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Debatte > Fußball als Spiegel

Das verkrampfte Land

Sport ist Sport und Business ist Business. Aber in den desaströsen Auftritten der drei wesentlichen Fußballteams unseres Landes lassen sich erstaunliche Parallelen zum Wirtschaftsleben erkennen. Ein Kommentar von Thorsten Giersch.

Nach dem Ausscheiden der Frauen-Fußball-Nationalmannschaft herrschte Fassungslosigkeit.

Der Zustand der Fußballnationalmannschaften ist auch immer ein Spiegel der Gesellschaft: Die tollen Turniere 2010, 2012 und vor allem 2014 mit dem Gewinn des WM-Titels liefen parallel mit einer Nation im Aufschwung – raus aus den jeweiligen Krisen, es gab viel zu gewinnen, vergleichsweise wenig zu verlieren. Nach den blamablen Auftritten bei den vergangenen Weltmeisterschaften 2018 und im Winter 2022 sind die DFB-Männer heute genauso im Krisenmodus wie der Standort Deutschland. Und nach der wichtigen Jungnationalmannschaft U 21 sind in dieser Woche auch die hoch gehandelten Frauen in der Vorrunde ihrer Weltmeisterschaft ausgeschieden – hinter Marokko und Kolumbien wohlgemerkt.

„Wir wollen euch kämpfen sehen“ skandieren Fußballfans in den Stadien überall im Land, wenn ihr Team kurz davor ist, eine Enttäuschung zu fabrizieren. Bei den deutschen Fußball-Nationalmannschaften liegt die Sache anders: Was bisweilen wie mangelnder Kampfgeist aussieht, ist im Kern die pure Verkrampfung. Die Angst, etwas nicht zu erreichen, was eigentlich selbstverständlich ist. Und genau hier liegt die Parallele zur Wirtschaftsnation: Die Deutschen fürchten, dass sie im globalen Wohlstandsranking abrutschen. Sie merken, dass andere lieber sechs statt vier Tage pro Woche arbeiten, wenn es mal sein muss – sprich fleißiger sind, hungriger.

Die Deutschen spüren, dass andere Nationen in Zukunftstechnologien immer mehr Vorsprung gewinnen, dass wir überholt werden. Sie lesen in der Zeitung, dass Firmen ihre Produktion ins Ausland verlagern, wo Forschung und Entwicklung ohnehin schon betrieben wird. Inzwischen wird auch spürbar, was die demografische Entwicklung und das seit Jahren miese Bildungssystem bedeuten, nämlich dass es bei weitem nicht genug Personal gibt, mit denen man Organisationen nach vorne bringen kann.

Deutschland war mal meisterlich, dann immerhin noch Champions-League-Kandidat und droht nun allmählich, in den Abstiegskampf zu geraten. Eine Fußball-Mannschaft hat nun mehrere Möglichkeiten, wenn sie auf Widerstände trifft: Kämpfen, doppelt so hart trainieren, die Trainer bestmöglich ausbilden, die Fans hinter sich vereinen, mit gezielten Maßnahmen Spieler für sich gewinnen, die sonst nicht kommen würden – im Wirtschaftsleben wäre das die Erwerbsmigration.

Oder aber die Kickerinnen und Kicker verfallen in Schockstarre und spielen von 500 Pässen 300 quer und 150 nach hinten – wie zuletzt auch die Frauen-Nationalmannschaft. Es scheint so, dass die aktuelle Fußball-Generation in Deutschland versagt, wenn sie auf Widerstände trifft. Wenn alles läuft, zeigt sie ihr Potenzial, aber wehe, der Gegner macht einem das Leben mal so richtig schwer. Oder die Umstände. 

Das ist der Moment, wo Starre einsetzt. So wie es in der Gesellschaft derzeit überall zu beobachten ist. Kommt ein neuer Vorschlag, wird er zerrieben, zerredet, zerrissen. Ein Land verkrampft sich. Da streitet man monatelang über ein Heizungsgesetz und zig Themen, wo man sich nur fragen kann, ob Deutschland keine echten Probleme hat. So handeln Scheinriesen, die sich bekanntlich dadurch auszeichnen, dass sie auf den zweiten Blick kleiner sind als beim ersten.

Genau das trifft auf Deutschland zu, im Fußball wie im echten Leben. Nach Siegen werden Leistungen über Gebühr vergoldet und Kritiker auf stumm gestellt. Das ist bei den Frauen nach der guten EM 2022 in England passiert und bei den Männern 2014, genau wie übrigens auch 1990. So stark wie es der DAX an der Börse gerade gehandelt wird, ist die deutsche Wirtschaft als Ganzes in ihrer Struktur nicht.

Egal ob Fan oder Nicht-Fußballinteressierter – wir sollten Lehren daraus ziehen: Die Zeiten werden härter, Punkt. Fußballer verkrampfen, wenn sie das Gefühl haben, Selbstverständliches nicht zu erreichen. Egal ob auf dem grünen Rasen oder in der Wirtschaft: über diesen Punkt sind wir hinaus: wir verlieren längst! Nichts ist mehr selbstverständlich! Andere Nationen haben aufgeholt und überholt, auch weil sich die Menschen dort mehr anstrengen in dem Gefühl, viel zu gewinnen und wenig zu verlieren zu haben.

Es mag noch nicht allen klar sein und die Politik spricht solcherlei ungern aus, aber Deutschland ist im Verhältnis zu seinen Möglichkeiten schon ziemlich weit unten, definitiv kein Kandidat mehr fürs Finale. Dennoch können wir da hinkommen – man muss nur clever agieren und sich eben auch mal strecken.

 

Zumutbar ist dabei das Wort der Stunde: Wenn den deutschen ein Heizungsgesetz nicht mehr zumutbar ist, müssen wir uns auch fragen, welche Zumutungen anderen Ländern der Klimawandel abfordert. Wer auf die Faulheit der Generation Z schimpft, sollte mal die der Baby-Boomer fragen, wie ihre Geben-Nehmen-Bilanz aussieht. Oder die Alten im Ruhestand, ob so manche Rentenerhöhung im Sinne der Generationengerechtigkeit wirklich fair ist. Keine Alterskohorte hat das Recht, mehr zu jammern oder zu fordern als eine andere. Sondern sollte sich stattdessen fragen: Was hast du gemacht, als Deutschland seinen Wohlstand verspielte?

Für den Deutschen Fußball Bund (DFB) gilt spätestens im Sommer 2023: Tiefer kann die Fußballnation nicht fallen. Ab jetzt darf kein Stein auf dem anderen bleiben. Es gibt nur noch zu gewinnen, angefangen bei der Europameisterschaft 2024 im eigenen Land. Solche Wenden sind schon oft gelungen, Stichwort 2006. Warum nicht erneut? Weil es im Moment nicht so scheint, dass unsere satte Gesellschaft die notwendigen Veränderungen angehen will. Weil die meisten mehr zu verlieren haben als zu gewinnen – scheinbar.

Als Sergio Leone, Regisseur von „Spiel mir das Lied vom Tod“, mal gefragt wurde, was seine Italo-Western von anderen unterscheidet, antwortete er: Wenn im amerikanischen Western jemand am Fenster steht, blickt er auf eine aufstrebende Stadt, in eine gute Zukunft. Wenn bei meinen Filmen jemand am Fenster steht, weiß der Zuschauer: Der wird gleich erschossen. Wie gehen wir in Deutschland mit denen um, die sich ans Fenster stellen und Neues wagen? Angst führt zu Verkrampfung, das haben wir in dieser Woche mal wieder – durch den Fußball – gelernt.

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