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Zukunftsmärkte > Dortmund

Mehr als BVB und Bergbau

Dortmund hat den Wandel geschafft. Zwei Firmen zeigen, warum es Europas Innovationshauptstadt wurde.

Der Phoenix-Park in Dortmund
Idyllische Industriekulisse: Der Phoenix-Park mit dem gleichnamigen See entstand auf dem Gelände eines ehemaligen Stahlwerks in Dortmund.Foto: picture alliance / Jochen Tack | Jochen Tack

Wer auf dem Dortmunder Hansaplatz Pommes blau-weiß bestellt, bekommt Frittiertes mit Mayo und ohne Schale – was eine Anspielung auf den Reviernachbarn Schalke 04 ist, der bekanntlich seit Bestehen der Bundesliga noch nie Deutscher Meister geworden ist. Im August feiert die Stadt an gleicher Stelle sein kulinarisches Festival „Dortmund à la carte“, das sich auch international nicht verstecken muss. Das an ein eher jüngeres, hipperes Publikum gerichtete „Gourmet Do“ braucht ebenfalls keinen Vergleich zu scheuen.

Manchmal sagt die Kulinarik einer Stadt mehr über sie aus als Zahlen. Hier ist Widersprüchlichkeit längst zu Vielfältigkeit geworden. Die Stadt am östlichen Rande des Ruhrgebietes hat sich gewandelt, ohne an Tradition einzubüßen. Die Menschen wehren sich, wenn im ARD-Tatort permanent graue Trostlosigkeit zu sehen ist. Zurecht: Statistisch betrachtet liegt unter den Großstädten der Grünanteil nur in Hamburg noch höher.

Dortmund ist weit mehr als Fußball und Folklore, BVB und Bergbau. Der Westfalenpark ist zum Anziehungspunkt für Familien geworden. An der Kulturschraube wurde kräftig gedreht – und mächtig modernisiert. Das Areal rund um den Phoenix-See auf dem Gelände eines ehemaligen Stahlwerks in Dortmund-Hörde ist so ein Paradebeispiel. 2021 wurde die mit gut 600.000 Einwohnern neuntgrößte Stadt Deutschland zu „Europas Innovationshauptstadt“ gewählt – übrigens als einzige ­hierzulande.

Der Wandel spiegelt sich auch in den Unternehmen wider. Wilo ist so ein Beispiel mit seiner neuen Zentrale, die wie ein Mahnmal der Transformation an der B 54 steht: Zu dem Pumpenhersteller, gegründet 1872 als Kupfer- und Messingwarenfabrik, pilgern jährlich Tausende – nicht nur Manager – um sich die hochmoderne und auf Nachhaltigkeit getrimmte Produktion anzuschauen. 80 Kohlekraftwerke könnte man weltweit abschalten, wenn man alte Pumpen durch die neueste Generation aus dem Hause Wilo austauschen würde – so viel Energie lässt sich einsparen und damit auch CO2. Für zehn Prozent des globalen elektrischen Stromverbrauchs sind Pumpen verantwortlich. Vorstandsmitglied und CTO Georg Weber sagt: „Von hocheffizienten Pumpen mit einem niedrigen Energiebedarf profitiert die Umwelt – und davon wiederum der Kunde und seine CO2-Bilanz.“ Wilo legt seit fünf Jahren ESG-Berichte vor. Nachhaltigkeit gehöre aber schon immer zur DNA des Unternehmens, sagt Weber. „Wir waren die ersten, die Anfang der 2000er-Jahre eine hocheffiziente Pumpe für Heizungs-, Klima und Kälteanwendungen gelauncht haben.“

Photovoltaikanlagen auf den Dächern gehören zum Standard. Die Wasserstoffanlage ist aber brandneu. Wenn am Wochenende die Produktion ruht, wird der überschüssige Strom der Solaranlagen hierfür verwenden. In der Produktionshalle ist alles smart vernetzt. Praktisch geräuschlos rollen Roboter durch die Flure und bringen den Mitarbeitern, was sie brauchen. Die Herstellung von Pumpen ist ein stückweit immer noch Manufakturarbeit. Unter der Decke hängt der original Deutschland-Achter, der bei Olympia Gold gewann – das Familienunternehmen ist Sponsor, Rudern eine Leidenschaft der Gründer­familie.

Eine Produktion hat Adesso nicht und die Zentrale des IT-Dienstleisters fällt von außen weit weniger auf als der ­Wilo-Park. Aber drinnen wirkt es wie auf dem Google-Campus im Silicon Valley. Adesso ist inzwischen der zweitgrößte Arbeitgeber in Dortmund – nach dem Versicherer Signal-Iduna. Innerhalb von wenigen Jahren wuchs die Belegschaft von 3000 auf mehr als 9000. Und die sind offenbar zufrieden: Nach der Analyse der Beratung Great Place to Work ist Adesso Deutschlands beliebtester Arbeitgeber.

Auch wegen der Kekse, wobei es natürlich um viel mehr geht. Aber für Dirk Pothen sind die Süßigkeiten, die genauso wie Obst hier und in den Außenbüros überall stehen, ein Symbol für den Unterschied zwischen guten und schlechten Arbeitgebern. Es gibt die einen, die verwöhnen Mitarbeiter mit kostenlosem Kaffee, Leckereien und vollen Kühlschränken. Und es gibt die anderen, die verbannen die Kekse aus den Konferenzräumen, um Kosten zu senken. Sparen am falschen Ende. „So etwas hilft nicht, es schadet eher“, sagt Pothen, Vorstandsmitglied bei Adesso und unter anderem verantwortlich für Personal. Für die Zufriedenheit der Mitarbeiter müsse man Geld in die Hand nehmen. „Es ist eine untypische Allokation von Kosten, die wir vornehmen: Wir investieren nicht alles in die Gehälter, sondern geben das Geld auch gezielt für diverse Zusatzleistungen aus.“ Das Gesamtpaket soll stimmen, um die Leute glücklich zu machen. Attraktive Büros inklusive Verpflegung gehören auch dazu.

Kekse sind das eine. Am anderen Ende der Skala: Wenn Mitarbeiter in der Türkei, wie jüngst geschehen, bei einem Erdbeben ihr Hab und Gut verlieren und innerhalb kürzester Zeit vom Arbeitgeber Hilfe inklusive Unterkunft bekommen. Adesso hat eine eigene Stiftung für Notfälle – Teil des Programms „SOS(4)adessi“, ein Ausdruck von Solidarität. „Menschen müssen abgesichert sein. Auch wenn wir so groß geworden sind, dass wir nicht mehr jedes ,Familienmitglied‘ persönlich kennen, dann wollen wir zumindest familiäre Reflexe zeigen“, sagt Pothen. Auch das trägt zum Geschäftserfolg bei.

„Wir sind ein auf Wachstum ausgerichtetes Unternehmen, das macht vieles leichter. Da gibt es kaum Kampf um Karriere bei uns.“ Dank immer neuer Aufgaben müsse man sich intern nicht verdrängen: „In den allermeisten Fällen wird beim Wettbewerb um Positionen nicht der Ellbogen eingesetzt.“ Und neue Kunden bringen auch neue, reizvolle Aufträge mit sich – das Salz in der Suppe für ­Techies. „Unternehmen, die nur wenige spannende Projekte umsetzen, haben keine Chance, dauerhaft die gleiche Mitarbeiterzufriedenheit zu bekommen – egal wie viel Mühe sie sich intern geben“, sagt Pothen, der auch schon bei anderen Unternehmen Erfahrungen gesammelt hat. 

Ein weiterer Erfolgsfaktor ist die hohe Eigenverantwortung. Abgesehen von den Querschnittsfunktionen arbeiten die sogenannten Adessi nicht in Abteilungen, sondern werden auch fachlich in Projekten gesteuert. Von Mikromanagement und Vorgaben hält Pothen nichts. „Nenne mir eine Regel und ich sage dir, die Organisation wird sie umgehen. Und wenn man die Regel nachschärft, wird eine Spirale in Gang gesetzt, die nicht gut ist.“

Aber eine Regel hat Adesso doch: Jedes Jahr einen Kernprozess abzuschaffen. Kein leichtes Vorhaben für eine Organisation, die so schnell wächst. 2021 wurde in Deutschland die Finanzplanung für die Geschäftsbereiche abgeschafft, 2022 die Reisekostenrichtlinie ersetzt durch einen Satz: Reist so, wie es für Adesso und die Umwelt vorteilhaft ist. Weniger Regeln bedeuten weniger Kontrollaufwand und bessere Stimmung. Wie man da die Balance hält, erklärt Pothen so: „Wir schaffen hier Freiheit, und die hat eine schöne Seite. Aber die andere Seite ist die Übernahme von Verantwortung.“

Adesso hat nach eigener Aussage eine Kündigungsquote von acht Prozent. Und das in der wechselwilligen IT-Branche und bei einem Stellungzuwachs von mehr als 30 Prozent pro Jahr. Allein 2022 hat Adesso mehr als 3000 neue Mitarbeitende eingestellt, inzwischen arbeiten hier 9200 Menschen an 58 Standorten weltweit. Um die 50.000 Bewerbungen waren eingegangen.

Der Pool an Talenten ist rund um Dortmund groß. Rund 54.000 Studierende hat die Stadt selbst, knapp ein Zehntel der Bevölkerung. In den Nachbarstädten gibt es viele weitere, allen voran in Bochum. Dortmund hat nicht nur Anschluss an einen Flughafen, sechs Autobahnen und den Hafen, sondern beherbergt auch 19 Wissenschafts- und Hochtechnologieeinrichtungen einschließlich Fraunhofer- und Max-Planck-Instituten.

Dass der Standort so vielfältig und auch attraktiv ist, überrascht vor allem diejenigen, die München, Berlin oder die Gegend um Stuttgart für die Innovationstreiber halten. Wer übrigens die Pommes nicht aus der hohlen Hand essen will, sollte klassisch rot-weiß bestellen. Bei aller Innovation und Lästern über den Fußballklub aus der Nachbarschaft: Tradition verpflichtet schließlich auch. 

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