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Einkauf, Marketing und Marken > Umsatzwachstum

Zeiss trotzt dem Krisen-Blues

Die Schwaben bauen weltweit die anspruchsvollsten optischen Geräte – etwa zur Produktion von Spitzen-Mikrochips. Der Umsatz hat die zweistellige Milliardenmarke übersprungen. Sogar neue Mitarbeiter finden sie. Was ist ihr Rezept?

Bildnachweis: picture alliance / dpa | Stefan Puchner

Irgendwie ist es abgedroschen, dieses Bild aus dem Anfang von jedem Asterix-Heft hier voranzustellen, aber es hat sich so schön eingebrannt. Da ist das friedliche Dorf zu sehen und dann dieser Satz: „Ganz Gallien ist besetzt - ganz Gallien? Nein, denn ein kleines Dorf Unbeugsamer leistet tapfer Widerstand."

Ganz Gallien, das ist in dieser Geschichte ganz Deutschland. Es ist nicht besetzt, aber es liegt wie unter Mehltau: Die Wirtschaft produziert nicht, wie sie soll, weil die Regierung nicht macht, was sie soll, weil die Welt nicht in Ordnung ist, wie sie soll. Das böse Wort der Deindustrialisierung macht die Runde, die Energiepreise sind hoch, die Inflation noch nicht unten, die Zinsen dafür oben, wer an Digitalisierung denkt, denkt zeitgleich an Funklöcher, und überhaupt: diese Bürokratie!

Das Dorf dagegen liegt auf der Schwäbischen Ostalb. Karger Boden, fleißige Menschen und, nun ja, Funklöcher gibt es hier auch. Es heißt Oberkochen, weltweit müsste es Zeiss-City heißen. Denn hier steht die Zentrale jenes Unternehmens, das Opa noch aus Feldstecher-Zeiten kannte. Inzwischen ist es ein weltweit führender Konzern der optischen Industrie. Kräne überragen das kleine Städtchen und seine Umgebung, weil Zeiss jede verfügbare Fläche neu bebaut. Aus Feldstechern sind Extreme Ultra Violet Lithographie-Systeme geworden, mit denen sich Mikrochips der nächsten Generation herstellen lassen. Feldstecher produzieren die 43.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch noch immer, aber eher nebenbei. Ihre Schar ist in den vergangenen sieben Jahren um 18.000 gewachsen. Der Umsatz hat im letzten Geschäftsjahr die zehn Milliarden Euro-Marke überschritten und der Gewinn liegt bei 1,25 Milliarden Euro. Der Chef heißt Karl Lamprecht, er findet sich in keiner Talkshow und postet nicht auf X. Wenn er sich, was selten ist, öffentlich äußert, dann mit einfachen Sätzen wie: „Unser Erfolg basiert auf unserer prägenden Innovationsstärke.“

Neulich landete die populäre Zukunftsforscherin Amy Webb aus Chicago bei einem dieser hochkarätigen Partykongresse in Deutschland und rief den 40 000 Zuschauern als erstes ihre Verwunderung zu: „Hi guys, why don't you all do the same as Zeiss?“ Warum es in Deutschland nicht alle so machten wie Zeiss?  Dann würde es hierzulande wieder flutschen. Ganz Gallien staunte mit Webb und schlug schnell nach, was sich über Zeiss finden ließ: Zum Beispiel, dass es in Jena gegründet wurde, steht dann da. Die Anekdote, dass nach Kriegsende ein US-Laster 70 Topleute von Zeiss in Jena auflud und ihm auf dem Rückweg in den Westen in Oberkochen womöglich der Sprit ausging, weswegen Zeiss nun da seinen Sitz hat, ist auf Wikipedia aber nicht zu finden. Und was die Rezeptur für jenen Zaubertrank ist, in den die Schwaben gefallen sind, schon gar nicht. Was macht diese Unternehmung im 177. Jahr ihres Bestehens so unempfindlich gegen die große Depression, die sich über Deutschland gelegt hat?

Drei Zutaten sind es, die den Ausschlag geben:

Erstens: Die ideale Konstruktion

Die Carl Zeiss AG gehört zu 100 Prozent der Carl-Zeiss-Stiftung, wie übrigens auch die Otto Schott AG, ein ebenfalls boomender deutscher Hersteller von Spezialglas etwa in der Medizintechnik. Die Konstruktion ist 20 Jahre alt und das Ergebnis einer Krise, in der Zeiss damals steckte. Sie hat zwei Vorteile: Die unter ihr gebündelten Unternehmen Zeiss und Schott sind als Aktiengesellschaften von der Struktur her aufgebaut, als wären sie an der Börse. Die Fachwelt spricht von „Governance“ und meint damit eine weitgehende Transparenz, die Schlendrian und das Verstecken roter Zahlen verhindern soll. Gleichzeitig fördert die Stiftung langfristige Investitionen. „Es ist die Grundlage dafür, dass ein Unternehmen mehr Geduld haben kann“, sagt ein Sprecher. Zum Beispiel bei der Produktion für Systeme zur Halbleiter-Herstellung, SMT nennt sich der Bereich bei Zeiss, und der boomt derzeit am stärksten. In den neunziger Jahren war er ein zartes Pflänzchen. Dass dieser Hoffnung nicht der Stecker gezogen wurde, ist der Stiftungskonstruktion und der Weitsicht des Unternehmens zu verdanken.

Zweitens: Leidenschaft fürs Forschen

Die Zahl hat es in sich: 15 Prozent. So viel gibt Zeiss fürs Forschen und Entwickeln aus. Das, was die Optiker aus Oberkochen in Lehrstühle und Drittunternehmen investieren, ist dort noch nicht einberechnet. Zum Vergleich: Die entsprechende Quote der weltweiten Top-500-Unternehmen lag 2022 laut der Unternehmensberater von EY bei 6,1 Prozent. Bei Konzernen mit Sitz in den Vereinigten Staaten erreichte sie 8,1 Prozent, in Deutschland liegt sie mit 5,4 Prozent bei wenig mehr als bei einem Drittel dessen, was Zeiss investiert. Drei Milliarden Euro sind es übrigens insgesamt in den nächsten fünf Jahren, die Zeiss in Infrastruktur allein in Deutschland steckt. Herauskommen beim Entwickeln Geräte, für die Zeiss kürzlich zweimal den Deutschen Zukunftspreis gewonnen hat. Nominiert war auch ein Operationsmikroskop für Gehirnchirurgen. Was das deutsche Spezialprodukt so perfekt macht, ist zum Beispiel, dass die Entwickler genau gefragt haben, was Hirnchirurgen brauchen. Antwort: unter anderem auch mal eine Pause, um zusätzliche Daten abfragen zu können. Danach  möchten sie das robotische Operationssystem haargenau dort ansetzen, wo sie unterbrochen hatten. Mit den Dingern von Zeiss geht das.

Oder die Genauigkeit der weltweit präzisesten Spiegel, die in den Maschinen zur Herstellung von modernsten Microchips genutzt werden. Wer die Zeiss-Physiker in der Kantine schwärmen hört, erfährt Geschichten wie die vom Laserstrahl, der, mit einem solchen Spiegel zum Mond umgelenkt, dort sehr präzise einen Golfball träfe. Die Tendenz geht vermutlich dahin, dass sie bald einen Stecknadelkopf auf dem Mars treffen.

Drittens: Nicht vor die Welle gehen

In Deutschland funktioniert es normalerweise so: Eine politische Diskussion schwappt in die Unternehmen. Etwa die Auseinandersetzung zwischen rechts und links. Konsumenten fordern, dass sich die Wirtschaft nicht raushalten darf. Einzelne Firmenchefs positionieren sich, andere überlassen die Drecksarbeit im politischen Geschäft ihren Verbänden und Repräsentanzen in Berlin und Brüssel. Blöd ist dann, wenn man sich etwa wie Siemens-Ex-Chef Joe Kaeser erst mit Putin postet, um später davon abrücken zu müssen. Bei Zeiss dagegen heißt das Motto: „Nicht vor die Welle gehen“, so beschreibt es einer, „lieber leiser als lauter“. Ein Büro in Berlin gibt es erst seit kurzem. Und zu politischen Diskussionen äußert sich einer wie Lamprecht nur indirekt: Was er mit dem Standort in Jena auf Zeiss zukommen sehe, wenn dies AfD die Wahlen haushoch gewinne? „Bei Zeiss arbeiten Menschen aus über 90 Nationen“, sagt Lamprecht und klar wird, dass Toleranz und Vielfalt Werte sind, die zur Unternehmens-DNA zählen müssen.

Also alles klar für die nächsten 177 Jahre, auch wenn in Deutschland die Krise tobt? Was ist denn mit Fachkräftemangel und Bürokratie? Auf diese Fragen haben sie bei Zeiss zwei Antworten, die mindestens so alt sind wie das Unternehmen selbst. Die erste heißt: Die Arbeit muss sinnstiftend sein und fair bezahlt. Dann kommen auch die Facharbeiter, nach denen andere lange suchen. Und Bürokratie behandeln sie wie die Schwaben das Wetter: „Kannsch du nit ändra. Musch du mit leba.“

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