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Zukunftsmärkte > Historiker warnen Scholz

Jede zweite Rezession hat die Regierung nicht überlebt

Deutschland steckt wirtschaftlich in der Klemme. Doch was den Menschen gegenwärtig schlimm erscheint, ordnen Historiker ein und sagen: Es war schon schlimmer. Und regelmäßig haben harte Rezessionen sogar die Regierung weggefegt. Eine Stimme allerdings macht Hoffnung.

Bundeskanzler Olaf Scholz wird wissen, dass Rezessionen für Kanzler nicht immer gut ausgehen.

Christoph Blocher ist das, was „Urgestein“ heißt: Der Schweizer Unternehmer, Milliardär, Besitzer eines Schlosses in den tiefen Bergen und Volkspartei-Politiker hat das, was manchen Eidgenossen auszeichnet: Eine Liebe zur Heimat verbunden mit einer Weitsicht in die Welt. Mit der Ems-Chemie hat er einen der erfolgreichsten Konzerne des Nachbarlands aufgebaut und in diesen Tagen hat der 82jährige mal wieder ein Interview gegeben - über Deutschland.

Warum die Deutschen so besessen vom eigenen Untergang seien und ob er Licht am Horizont sehe, wollte „Weltwoche“-Chef Roger Köppel von ihm wissen. Blocher machte eine Kunstpause und sagte dann: „Der politische Oberbau wackelt. Es hat tüchtige Unternehmer, denen von den Politikern so viele Steine in den Weg gelegt werden, dass sie nicht mehr gehen können. Eines Tages wird das enden. Und dann sind sie schnell wieder oben. Denn es ist ein tüchtiges Volk.“

Was der alte weise Mann aus dem Nachbarland anspricht, ist nicht nur das Wechselspiel zwischen Politik und Wirtschaft, es ist auch das Auf und Ab von Boom und Rezession und die Konjunkturzyklen dazwischen. Blocher kennt das seit Jahrzehnten und die simple Analyse, das nach dem Abstieg stets der Aufstieg folgt, hat etwas Tröstliches - selbst für „untergangsbesessene“ Deutsche. Ökonomen wie der inzwischen emeritierte Professor Ullrich Heilemann von der Universität Leipzig haben sie genauer untersucht.

Rezessionen „hinterlassen in vielen Lebensbereichen deutliche Spuren, die Besorgnis der Bevölkerung erreicht Höchststände“, stellt er fest und hat eine interessante Entdeckung gemacht, die wiederum an die Analyse des Schweizers erinnert: „In der Bundesrepublik Deutschland kam es in der Hälfte aller Rezessionen zum Regierungswechsel.“ Längere Perioden rezessionsfreier Entwicklung führten regelmäßig zu der Erwartung, dies sei von Dauer und jedes Mal wurden die Erwartungen umgehend enttäuscht. „Auch Prognostiker blicken nur ungern zurück, und die Politik vergisst ohnehin rasch.“

Darum zur Erinnerung: Krisen, Rezessionen bis hin zu einer verbreiteten Hoffnungslosigkeit haben die Deutschen seit Kriegsende bislang einige gemeistert. Hausgemachte waren darunter und solche, an denen man sich angesteckt hatte. Wirtschaftshistoriker wie etwa Werner Abelshausen, viele Jahre Leiter des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Uni Bielefeld, können solchen Rezessionen etwas Positives abgewinnen: „Aus der Geschichte kann man lernen, dass Rezessionen Anpassungsreaktionen im Konjunkturzyklus sind, die einen gestörten Markt wieder in Ordnung bringen", sagte er einmal in einem Gespräch mit der SZ.

Die Jahre des deutschen Wirtschaftswunders waren Jahre der ungebrochenen Hochkonjunktur, bis hin zu jährlichen Wachstumsraten von 12 Prozent. 1966 endete das Wunder, erstmals seit 1949 brach das Wachstum ein. Die erste Rezession der Bundesrepublik führte angestoßen vom damaligen „Superminister“ Karl Schiller zur Verabschiedung des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes, das ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht als Staatsziel definiert. Stabile Preise, einen hohen Beschäftigungsgrad, ein Import und Export, der sich die Waage hält, sollen zu „angemessenem“ Wirtschaftswachstum führen.

Für den Staat bedeutet das noch immer gültige Prinzip, er muss im Boom sparen und in der Krise investieren zu können. Vor allem das erste klappt nie, weswegen das zweite, das Investieren in der Krise, regelmäßig zu spät kommt und die Rezession nicht verhindert, sondern allenfalls abmildert. Das Ende des Wirtschaftswunders, war auch das Ende der CDU geführten Bundesregierungen, Willy Brand übernahm 1969 das Ruder.

Anfang der 70er-Jahre erlebte die deutsche Wirtschaft einen Aufschwung, in dem sie zeitweise sogar Vollbeschäftigung erreichte. Diese Phase nahm aber mit dem Ölpreisschock ein jähes Ende: Die erdölproduzierenden Länder verhängten 1973 aus Protest gegen die Israel-freundliche Haltung der USA im Jom-Kippur-Krieg ein Lieferembargo. Der Ölpreis vervierfachte sich binnen fünf Monaten.

Vor allem die Automobilindustrie litt: 1974 konnte sie nur noch ein Viertel des Vorjahres absetzen. Das war damals ein Einbruch, von dem die deutschen Hersteller heute weit entfernt sind: Die Exporte gingen deutlich zurück, die Industrie drosselte die Produktion wegen der knappen Energievorräte, immer mehr Menschen wurden nur noch in Kurzarbeit beschäftigt. Erstmals erreichte die Arbeitslosigkeit die Million-Grenze. Mit Maßnahmen wie Sonntags-Fahrverboten, Tempolimits oder Einführung der Sommerzeit versuchte man die Abhängigkeit vom Öl zu mindern. Die Autoindustrie begann, ihren Fahrzeugen das Schlucken abzugewöhnen.

1980 führte die Revolution im Iran und der erste Iran-Irak-Krieg erneut zu Versorgungsengpässen. Erstmals machte die Bundesrepublik die Erfahrung einer negativen Leistungsbilanz, sie importierte mehr, als sie exportierte, sie gab mehr aus, als sie einnahm und reagierte mit hohen Investitionen in den Aufbau alternativer Energiequellen wie Kohle, Erdgas und vor allem Atomkraft, um sich vom Erdöl unabhängiger zu machen. Die von Helmut Schmidt geführte SPD-Regierung überstand die Krise nicht, sondern musste Helmut Kohls CDU weichen.

Die nächste weltweite Krise umschiffte Deutschland zunächst, weil 1990 die Wiedervereinigung eine Sonderkonjunktur auslöste. Als der Boom vorüber war, schlug die Krise auch auf Deutschland durch. In der Euphorie nach der Wiedervereinigung waren in den Firmen Überkapazitäten angehäuft worden. Hinzu kamen Lohnerhöhungen, die deutlich über dem Produktivitätszuwachs lagen. 1993 brach die Konjunktur schließlich ein. Die Arbeitslosigkeit stieg auf die bislang unbekannte Höhe von drei Millionen. CDU-Kanzler Helmut Kohl stolperte schließlich darüber, Gerhard Schröder gewann die Wahl mit seinem Versprechen, die Arbeitslosigkeit entscheidend zu senken.

Die nächsten Tiefpunkte folgten zuverlässig: Das Platzen der Internetblase im Jahr 2000, die Finanzkrise ab dem Jahr 2009, die Schuldenkrise ab 2012, schließlich Corona und nun der Ukraine-Krieg, dessen Auswirkungen sich mischen mit einer Politik, die mit aller Macht die Wirtschaft klimafreundlicher umbauen will und sie damit überfordert. Vergleiche machen deutlich, dass die Rezessionsverläufe unterschiedlich sind – und es so schlimm derzeit gar nicht aussieht. Zum Beispiel schrumpfte bei der Finanzkrise das deutsche Bruttoinlandsprodukt, also die gesamte Wirtschaftsleistung, um 5,7 Prozent. Aktuell rechnen Ökonomen mit einem Rückgang von 0,3 Prozent im ersten Quartal im Vergleich zum Vorquartal.

Ökonom Heilemann erkennt mit Blick auf die Datenreihen, dass die Rezessionen meistens im zweiten Quartal einsetzen und überwiegend im zweiten oder im dritten Quartal des Folgejahre vorbei sind. Das Vorkrisenniveau wurde allerdings meist erst ein Jahr nach Ende der Rezession wieder erreicht, bis sich der Arbeitsmarkt von einer Rezession erholt hat, dauert es noch länger. Im Durchschnitt verzeichnen etwa zwei Drittel aller Branchen einen Produktionsrückgang. Durchschnittlich ist die Wirtschaftsleistung in den vergangenen Rezessionen um 2,4 Prozent eingestürzt.

Daraus folgt: Wenn wir eine Durchschnittskrise erleben, wird es noch weiter abwärts gehen, bevor es wieder aufwärts geht und es wird auch erst Anfang nächsten Jahres wieder einen Lichtstreif am Horizont geben. Anders als bisher ist die schnelle Abfolge der Rezessionen: Gerade ist Corona vorbei, da bricht der Krieg im Nachbarland aus. Berater wie Falco Weidemeyer, Partner bei EY und Restrukturierungsexperte, sprechen inzwischen von einer „Stapelkrise“, wenn sie auf Deutschland schauen. Unternehmerisch komme man kaum hinterher. Die Idee, alle Feuer zu löschen, ist aussichtslos.

Früher war es so, erklärt Weidemeyer: „Wenn wir von einer Krise sprachen, dann meinten wir etwas Vorübergehendes, etwas, das man durchstehen muss, meistern kann, überwinden kann.“ Die Ursachen wurden analysiert, bekämpft und der Normalbetrieb wieder hergestellt. Doch dieses Rezept funktioniert nicht mehr. Nicht in der Politik, nicht in der Wirtschaft. Krise lasse sich als „Gegenseite der Transformation“ begreifen, sagt Weidemeyer. Sie stehe im Kontext einer tiefgreifenden unternehmerischen und gesellschaftlichen Veränderung.

„Entscheidungen müssten ganzheitlich auf Basis finanzieller, ökologischer, sozialer und geopolitischer Kriterien getroffen werden.“ Während Berater so klingen, fasst Unternehmer Blocher aus dem Nachbarland Schweiz seinen Eindruck so zusammen: „Die wirtschaftliche Leistung von Deutschland ist immer noch enorm. Das ist solide Qualitätsarbeit.“ Für ihn ist das der wichtigste Grund zu der Hoffnung, dass die Deutschen wieder auf die Beine kommen.

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