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Einkauf, Marketing und Marken > Unruhe beim Traditionskonzern

Boschler kämpfen um ihre Jobs

25.000 Beschäftigte haben ihre Arbeit niedergelegt, viele von ihnen protestieren vor der Konzernzentrale. In der langen Geschichte des Unternehmens gab es das praktisch noch nie. Warum, ziegt dieser Bericht von vor Ort.

25.000 Mitarbeiter streiken: Das gab es in der Geschichte des Konzerns Bosch noch nie. Bildnachweis: picture alliance/dpa | Bernd Weißbrod

„Boschler kämpfen um ihre Jobs“ steht auf einem Banner, das ein Flugzeug hinter sich herzieht und damit über der Bosch-Konzernzentrale kreist. Unten sind nach Angaben des Betriebsrates rund 10.000 Beschäftigte nach Gerlingen bei Stuttgart gekommen. Sie sind die „Schillerhöhe“ gezogen – dem Olymp des größten Autozulieferers der Welt – um gegen den geplanten Stellenabbau zu protestieren. Insgesamt haben deutschlandweit 25.000 Bosch-Beschäftigte die Arbeit niedergelegt, um gegen die Personalpläne der Stuttgarter Technologieriesen zu protestieren. 

Der Konzern hat in den vergangenen Wochen schrittweise angekündigt, dass insgesamt 3200 Stellen im Autobereich und rund 2500 in den Sparten Elektrowerkzeuge und Hausgeräte entfallen sollen. Der Konzern habe „im Maschinengewehr-Takt“ immer wieder neue Abbauzahlen genannt. Laut Betriebsrat will Bosch eine interne Transfergesellschaft gründen, wo die ungewollten Mitarbeiter dann mit ungewisser Zukunft verweilen sollen. Offiziell bestätigt das Unternehmen diese Pläne nicht. Zudem will Bosch die Verträge von mehr als 6.000 Mitarbeitern von 40 auf 35 Stunden ohne Lohnausgleich „zurückfahren“. „Das ist ein Irrsinn“, schimpft Betriebsratschef Frank Sell. „Jetzt sollen wir auch noch mit unserem Verzicht den Stellenabbau mitfinanzieren. 

Erst im vergangenen Sommer hatte der Konzern eine Beschäftigungssicherung bis 2027 für 80.000 deutsche Mitarbeiter im Bereich „Mobility“ abgeschlossen, in dem die Produkte und Dienstleistungen rund ums Auto zusammengefasst sind. Insgesamt arbeiten rund 140.000 Beschäftigte im Inland für den Stuttgarter Konzern. Natürlich sei die Lage in der Autoindustrie schwierig, räumt Betriebsratschef Sell ein. Doch dieses Vorgehen sei nicht nachvollziehbar. Er verweist darauf, dass der Konzern gleichzeig 2000 offene Stellen ausweist. Dabei sollen nach Planungen von Bosch auch IT-Spezialisten gehen, die bisher an der Software für Technologien wie das autonome Fahren gearbeitet haben. „Bosch kürzt an Stellen, die für die Zukunft des Autos wichtig sind, rügt Barbara Resch, Chefin der IG Metall Baden-Württemberg. Für sie war es die erste große Kundgebung, seit sie im Februar die Verantwortung von Roman Zitzelsberger übernommen hat. 

Gewerkschaft und Betriebsrat rügen, dass der Bosch-Konzern die Rendite von 4,3 auf 5,3 Prozent gesteigert hat. Bosch verdiene also gutes Geld. Allerdings ist dies vor allem im wichtigsten Geschäftsfeld, dem Automobilbereich, nicht der Fall. Dort lag die Gewinnmarge zuletzt bei etwa einem Prozent. Arbeitsdirektor Stefan Grosch will den Wert nicht bestätigen. „Wir haben keinen Rückenwind durch die Konjunktur“, so die offizielle Lesart.  „Deshalb müssen wir reagieren.“ Das Unternehmen strebe „sozialverträgliche Lösungen“ an und will auf Entlassungen verzichten. Doch der Druck, der auf der Geschäftsführung lastet, ist dem Personalchef anzumerken. Tatsächlich ist Bosch weit vom selbstgesteckten Renditeziel von sieben Prozent entfernt. Den will der Konzern erreichen, um die Investitionen in den technologischen Wandel stemmen zu können. Im vergangenen Jahr hat Bosch die Rekordsumme von fünf Milliarden Euro in den Umbau und die Modernisierung des eigenen Geschäfts ausgegeben. Ein erheblicher Teil sei nach Deutschland geflossen. „Zu diesem Standort bekennen wir uns“, betont Grosch. 

Die hohen Ausgaben zahlen sich allerdings derzeit nicht aus, weil der Markt für Elektromobilität wesentlich langsamer Fahrt aufnimmt, als ursprünglich von Herstellern und Zulieferern gedacht. Auch die Entwicklungen rund um Brennstoffzellen und Wasserstoffantrieben finden wenig bei uns Abnehmer. Die Wasserstofftechnologie soll deshalb nach China verlagert werden, wo sich inzwischen einen Markt entwickelt hat, bestätigt Betriebsratschef Sell. Der hat prinzipiell Verständnis für die Nöte seines Arbeitgebers. Doch der Betriebsrat will auf Konzernebene mit dem Management über die Zukunft verhandeln. Das sei bisher nicht der Fall gewesen. Das Unternehmen stelle den Betriebsrat immer wieder vollendete Tatsachen. Grosch widerspricht dem: Es habe immer wieder Gespräche gegeben, aber eben mit „Unterschieden im Ergebnis“. Wer da mit wen sich ausgetauscht hat, lässt der Arbeitsdirektor offen. Er will sich auch nicht dazu äußern, ob die veröffentlichten Zahlen im Zuge von Verhandlungen noch nach unten korrigiert werden könnten.

Verschnupft reagiert das Management auf den Vorwurf des Betriebsrates, die Geschäftsführung habe die Werte des Gründers verraten. „Lieber Geld verlieren als Vertrauen“, ist ein Satz von Robert Bosch, der im Unternehmen bis heute gerne zitiert wird. Der Gründer hatte ein besonderes Verhältnis zu seinen Beschäftigten und führte als erster die Acht-Stunden-Woche ein. Damit handelte er sich von anderen Wirtschaftsvertretern die Bezeichnung „der rote Bosch“ ein. Während der Finanzkrise 2009 hatten die Stuttgarter noch auf einen massiven Stellenabbau verzichtet, obwohl das Unternehmen mit einer Milliarde Euro den höchsten Verlust der Firmengeschichte verzeichnet hatte. Als „Bosch-Weg“ bezeichnete die Konzernführung um Franz Fehrenbach die Entscheidung, auch in Krisenzeiten die Stammbelegschaft im Unternehmen zu halten.

Zur Tradition des 1886 gegründeten Unternehmens gehörte bisher auch, dass Management und Betriebsrat ihren Disput hinter verschlossenen Türen ausgetragen haben. Kundgebungen mit tausenden Beschäftigten auf der Schillerhöhe sind bisher die große Ausnahme. Im fernen 1993 zogen schon einmal 11.000 Mitarbeiter vor die Firmenzentrale, weil Bosch 13.000 Stellen streichen wollte und für weitere 20.000 Kurzarbeit plante. „Der Protest war ein ungeheuerlicher Vorgang“, erinnert sich der frühere Geschäftsführer Fehrenbach. Man habe seinerzeit die Auswirkungen auf die Beschäftigten unterschätzt. Die Folge: Marcus Bierich trat als Vorsitzender der Geschäftsführung zurücktrat. Hermann Scholl rückte an seine Stelle. Auch Arbeitsdirektor Günter Bensinger musste gehen. Darüber hinaus wurde die Zahl der Geschäftsführer um vier auf zehn gesenkt. Auch diesmal hat der Aufmarsch der „Boschler“ offenbar erste Wirkung gezeigt. Das Management. hat dem Gesamtbetriebsrat erste Gespräche angeboten. Sell nimmt das erst einmal zur Kenntnis und droht unverhohlen: „Wenn wir keine Einigung erzielen, kommen wir ein zweites, drittes und viertes Mal auf die Schillerhöhe.“

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