoz von Jato Dynamics, einem Beratungsunternehmen für die Automobilindustrie, sagt, dass China die Effizienz der Batterien höher bewertet als ihre Größe und hofft, mit leichteren, billigeren Marken wie BYD auf den Überseemärkten Fuß zu fassen. Innovationen bei Batterien, die auf Festkörper- oder Natrium-Ionen-Chemie basieren, könnten E-Autos ebenfalls effizienter machen. Vorerst aber werden Autofahrer, die das Geld dafür haben, zweifelsohne gerne in einem großen SUV oder Monstertruck mit ihrer Umweltfreundlichkeit prahlen. Und das machen sie so lange - bis sie merken, dass sie damit dem Rest der Menschheit den Zugang zur Elektrifizierung erschweren.

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Aus The Economist, übersetzt von der Markt & Mittelstand Redaktion, veröffentlicht unter Lizenz. Der Originalartikel in englischer Sprache ist zu finden unter www.economist.com

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