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Kunden & Märkte > Einbrechende Auftragslage

Blues am Bau

Eine ganze Branche steckt in der Krise. Selbst im reichen Südwesten werden Projekte gestrichen, Pläne verworfen. Nur im Handwerk feiern sie eine Auftragsflut – noch.

Baustelle
Die Baustelle ruht: Nach Jahren der Hochkonjunktur erlebt die Branche gerade einen dramatischen Einbruch – wegen steigender Materialkosten und des satten Zinsplus. Bild: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Robert Michael

Gerichte brauchen manchmal etwas länger und sprechen Urteile, wenn wenn der Fall an sich schon erledigt ist. Und so kommt es, dass das Verwaltungsgericht im schwäbischen Sigmaringen noch im März die Stadt Ulm dazu verurteilt, ein Vergabeverfahren im Stadtteil Jungingen neu zu beginnen. Geklagt hatte einer der 1700 Interessenten, die jeweils eins der insgesamt 40 Grundstücke haben wollten. Die Gegend ist begehrt, weil im nahen Ulmer Science Park Hunderte Stellen für Entwickler, Wissenschaftler und Softwareexperten entstehen – und die sollen schließlich irgendwo wohnen. Doch die Entscheidung der Richter kommt zu einer Zeit, in der die meisten Interessenten längst wieder abwinken. Hohe Zinsen und Baukosten, die dramatisch steigen, belasten die Bauherren. Selbst in Baden-Württemberg – dem Paradies der Häuslebauer – geht nur noch wenig. Die Folgen für die verwöhnte Baubranche sind dramatisch. Sie hat den Blues.

Nicht nur in und um Ulm begraben potenzielle Bauherren ihren Traum vom Eigenheim und geben Grundstücke resigniert wieder zurück. Auch aus den Regionen Stuttgart, Böblingen, Aalen und Tübingen, wo bis vor Kurzem noch jeder Qua­dratmeter gefühlt mit Gold aufgerechnet wurde, häufen sich solche Meldungen. In Tübingen hatte Oberbürgermeister Boris Palmer (damals Grüne, heute parteilos) den Eigentümern von unbebauten Flächen sogar 2020 mit Zwangsmaßnahmen oder gar Enteignung gedroht, sollten sie das begehrte Bauland oder leer stehende Gebäude nicht zur Verfügung stellen.

Schwerer Schlag

Selbst finanzkräftigen Investoren wie die Energie Baden-Württemberg (EnBW) ist inzwischen die Lust am Bau vergangen. Im Stuttgarter Stadtteil Stöckach wollte der Versorger auf einem ehemaligen Werksgelände ein neues Viertel mit 800 Wohnungen für 2000 Menschen bauen. Jetzt denkt der Energieriese nicht einmal mehr daran, die dort brachliegenden Firmengebäude abzureißen: Zu teuer, heißt es aus der Konzernzentrale. „Das ist ein herber Schlag für die Stadt Stuttgart“, klagt Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU), der Ende 2020 mit dem Versprechen gewählt wurde, bis 2033 für 20.000 neue Wohnungen sorgen zu wollen.

Den Karlsruher EnBW-Konzern schreckt ab, was auch viele quält, die ein Eigenheim bauen wollen: Die Kreditkosten haben die Marke von vier Prozent überschritten, Tendenz steigend. Hinzu kommt, dass Baumaterial sich stetig verteuert. Auch die Branche selbst stöhnt und ahnt Böses. Vier von fünf Unternehmen der deutschen Bauwirtschaft mit insgesamt 2,5 Millionen Beschäftigten bezeichnen nach einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) die gestiegenen Kosten für Energie und Material als Risiko für ihre geschäftliche Entwicklung.

Der Immobilienriese Vonovia hat deshalb sogar bundesweit die Reißleine gezogen und für dieses Jahr alle Neubauprojekte abgesagt. Der Aktienkurs ist niedrig, der Konzern ist für Käufer ein Schnäppchen. „Bei Objekten, die wir früher für zwölf Euro Kaltmiete pro Quadratmeter anbieten konnten, müssten wir jetzt eher Richtung 20 Euro gehen, um unsere Kosten von 5000 Euro pro Quadratmeter hereinzuholen“, rechnet Daniel Riedl vor, der im Vorstand für das Neugeschäft zuständig ist. Diese Mieten seien in weiten Teilen Deutschlands „völlig unrealistisch“.

Der Staat soll helfen

Der Ausgleich von Angebot und Nachfrage ist am Bau völlig aus den Fugen geraten. Allein in Baden-Württemberg fehlen 70.000 Wohnungen. Bundesweit sind es mehr als 700.000. Tendenz steigend, denn die deutsche Wirtschaft sucht händeringend neue Fachkräfte und wirbt im Ausland kräftig. Zudem brauchen mehr als eine Million Flüchtlinge ein Dach über dem Kopf. Doch Bauen ist unbezahlbar geworden. „Ohne Förderung und Anschub kann man diese Immobilien nicht errichten“, erklärt Thomas Möller, Hauptgeschäftsführer der Bauwirtschaft im Südwesten. Auf den Anschub warten die Bauwilligen jedoch vergeblich: So hatte Baden-Württemberg für dieses Jahr knapp eine halbe Milliarde Euro Fördergeld für den sozialen Wohnungsbau bereitgestellt. Es war bereits Mitte Mai vergriffen. Erst im kommenden Jahr soll neues Geld fließen. Auch die Töpfe in Berlin sind weitgehend leer.

Die Mai-Auswertung der Branche beschreibt, mit welchen Problemen die Bauindustrie selbst im finanzstarken Südwesten zu kämpfen hat. Der öffentliche Bau schrumpfte im März im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 18,3 Prozent. Noch dramatischer ist es beim Wohnungsbau: Er lag fast ein Drittel (29,3 Prozent) unter dem Vorjahreswert. Völlig klar: Die Branche steckt tief in der Rezession. Um den konjunkturellen Albtraum zu beenden, fordert die Bauwirtschaft von der Politik gezielte Gegenmaßnahmen. „Im Wohnungsbau müssen die KfW-Fördermittel deutlich aufgestockt werden. Ein sinnvoller Schritt wäre auch der Verzicht auf die Grunderwerbssteuer beim Ersterwerb einer selbst genutzten Immobilie“, sagt Holger Braun, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Bauwirtschaft Baden-Württemberg.

Trotz der üblen Lage gilt in vielen Unternehmen offenbar Aussitzen als das Gebot der Stunde. Nach einer Studie der Commerzbank glauben zwei Drittel in der Baubranche, dass sie mit den bisherigen Strategien die Krise überstehen. Kein anderer Wirtschaftszweig zeigt sich so behäbig. Im Einzelhandel glauben das nur 40 Prozent. Im Schnitt sieht sich nur jedes zweite der 1500 befragten deutschen Unternehmen für die Zukunft gut gerüstet.

In der Bauwirtschaft wird spekuliert, dass der Auftragseinbruch zuerst die ausländischen Subunternehmen schwer treffen wird. Die hängen vor allem am Massengeschäft rund um die jetzt abgesagten Neubauten. Gleichwohl machen sich die Folgen der Rezession auch bei den heimischen Betrieben bemerkbar. Im März meldeten 246 Betriebe aus dem Baugewerbe Insolvenz an – ein Fünftel mehr als noch im Vorjahresmonat. Viele haben auch einfach zugesperrt und machen nie mehr auf. Solche Firmen erscheinen gar nicht in dieser Statistik.

Die Krise am Bau müsste auch das angeschlossene Handwerk aufschrecken – tut sie aber nicht. „Ich befürchte, das kommt ein großer Einbruch auf uns zu, den heute keiner sehen will“, warnt Rainer Reichhold, Präsident des Baden-Württembergischen Handwerkstages (BWHT), der 140.000 Betriebe mit 800.000 Beschäftigten vertritt. Tatsächlich treibt viele Betriebe eine andere Sorge um: „Wir können gar nicht alle Aufträge annehmen, die wir bekommen“, sagt Joachim Krimmer, der in Leutkirch einen Heizungs- und Sanitärbetrieb führt und ehrenamtlich der Handwerkskammer Ulm vorsteht. Wie viele seiner Fachkollegen erlebt er, wie verunsicherte Hausbesitzer wegen der Politik der Bundesregierung neue Heizungen und Wärmepumpen einbauen lassen wollen. So leidet Handwerksmeister Krimmer ebenfalls – wenn auch ganz anders: „Wir können nicht schlafen, weil wir nicht wissen, wie wir die Leute bedienen sollen.“

Abstruse Folgen

Der politisch entfachte Boom bei den Wärmepumpen hat abstruse Folgen: Kostenvoranschläge sind das Papier nicht wert, auf dem sie ausgedruckt werden. „Allein in den vergangenen drei Monaten sind die Materialkosten um 20 bis 30 Prozent gestiegen“, sagt Krimmer. Fachbetriebe wie der von Krimmer haben ihre Lager ausgebaut, weil immer wieder Teile fehlten. Das bindet jedoch teures Kapital und treibt die Kosten weiter hoch. „Unter diesen Voraussetzungen kann keiner vorab genau kalkulieren“, entschuldigt Krimmer, warum die Sanierung einer Heizung oder eines Bads für den Kunden zur Lotterie geworden ist. Auf die lassen sich viele nur ein, weil sie froh sind, überhaupt jemanden zu finden, der die Arbeiten übernimmt. Lieber einbauen und hinterher sehen, was es kostet, als keine neue Anlage.

Die Lage verschärft noch eine Art Schlussverkaufsstimmung rund um Gas- und Ölheizungen. Weil sie in ein paar Jahren nicht mehr eingebaut werden dürfen, wollen einige jetzt noch schnell eine der alten Anlagen einbauen lassen. Das treibt die Preise um zweistellige Prozentwerte in die Höhe. „Die Politik löst derzeit Chaos an den Märkten aus“, klagt BWHT-Hauptgeschäftsführer Peter Haas. Am Ende müssten das die Betriebe vor Ort ausbaden und sich im Heizungskeller beschimpfen lassen.

Böses Ende

Auch in anderen Handwerkszweigen läuft es noch: „Im Ausbau- und Sanierungsgeschäft ist die Krise am Bau noch nicht angekommen“, bestätigt Thomas Bürkle, Vizepräsident des Zentralverbandes der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke (ZVEH). Die meisten Betriebe seien bis ins Jahr 2024 hinein ausgebucht. Bürkle, der selbst in Stuttgart einen Elektrofachbetrieb mit gut 100 Beschäftigten führt, sieht im Einbruch des Bauhauptgewerbes allerdings eine große Gefahr für die erfolgsverwöhnten Handwerker mit meist wenigen Beschäftigten. „Große Unternehmen werden bald versuchen, Aufträge abzuschöpfen, um die eigene Kostensituation aufzubessern.“ Normalerweise sei das kleinteilige Sanierungsgeschäft nicht attraktiv. Aber in der Krise sei jeder Deckungsbetrag willkommen, meint Bürkle. „Da droht kleineren Betrieben dann ein harter Verdrängungswettbewerb.“ Das sei für das Handwerk und für die Kunden gleichermaßen keine gute Entwicklung. Denn: „Wenn es wieder besser läuft, sind die Großen wieder weg“, sagt Bürkle, zurück zu lukrativeren Großaufträgen. Und das kleinteilige Sanierungsgeschäft? „Am Ende bleibt dann eine große Lücke.“

Vieles deutet darauf hin, dass das Bauhandwerk freudig die guten Geschäfte feiert, während sich das böse Ende der Party schon andeutet. Südwest-Handwerkschef Reichhold befürchtet, dass viele seiner Kollegen leiden werden. Spätestens wenn die jetzt noch reichlich vorhandenen Aufträge abgearbeitet sind. „Ich mahne schon länger, dass dann harte Zeiten kommen“, sagt er. Immer weniger Leute hätten das Geld für neue Projekte. Oder sie legen es zurück in der Hoffnung, dass die hohen Zinsen irgendwann wieder fallen werden. So erleben die Bausparkassen eine starke Nachfrage nach neuen Verträgen. Abgerufen wird hingegen immer weniger Geld. BWHT-Hauptgeschäftsführer Haas sieht in der politisch befeuerten Verunsicherung einen zusätzlichen Grund, warum auch im Sanierungsgeschäft die Party schnell vorbei sein könnte. „Wir hören, dass Energieberater den Eigentümern davon abraten überhaupt noch etwas zu machen, weil man nicht weiß, wie was kommen wird.“

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