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Zukunftsmärkte > Kommentar zu Streiks

Keine Kuschelveranstaltung

Deutschland ist Streikhochburg geworden. Dafür gibt es Gründe und die Führungskräfte in den Unternehmen tragen ihren Teil dazu bei, kommentiert Andreas Kempf.

Den Deutschen reicht's: Immer mehr Menschen gehen auf die Straße, um zu protestieren. Bildnachweis: picture alliance / NurPhoto | Ying Tang

Lange haben wird mitleidig auf Länder wie Italien, Frankreich oder Spanien herabgeschaut. Dort legen seit Jahrzehnten regelmäßig Streiks den öffentlichen Verkehr, Schulen, Supermärkte, Betriebe und viele Dienstleistungen lahm. Mit einer gewissen Überheblichkeit stellten wir Deutschen fest: Bei uns wird gearbeitet und die Protesthansel sind in der Minderheit. Inzwischen reiben sich unsere europäischen Nachbarn die Augen. Deutschland ist Streikhochburg geworden. Geschäftstermine zwischen Kiel und Garmisch zu planen, grenzt an eine Lotterie.

Menschen gehen grundsätzlich erst auf die Straße, wenn der Leidensdruck die natürliche Trägheit verdrängt. Das ist auch bei uns so. Die Arbeitnehmer – gerade im öffentlichen Dienst – spüren beim täglichen Einkauf, wie das Geld immer schneller dem Konto entrinnt. Da mögen die Statistiker noch so berechnen, dass die Inflation stark auf dem Rückmarsch ist. Die gelebte Realität gerade bei den kleineren Einkommen ist eine Andere. Hinzu kommt, dass Lokführer, Busfahrer oder Beschäftigte im Gesundheitsbereich täglich mit Sonderschichten ausbaden müssen, dass Personal fehlt. Denn es finden sich bei der schlechten Bezahlung zu wenig Menschen, die diese Jobs annehmen.

Oft setzen die Arbeitgeber auch die falschen Signale. Wenn das Einkommen von Mercedes-Chef Ola Källenius um 86 Prozent auf zwölf Millionen Euro steigt, erwarten die Mitarbeiter auch einen größeren Teil vom Kuchen. Den Bahnbeschäftigten ist erst recht nicht zu vermitteln, warum sie darben sollen, während sich der Vorstand neue Boni in Millionenhöhe gönnt. Dies obwohl das Unternehmen einen Rekordverlust eingefahren hat. Viele Arbeitnehmer haben auch nicht vergessen, dass die Chefetagen selbst in der Pandemie gut verdienten, während sie von Kurzarbeit leben mussten.

Es hat sich also einiges im Land aufgestaut, das sich nun auf der Straße entlädt. Für die Gewerkschaften ist diese Situation natürlich willkommen. Ob Verdi, IG Metall, IG Chemie oder Gaststätten: Sie kämpfen alle seit Jahren mit sinkenden Anhängerzahlen. Doch die Mitglieder sind die Währung die Macht und Einfluss der Organisationen ausmachen. Schlechte Zeiten bedeuten also endlich Hochkonjunktur für die Gewerkschaften. Auch aus diesem Grund sind die aktuellen Streiks nur ein müdes Vorgeplänkel zu den in diesem Jahr noch bevorstehenden Tarifkonflikten.

Streiks gehören zur Versammlungsfreiheit und sind Ausdruck der Tarifautonomie. Die ist zu Recht – schon aus historischen Gründen – vom Grundgesetz geschützt. Regulierungen sollten darum nur dort angedacht werden, wo die Versorgung der Allgemeinheit gefährdet und der Schaden für die Volkswirtschaft erheblich ist. In Italien oder Frankreich gibt es darum gewisse Regeln für Krankenhäuser, Energieversorgung oder den Nahverkehr. Die Politik ist aber nicht der bessere Tarifpartner. Im Gegenteil: Schon jetzt mischt sich der Staat willkürlich in die Gestaltung der Mindestlöhne und ignoriert die Empfehlungen der Monopolkommission als auch die Wirtschaftsentwicklung. Wählerstimmen sind die Währung die zählt. Den Einfluss der Politik müssen wir also nicht noch weiter ausbauen. 

Tarifkonflikte sind keine Kuschelveranstaltung. Gleichwohl haben Unternehmen und Gewerkschaften in Deutschland bisher bewiesen, dass sie immer einen Weg gefunden haben, die jeweiligen Interessen unter einen Hut zu bringen. Dabei standen immer - teils sehr komplexe – wirtschaftliche Inhalte im Vordergrund. Darum beneiden uns viele Länder. Die Herausforderung für beide Seiten besteht darin, Druck zwar aufzubauen ohne den Bogen jedoch zu überspannen. Sonst kann ein Konflikt aus dem Ruder laufen. Dann verlieren Arbeitgeber und Gewerkschaften an Ansehen und Glaubwürdigkeit. Bei der Bahn ist diese sehr sensible Grenze erreicht worden. Wenn sich die Kunden von den Unternehmen abwenden, ist keinem geholfen: Nicht dem Management noch der Belegschaft noch der Allgemeinheit.

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