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Zukunftsmärkte > Besuch beim Hoffnungsträger

Macht Habeck in Indien einen guten Deal?

Deutschland will unabhängiger von China werden. Dafür setzt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auch auf Indien. Bei seinem derzeitigen Besuch betont er gerade bei Energiethemen die großen Chancen. Doch es gibt diverse unangenehme Themen zu besprechen.

Robert Habeck in Indien
Die deutsche Wirtschaft soll unabhängiger von China werden. Gestärkt werden soll die Zusammenarbeit mit Indien. Bild: picture alliance/dpa | Britta Pedersen

Eins muss man Robert Habeck lassen: Er schont sich nicht. Wo sich andere Kabinettsmitglieder mal einen kleinen Urlaub gönnen, tourt der Bundeswirtschaftsminister erst durch Deutschland und nun nach Indien. Das Ziel des Grünen-Politikers: Die deutsche Wirtschaft soll unabhängiger von China werden. Und da liegt die Idee nahe, sich Indien genauer anzuschauen. Dort sollen inzwischen mehr Menschen leben als in China, nämlich 1,4 Milliarden. Noch ein Grund mehr, hier eine neue und enge Partnerschaft zu knüpfen. Seit Mittwoch bereist Habeck Neu-Delhi und Mumbai – Indien sei ein "wichtiger Partner für die Diversifizierung der deutschen Wirtschaft". Und hat derzeit die G20-Präsidentschaft, weswegen Habeck am Samstag noch das G20-Energieministertreffen in Goa mitnimmt.

Steiles Programm, hohe Ziele: Der Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister nannte Indien direkt vor der Abreise einen starker Wachstumsmarkt im indopazifischen Raum. „Die Reise steht damit auch im Zeichen von mehr Resilienz und mehr Diversifizierung. Eine engere Zusammenarbeit gerade bei erneuerbaren Energien und grünem Wasserstoff birgt viel Potenzial für beide Seiten und kann unsere Resilienz und Wirtschaftssicherheit erhöhen.“ Seit dem Ukraine-Krieg will Deutschland seine Lieferketten breiter aufstellen, gerade in Asien braucht es dafür Verbündete.

Bisher ist das Land für Deutschland nur ein Handelspartner unter vielen. Das Handelsvolumen beträgt nur etwa ein Zehntel das mit China. 2000 deutsche Unternehmen sind in Indien aktiv mit rund einer halben Million Beschäftigten. Indien hat viele gut ausgebildeten Menschen, weswegen Digitaltechnologie und Mikroelektronik hier neben Pharmazie und Chemie besonders aktiv sind.

Der Minister wird wie üblich von einer Wirtschaftsdelegation begleitet, darunter neben einigen Großkonzernen auch Start-ups wie Enpal. Der Hersteller von Solaranlagen schielt zum Beispiel auf das indische Subventionsprogramms Production Linked Incentives – der indischen Antwort auf das milliardenschwere US-Subventionsprogramm Inflation Reduction Act. In Regionen wie Gujarat boomt die Solarmodulproduktion. Enpal will ausloten, inwieweit es von dort Solarmodule beziehen kann.

Apropos „können“: Man kann vieles in Indien, das sagen auch die Unternehmer. Angesichts der Größe des indischen Marktes, des anhaltend hohen Wirtschaftswachstums und einer stetig wachsenden kaufkräftigen Mittelschicht biete das Land attraktive Geschäftsmöglichkeiten. „Indien zählt zu den wichtigsten deutschen Wirtschaftspartnern in Asien", sagte Wolfgang Niedermark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), der Nachrichtenagentur dpa.

Aber deutlich klarer als die Politik formulieren Wirtschaftsvertreter auch starke Bedenken. Niedermark spricht von strukturellen Problemen wie überbordender Bürokratie und Mängeln in der Infrastruktur. Indien erhebe zudem in mehreren Sektoren weiterhin hohe Zölle auf Waren aus Europa. Der BDI erwarte, dass Habeck als "starker Befürworter" eines Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien auftrete.

Kirsten Schoder-Steinmüller, Vizepräsidentin der Deutschen Industrie- und Handelskammer, ergänzt: „Investoren stehen in Indien immer noch vor großen Herausforderungen: allen voran Bürokratie und ein komplexes regulatorisches Umfeld. Hier hat Indien weiterhin große Nachteile gegenüber einem wirtschaftlichen Engagement in China." Auch Korruption ist keine Seltenheit, wie eine Umfrage der Deutsch-Indischen Handelskammer ergeben hat.

Bis Indien also eine echte Alternative zu China ist, dürften noch mehrere Jahre vergehen. Immer wieder gibt es Rückschläge: Kürzlich wurde eine 20 Milliarden Dollar schwere Investition des Unternehmens Foxconn abgeblasen. Die Halbleiterfabrik werden die Taiwanesen nun wohl woanders bauen. Der Ökonom Ashoka Mody von der US-Universität Princeton warnt im Gespräch mit dem Handelsblatt: „Die Behauptung, dass Indien boomt, ist völlig falsch.“ Es fehle Indien an Produktivität – und die Lücke zu China werden größer, nicht kleiner.

Mody glaubt nicht, dass Indien davon profitiert, dass sich westliche Regierungen von China unabhängiger machen wollen: „Die Unternehmen gehen dahin, wo es für ihr Geschäft am besten ist. Da hat Indien als relativ unproduktiver Standort mit einem vergleichsweise kleinen Binnenmarkt schlechte Karten.“ Er sieht größere Chancen für die Länder in Südostasien, die Mitglied der Freihandelszone RCEP sind. Indien wollte nicht an diesem zollfreien Handel teilnehmen, weil die lokalen Unternehmen Angst haben, nicht konkurrenzfähig zu sein. Indiens Zölle sind hoch. „Das Land lässt sich deshalb nur schwer in Lieferketten integrieren“, sagt Mody.

Da hilft auch wenig, dass die Verfassung demokratisch ist und sich die indische Regierung nicht von China vereinnahmen lässt. Ashoka Mody besorgt vor allem auf den indischen Protektionismus und das Fehlen eines Freihandelsabkommens: "Indiens Zölle sind hoch. Das Land lässt sich deshalb nur schwer in Lieferketten integrieren." Auch deutsche Unternehmen sehen Tendenzen zu einer protektionistischen Politik. Die Regierung unter Premierminister Narendra Modi zeige gute Ansätze, lässt aber Entschlossenheit vermissen. Das lässt sich auch in Zahlen messen: Zuletzt vielen die ausländischen Direktinvestitionen zum ersten Mal seit über zehn Jahren – um 16 Prozent auf 71 Milliarden Dollar.

Bei Siemens klingt das alles etwas positiver, was mit der jüngsten Mega-Bestellung von 1200 Elektroloks durch die indische Eisenbahn zu tun haben könnte. Der Münchener Konzern sieht klare Verbesserungen rund um die Ausschreibungen. Manager aus der Autobranche warnen hinter vorgehaltener Hand vor zu hohen Erwartungen an Indien. Es sei ein "uneingelöstes Versprechen" für die Branche – lediglich eine Ergänzung zu China, beileibe kein Ersatz. Volkswagen lieferte 2022 ganze 100.000 Autos nach Indien, in China waren es etwa 3,2 Millionen. Da ist für Robert Habeck also noch viel zu tun. Immerhin: Er ist seit vielen Jahren der erste Bundeswirtschaftsminister, der sich in Indien sehen lässt.

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