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Debatte > Länger Arbeiten

Mit spätestens 68 ist Schluss? Quatsch!

Annika Farin hält nichts von verordneten Ruheständen oder einem vorgeschriebenen Renteneintrittsalter. Im Interview erklärt die Expertin, welche Vorzüge flexible Lösungen haben.

Schon lange über das Renteneintrittsalter hinaus: Reinhold Würth, Vorsitzender des Unternehmensbeirats der Würth-Gruppe. Bildnachweis: picture alliance/dpa | Christoph Schmidt

Annika Farin ist Chefin des weltweiten Beratungsunternehmen für Führungskräfte Amrop Partnership. Die Hamburgerin hält nichts von verordneten Ruheständen oder einem vorgeschriebenen Renteneintrittsalter, weil sie Arbeit für sinnstiftend hält. Die Idee der „Work-Live-Balance“ lehnt sie rundweg ab.

Das Gespräch führte Oliver Stock / Business Punk

 

Es gibt in vielen Berufen zu wenig Arbeitskräfte, und die demographische Entwicklung beschleunigt diesen Mangel. Was sollen wir tun, Frau Farin? 

Der Arbeitskräftemangel ist ein Aspekt, der uns in den westlichen Ländern sehr beschäftigt. Wir in Deutschland sind da die Klassiker: Wir merken überall, sowohl bei Fachkräften und jetzt auch im Top Management, dass uns die Luft ausgeht. 

Und was soll passieren?

Da ist es natürlich naheliegend, dass man sagt: Okay - wenn von unten nicht genügend nachwächst, könnten doch die, die älter sind, länger arbeiten. Ich will dem noch eine ethische Komponente hinzufügen: Ich glaube, dass Arbeit wirklich sinnstiftend ist. Keine Arbeit bedeutet nicht nur finanzielle Einbußen, sondern das geht oft auch mit dem Verlust sozialer Kontakte einher. Ich glaube, dass die Menschen heute mit 65 oder 70 Jahren anders drauf sind als in der Generation zuvor. Sie können auch länger arbeiten.

Das ist aber ja etwas völlig anderes als das, was die Politik, insbesondere die Sozialdemokratie seit 100 Jahren predigt, nämlich dass der Mensch ein Recht auf Ruhestand hat. Soll denn nie Schluss mit Arbeiten sein?

Warum soll irgendwann Schluss sein, wenn Menschen Arbeit als sinnstiftend empfinden? Ich meine, Menschen sollten über ihren Ruhestand individuell entscheiden können. Natürlich gibt es eine biologische Grenze, aber grundsätzlich müssen wir doch den Menschen zutrauen, solche Entscheidungen selbst zu treffen. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Mein Lebensgefährte ist Chirurg. Er hat mir ganz begeistert berichtet, dass sich eine ehemalige Krankenschwester gemeldet hat. Die ist 75 und hat gefragt, ob sie nicht einfach wieder arbeiten könne. Sie haben dann geprüft, ob es irgendwelche Einschränkungen gibt. Das war nicht der Fall. Sie ist super drauf und kommt jetzt einmal die Woche und hilft mit. Und sie ist happy. 
 

Ein verordneter Ruhestand kommt für Sie also nicht in Frage?

Dahinter steckt die Vorstellung: Alles, was Freizeit ist, ist gut, und alles, was Arbeit ist, ist schlecht. Das halte ich sowieso für falsch. Diese Vorstellung kommt aus einer Zeit, in der wir physisch hart gearbeitet haben. Aber viele sind heute auch nach 40 Jahren Arbeit nicht erschöpft.

Das stellt das ganze Rentensystem auf den Kopf, was sie da sagen. Sollte man denn überhaupt noch ein Renteneintrittsalter definieren?

Ich bin kein Rentenexperte. Aber wir wissen alle, dass es so nicht weiter geht. Ein immer größerer Anteil unserer Budgets geht in Renten- und Pensionsleistungen. Wenn wir nicht dazu übergehen, das individualisierter zu betrachten, kommt der Kollaps. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern diese Wahrheit zumuten. 

Was halten sie vom Begriff Work-Life-Balance?

Der Begriff ist falsch. Work und Life sind nicht schlecht und gut, sondern unauflösbar miteinander verwoben.

Es gibt aber schon Argumente dafür, dass ältere Arbeitnehmer ihren Platz auch mal räumen. Firmen brauchen Nachwuchs, sie müssen sich entwickeln können. Sie müssen Trends entdecken. Manches davon können Jüngere besser.

Es geht nicht darum, dass ältere Arbeitnehmer ihren Platz überhaupt nicht räumen. Es geht darum, Modelle zu finden, wie Ältere behutsam den Wechsel begleiten. Warum kann nicht jemand aus einer Führungsposition in eine Expertenrolle wechseln? Das wird oft falsch gemanagt. Da bleibt jemand bis zum Schluss in seiner Funktion und geht dann abrupt. Dabei ist der Dialog zwischen unterschiedlichen Generationen unglaublich befruchtend. Expertenrollen kann man auch anreichern mit Verantwortung, so dass die Menschen, die vorher in Führungspositionen steckten, auch Bock darauf haben. 

Es gibt so Binsenweisheiten: Die Jungen sind neugieriger und schneller. Die Alten sind erfahrener und laufen nicht jeder Mode hinterher. Gibt es darüber hinaus Fähigkeiten, die sich den Generationen zuordnen lassen? 

Nicht 1:1. Es ist natürlich klar, dass die sogenannte Jugend viel intuitiver Technologie beherrscht und nutzt. Gleichzeitig führt das oft zu Verkürzungen, die ich manchmal beobachte und schade finde. In den meisten Arbeits- und Lebensbereichen ist Technologie unfassbar sinnvoll. Sie darf aber nicht den eigenen geistigen Kreativprozess verkürzen oder verhindern. Ich sehe – und ich ordne das schon indirekt diesem Thema zu – das ältere Menschen ihrem eigenen Wissen viel intuitiver vertrauen und dadurch auch häufig mehr Neigung zur Abstraktion haben. Allgemein glaube ich aber, dass wir einen Fehler machen, wenn wir Kompetenzen Altersgruppen zuordnen wollen. Genau solche Schablonensichtweisen halte ich für falsch. 

Können Jüngere schneller lernen als Ältere? 

Es gibt heute Forschung in der Psychologie, die darauf hinweist, dass das Lerntempo auch im höheren Alter nochmal enorm stimuliert werden kann. Dazu braucht es allerdings die intensive vorausgehende Nutzung der Gehirnzellen. Man hat beobachtet, dass ältere Menschen, die parallel drei neue Dinge erlernen, wie etwa Malen, eine Sprache und eine Knobelart, grundsätzlich wieder schneller lernen können. Das weist Parallelen zum Lernverhalten bei sehr jungen Menschen auf.  Ich will damit sagen: Wir sollten älteren Menschen – auch und gerade im Beruf – viel mehr Angebote unterbreiten, um zu lernen. Unser ganzes Lernen ist weiterhin im Wesentlichen auf die jungen Jahre ausgerichtet. Wer bitte sagt, dass das richtig ist? Können wir Lernen als Gesellschaft nicht viel kreativer gestalten und auch positiver besetzt sehen? Da würde mir Einiges einfallen.
 

Politiker sind doch eigentlich die besten Vorbilder, dass man mit dem Alter nicht aufhören muss zu arbeiten. Der amerikanische Präsident ist in einem Alter, in dem andere längst senil sind. Sind solche Typen ein Vorbild? Ist Joe Biden ein Vorbild?

Das sind absolute Einzelerscheinungen. Ich würde aber sagen, irgendwann sollte da dann doch Schluss sein.

Wie machen Sie das, wenn Sie Kandidaten haben, die 63 dreiviertel Jahre alt sind? Empfehlen Sie die guten Gewissens ihren Klienten, den Unternehmen? 

Das kommt tatsächlich immer mehr vor. Wir gehen damit sehr offen um. Die Klienten gehen damit auch sehr offen um. Viel offener als vor zehn Jahren. Die Bereitschaft bei den Unternehmen, solche Menschen einzustellen, ist deutlich gewachsen. Die Altersgrenzen haben sich verschoben. Stand früher ab 50 ein Fragezeichen hinter einem solchen Kandidaten oder einer Kandidatin, dann ist das jetzt erst, wenn die sechs vorne steht. Das hat sich absolut verschoben.

Wie geht den der Sechzigjährige selbst damit um? Will der über sein Alter reden oder ist ihm das peinlich?

Die Kandidaten selbst sprechen das uns gegenüber frühzeitig an. Da ist schon eine gewisse Unsicherheit. Aber wir sagen dann oft: Wir glauben schon, dass es eine gute Idee ist, sich zu unterhalten. Wir müssen natürlich gut argumentieren, wenn wir einen älteren Kandidaten ins Rennen schicken. Wir müssen genau sagen, warum dieser Kandidat der richtige ist. Aber wenn ich eine 59järige habe, die vieles kann, und dagegen zwei jüngere Kandidaten, die ein Drittel weniger an Qualifikationen haben - ich würde immer die Ältere vorziehen. Wenn die dann bis 67 bleibt, sind das ja noch acht Jahre. Sie kann in dieser Zeit noch unglaublich viel voranbringen. Die, die in dem Alter ihren Hut in den Ring werfen, wollen das auch und schaffen unglaublich viel.

Gibt es bei dem Thema nationale Unterschiede?

Absolut. Die Unbeweglichkeit, mit der wir uns da in Deutschland aufstellen, ist schon einmalig.

Wie schätzen Sie die derzeit vielgescholtenen Generation Z ein?

Die haben wir bisher weniger auf der Klientenseite, aber das, was wir sehen, ist: Die Generation Z ist selbstbewusster. Die Bedeutung, die Arbeit für die eigene Identität einnimmt, ist für sie nicht so wesentlich, wie das bei den 50plus ist. Frühzeitig legt die Generation Z die verschiedenen Bausteine des Lebens nebeneinander und sagt dann eben: Donnerstagmittag will ich zum Sport. Ist das schlecht? Nein, ist es nicht, wenn die Begeisterung für die Arbeit deswegen nicht abnimmt, sondern vielleicht sogar steigt. Dann ist das genau richtig. Es geht darum, dass der Generation Z die Begeisterung für ihre Aufgabe nicht abhandenkommt. Und das, glaube ich, funktioniert.

Was verändert sich durch Künstliche Intelligenz auf dem Arbeitsmarkt? Gruselt es Ihnen da oder sehen Sie eher die Chancen?

Ich sehe eindeutig die Chancen, die wir aber managen müssen. Ich bin manchmal über die Naivität erschrocken, mit der wir damit umgehen. Wir müssen wissen, was im Hintergrund passiert. Es ist grenzenlos leicht geworden, Menschen mit Hilfe Künstlicher Intelligenz fertig zu machen.

Zum Schluss: Wie ist ihre eigene Lebensplanung? Wollen Sie arbeiten, bis sie umfallen?

Ich arbeite wirklich gern. Ich freue mich über jedes neue Thema und über Menschen, die mich begeistern. Allein aus Egoismus wünschte ich mir, dass ich lange dabei bin. Aber alles hat natürlich seine Grenzen, ich will ja für niemanden eine Zumutung werden.
 

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