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Finanzierung > Investitionen

Das große Warten auf sinkende Zinsen

Die meisten Betriebe hoffen auf sinkende ­Zinsen und günstigere Kredite. Sie schieben deshalb Investitionen auf. Das kann falsch sein.

Gesenkter Blick: Christine Lagarde, Chefin der Europäischen Zentralbank, entscheidet mit über die Leitzinsen.Bildquelle: © picture alliance / EPA | RONALD WITTEK

Zweifellos hatte Benjamin Franklin Recht. „Eine Investition in Wissen bringt noch immer die besten Zinsen“, sagte der US-Präsident im 18. Jahrhundert. Heute wäre es gerade für Unternehmerinnen und Unternehmer schon nützlich, wenn sie wüssten, wie es mit den Zinsen weitergeht. Die entscheidende Frage: Jetzt investieren? Oder lieber warten?

Über viele Jahre waren die Zinsen sehr niedrig, weil die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen nahe Null hielt. Inzwischen hat sie die EZB wegen der hohen Inflation kräftig erhöht. In der Folge steigen auch die Kreditzinsen. Viele junge Kaufleute und Banker lernen gerade zum ersten Mal, was solch hohe Zinsen bedeuten. Und selbst für erfahrene Führungskräfte sind die Unsicherheiten groß.

Wer investieren will, braucht in der Regel auch Kredite. Und fragt sich, wie teuer sie heute sind und wie teuer sie in ein paar Monaten sind. „Die Zinsentwicklung ist in jedem Kundengespräch Thema“, sagt Philipp Präckel, der bei der DZ Bank das mittelständische Firmenkundengeschäft für Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland leitet. Viele seiner Kunden gehen davon aus, dass die Zinsen „nicht noch weiter steigen“, wie er berichtet. Schließlich sinkt die Inflation ja, die EZB müsste dann auch die Leitzinsen wieder senken, was Kredite verbilligte. Wer wartet, würde dann günstigere Konditionen bekommen.

Doch der erfahrene Banker rät zur Zinssicherung und begründet das mit der Zinskurve. Historisch gelten sehr vereinfacht für kurzfristige Kredite niedrige Zinsen, für langfristige hohe. Derzeit ist die Lage aber umgekehrt: Langfristig laufende Kredite sind im historischen Vergleich relativ günstig, die kurzfristigen aber relativ teuer. „Entsprechend ist es besonders sinnvoll, die Zinsen bei Darlehen mit einer Laufzeit von länger als zehn Jahren Laufzeit zu sichern“, sagt Präckel. „Aber auch bei kürzeren Kreditlaufzeiten sollte man immer einmal über die Möglichkeiten der Zinssicherung sprechen.“

Prinzip Hoffnung

Viele Betriebe haben mehrere Darlehen mit verschiedenen Laufzeiten. Die meisten warten ab. Wenn die Zinsen runterkommen, so die Strategie der Unternehmer, dann investiere ich. Außerdem hoffen sie, dass die Rahmenbedingungen in Deutschland klarer und planbarer werden. Mancher setzt auch auf neue staatliche Förderprogramme vergleichbar den Subventionen aus dem Inflation Reduction Act in den USA. Ob das alles so kommt, ist unklar.

Eine Option, die Präckel zufolge nur wenige Betriebe berücksichtigen, ist der Annuitäten-Swap. „Die übliche Reaktion ist: Interessant, haben wir so noch gar nicht gesehen“, berichtet der Banker. Mit solchen Swaps lässt sich die Laufzeit von Krediten, zum Beispiel auch Darlehen der staatlichen Förderbank KfW, verlängern, also die Tilgung verringern. „Das ist sehr sinnvoll, wenn hinreichend Liquidität im Unternehmen vorhanden ist, aber es gern etwas mehr sein könnte“, sagt Präckel. Dabei könne man sich so gut Luft verschaffen und das relativ niedrige Zinsniveau aus den Fördermitteln oder aus bereits laufenden Krediten aus den zinsgünstigeren Vorjahren sichern. 

Für die Betriebe, bei denen die Luft dünner wird, kann Factoring derzeit eine gute Option sein. „Factoring wird immer attraktiver“, sagt Präckel. „Die Lage bei der Liquidität wird bei den meisten Unternehmen in der aktuellen Situation nicht besser. In vielen Branchen steigt die Zahl der Insolvenzen ja bereits spürbar an.“ Per Factoring wird täglich Liquidität aus dem Verkauf der laufenden Kundenforderungen gewonnen. Damit kann der Unternehmer seine eigenen Lieferanten schneller bezahlen und sich Skonto- oder Bonifikationsvorteile sichern, was auch zu einer positiven Außenwirkung des Unternehmens bei Lieferanten und Kunden führt.

Konkret rechnet Präckel frühestens im zweiten Halbjahr mit einer Zinssenkung der EZB, auch wenn die Inflation im Euro-Raum zuletzt schneller fiel, als Experten erwarteten. Im Dezember lag sie bei 2,9 Prozent. Die Zentralbank hat eine Zielmarke von nahe zwei Prozent.

Die EZB hatte im vierten Quartal 2023 nach zehn Zinserhöhungen in Folge eine Pause eingelegt. Präsidentin Christine Lagarde sagte allerdings, der Kampf gegen die Inflation sei noch nicht gewonnen. Auch für Bundesbank-Präsident Joachim Nagel ist es zu früh für Zinssenkungen. Anderer Ansicht sind Ökonomen wir Jens Südekum von der Universität Düsseldorf. „Die EZB hat zunächst den Anstieg der Inflation unterschätzt, jetzt unterschätzt sie die Geschwindigkeit, mit der die Inflation wieder verschwindet.“ Südekum sieht die Gefahr, dass die Notenbank ihre Leitsätze „zu lange hochhält und dadurch den konjunkturellen Aufschwung beschädigt“. 

Dabei könnte die deutsche Wirtschaft günstigere Kredite gut gebrauchen, wie Konjunkturumfragen des Ifo-Instituts zeigen. Darin wird deutlich, dass die Unternehmen in Deutschland ihre Investitionsvorhaben deutlich gekürzt haben. Die Ifo-Investitionserwartungen für 2023 waren zum Jahresende auf 2,2 Punkte gefallen, knapp 15 Punkte waren es noch im Frühjahr 2023. „Das Investitionsklima hat sich spürbar eingetrübt. Das ist Folge der gestiegenen Finanzierungskosten, der schwachen Nachfrage und der wirtschaftspolitischen Unsicherheit“, sagt Lara Zarges, Konjunkturexpertin des Instituts.

Auch für 2024 sind die Unternehmen zurückhaltend. Am pessimistischsten ist der Handel. Auch die Dienstleister haben ihre Vorhaben für das laufende Jahr deutlich gekürzt. Am meisten Optimismus herrscht noch in der Industrie. Eine Mehrheit der Unternehmen will etwas mehr investieren – besonders die chemische Industrie und die Automobilhersteller.
 

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