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Personal > Leadership

So werden Führungskräfte zum Erfolgsfaktor

Das Verhalten von Chefinnen und Chefs entscheidet darüber, ob Beschäftigte kommen oder gehen. Warum viele versagen und dennoch so viele Wünsche äußern dürfen.

Gute Miene zum bösen Spiel: Viele Mitarbeiter leiden unter ihren Vorgesetzten. Jeder vierte will deshalb den Arbeitgeber wechseln. © Minerva Studio/Shutterstock

Die Welt der Führungskräfte ist derzeit paradox. Auf der einen Seite sind sie so begehrt wie nie, wechselwillig und voller Ansprüche, die vor einigen Jahren noch undenkbar schienen. Auf der anderen Seite zeigen Umfragen, dass gerade in Deutschland immer mehr Beschäftigte unter toxischem Verhalten ihrer Vorgesetzten leiden und ihre Motivation verlieren. Cholerische oder chaotische Chefinnen und Chefs und das ungesunde Betriebsklima, das sie erzeugen, sind der größte Auslöser für Burn-out im Betrieb und der wesentliche Grund, warum Mitarbeiter das Unternehmen verlassen wollen. Die emotionale Bindung an den Arbeitgeber sank in Deutschland auf den schlechtesten Wert seit 2012, wie die Meinungsforscher von Gallup herausfanden.

Ein Grund für schlechte Laune bei den Führungskräften: Sie stecken im Dauerkrisenmodus und haben operativ so viel Wandel zu managen, dass fürs Kümmern um die eigenen Leute weniger Zeit bleibt. Manche sind auch schlicht überfordert. Die Folgen: Chefinnen und Chefs sind respektlos, nicht inklusiv, unethisch, halsabschneiderisch und beleidigend.


Perfekt sein oder agil?

Hierzulande gibt es gut drei Millionen sogenannte Entscheiderinnen und Entscheider mit mindestens fünf Personen, die ihnen direkt unterstellt sind. Was gute Führung ausmacht, hat unter anderem Martin Puppatz erforscht. Der Professor für Wirtschaftspsychologie an der Fom Hochschule für Ökonomie und Management in Hamburg und Co-Geschäftsführer des Lüneburg Institute for Corporate Learning, hat 5000 Führungskräfte in Deutschland im Hinblick auf das sogenannte Big-Five-Modell analysiert. Es gilt seit rund 30 Jahren als Goldstandard der Persönlichkeitspsychologie und lässt Vergleiche mit anderen Ländern zu. Knapp 30 Prozent der deutschen Chefinnen und Chefs landen in der Kategorie „sehr hohe Gewissenhaftigkeit“. In der Gesamtbevölkerung trifft das nur auf zehn Prozent der Deutschen zu. Gewissenhafte Menschen lieben detaillierte Planung, Disziplin, Struktur, haben ein hohes Kontrollbedürfnis und neigen zum Perfektionismus. In von Agilität geprägten Zeiten und einer Arbeitswelt, die nach flexiblen Strukturen und schnellen Entscheidungen giert, haben solche Typen natürlich Probleme.

Die zweite der fünf Kategorien ist Offenheit – und hier sind deutsche Manager unterdurchschnittlich vertreten. Viel mehr neigen sie zum Gegenpol Beständigkeit. Man liebt hierzulande etablierte Prozesse und hält gern am Status quo fest. Auch die dritte Kategorie Verträglichkeit ist keine Domäne der deutschen Führungskräfte. Wir pflegen einen hierarchischen, statusorientierten Habitus und fahren gern kompetitiv die Ellbogen aus. Besser sieht es in den Kategorien vier und fünf aus, nämlich Extraversion und Neurotizismus. Deutsche Führungskräfte gehen gern auf andere zu, haben ein hohes Aktivierungsniveau und suchen soziale Interaktion. Neurotizismus ist das, was man umgangssprachlich „dickes Fell“ nennt. Äußere Einflüsse lässt man nicht allzu dicht an sich heran.

Die Forscher sahen bei diesen Big Five hierzulande praktisch keine Veränderungen zur Befragung Anfang der 90er-Jahre. Während sich die Welt stark verändert hat, bleiben die deutschen Chefinnen und Chefs gleich. Puppatz sieht darin ein Problem und dürfte damit vielen Beschäftigten aus der Seele sprechen. Sind die Eigenschaften, die deutschen Führungskräften fehlen, doch genau die, die heutzutage gefragt sind. Eine der Kernthesen des Forschers lautet: „Person schlägt Prozess.“ Wandel wird oft als Prozessthema aufgefasst. Aus prozessverliebten Typen werden aber nicht über Nacht agile New-Work-Champions. Denn menschliche Persönlichkeiten sind Puppatz zufolge „relativ stabil“. Man könne Eigenschaften wie Offenheit, Kooperationsorientierung und Flexibilität nicht ohne weiteres trainieren. Kein Drama, sagt der Experte. Ein Unternehmen braucht ohnehin alle Typen – nur eben an der richtigen Stelle. Die Strukturfanatiker sollten entsprechend dort führen, wo gerade weniger Wandel nötig ist.

Die moderne Managementlehre sagt, dass Führungskräfte von Antwortgebern zu Lernenden werden. Das kratzt am Selbstverständnis von vielen und löst Ängste aus. Der Führungsstil der Zukunft ist demnach das Coaching. Der Paradigmenwechsel hat vor rund zehn Jahren begonnen. Forscher vor allem in den USA haben in vielen Studien herausgefunden, dass Coaching der bessere Weg ist in Unternehmen, die sich permanent neu erfinden und zu lernenden Organisationen werden. Für Führungskräfte geht es demnach eher darum, die richtigen Fragen zu stellen, als alles zu wissen. Mitarbeiter sollen systematisch unterstützt werden.
 

Command & Control

Leider fallen viele immer wieder zurück in den Modus „Command & Control“. Das belegt auch die falsche Selbsteinschätzung vieler Chefinnen und Chefs. 24 Prozent der Führungskräfte überschätzen ihre Fähigkeiten als Coaches. Sie stufen sich selbst als überdurchschnittlich ein, doch ihre Mitarbeiter werten sie als unter Durchschnitt. Drei Dinge zeichnen eine coachende Führungskraft aus. Sie bewertet erstens Situationen genau und kann entscheiden, wann welches Verhalten angebracht ist. Sind klare Ansagen nötig? Oder sollte man lieber indirekt führen, also Fragen stellen und Mitarbeiter unterstützen, eine eigene Perspektive zu entwickeln? Zweitens stellt die coachende Führungskraft mehr offene als geschlossene Fragen. Manchmal reicht ein schlichtes „Was sonst noch?“.

Und drittens sollten Chefinnen und Chefs gute Zuhörer sein. Hier gibt es allerdings ein Problem. In einer umfangreichen Studie der Personalberatung Egon Zehnder antworten 45 Prozent der befragten Entscheiderinnen und Entscheider auf die Frage, was ihr größter Schwachpunkt ist, mit. „Ich höre nicht zu“. Mit erheblichem Abstand folgen „Ich bin zu nachsichtig (17 Prozent) und „Ich habe zu wenig Empathie“ (13 Prozent). Fast jeder zweite Manager hält sich also selbst vor, zu viel zu reden und mit dem Gegenüber allzu ungeduldig zu sein. Wenn der Ausweg aus dieser Ego-Gefahrenzone leicht wäre, würden vermutlich nicht so viele immer noch darunter leiden. Mitarbeiter stellen nur noch morgens Termine ein, weil die Aufmerksamkeit des Chefs nachmittags derart niedrig ist, dass sich Gespräche offenbar nicht mehr lohnen.

Die Ratschläge, wie es besser geht, klingen zunächst trivial. Präsent sein, der oder dem anderen nicht ins Wort fallen, unvoreingenommen an die Sache herangehen, wissen, dass man verzerrt wahrnimmt, jede neue Information in eine Schublade steckt. Doch mit Zuhören allein ist es nicht getan. Schließlich müssen Führungskräfte mit einem erheblichen Paradox fertig werden. Auf der einen Seite haben sie exzellente Zugänge zu Gesprächspartnern – wer will Ihnen schon die Antwort auf eine Frage oder einen Termin verwehren? Auf der anderen Seite können sich ­Chefinnen und Chefs sicher sein, nie die volle Wahrheit zu hören. So gerieten sie in eine Blase, sagt Adam Bryant, einer der weltweit anerkanntesten Experten für Führungskräfteentwicklung, der unter anderem 600 CEO zu ihrem Kommunikationsverhalten befragt hat.

Brand hat Tipps, mit denen sich Führungskräfte aus dieser Blase befreien können. Ideal ist eine Gesprächsatmosphäre, in der niemand Angst hat, die Wahrheit zu sagen, Chefin oder Chef herauszufordern. Die Geschäftsführung müsse explizit auch dazu auffordern, schlechte Nachrichten zu überbringen, sagt Brand. Je weniger Hierarchien es auf dem Weg dahin gibt, desto besser. Lösungskompetenz zu fördern, geht Brand zufolge über Fragen wie „Worauf werden Sie stolz sein, wenn wir hier in fünf Jahren wieder sitzen? Was wollen sie bis dahin erreichen?“
Dass man ohne vorgefertigte Meinung zuhören sollte, ist theoretisch selbstverständlich, aber im realen Leben praktisch unmöglich. Unser Gehirn verzerrt, begünstigt Schubladendenken. Aber wer sich dessen bewusst ist und trainiert, unvoreingenommen zu sein, tut sich und anderen einen Gefallen. Vertrauen zu Vorgesetzten entsteht nicht dadurch, dass er oder sie jedes Detail hinausposaunt oder jede Entscheidung in ausführlich kommuniziert. Weniger ist mehr. Aber das, was ankommen soll, muss in größter Klarheit angesprochen werden.

Hoher Wechselwille

Was so einfach klingt, fällt den meisten Führungskräften aber schwer, wie das renommierte Gallup-Institut in der weltweit größten Befragung zur Mitarbeiterzufriedenheit Jahr für Jahr herausfindet. Aktuell möchten 23 Prozent der Beschäftigten in Deutschland in einem Jahr nicht mehr bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber tätig sein. 42 Prozent wollen den Absprung binnen drei Jahren wagen. „Noch nie waren so viele Menschen auf Jobsuche oder offen für Veränderung wie jetzt“, sagt Pa Sinyan, bei Gallup Chef der Niederlassungen in Europa, dem Nahen Osten und Afrika. Schuld daran sind viele Faktoren, aber vor allem seien es schlechte Chefinnen und Chefs. „Es gibt nur einen kleinen Anteil der Arbeitnehmer, die gute Führung am Arbeitsplatz erleben.“

Das Einzige, was gegen Pandemie-Stress, die Avancen von Headhuntern, Homeoffice-Einsamkeit und generelle Arbeitsunlust helfe, sagt Sinyan, seien Chefinnen und Chefs, die ihre Arbeit gut machen. Bindung zum Arbeitgeber entsteht durch Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der CEO. Wer es dann noch schafft, die Mitarbeitenden als Menschen ernst zu nehmen, sie zu fördern und für sie da zu sein, wird zusätzlich belohnt. Aber das ersetzt fehlendes Vertrauen nicht. Das gilt übrigens generationenübergreifend. Junge Mitarbeiter sind eher bereit, den Job zu wechseln als ältere. Wenn sie gute Chefs haben, bleiben sie aber genauso oft wie ältere.

Weil gute Führungskräfte so wichtig sind, verwundert es nicht, dass Arbeitgeber immer mehr tun, um sie zu halten. Ein Weg führt über Beförderungen. Das besänftigt Wechselwillige. Eine Studie der Harvard Business School hat ermittelt, dass viele Betriebe gern neue Jobtiteln vergeben, die nach Aufstieg klingen, tatsächlich aber keine neuen Kompetenzen beinhalten – der typische „Head of Gedöns“ oder „Teamleiter“ ohne Team. Ob das reicht?

Um Geld geht es jedenfalls nicht immer. Die Personalberatung Odgers Berndtson hat bei 1300 Führungskräften nachgefragt, was ihnen derzeit besonders wichtig ist und wann sie ihr Unternehmen verlassen würden. Die Wechselbereitschaft ist hoch – auch weil der Arbeitsmarkt viele Chancen offeriert. Insgesamt 54 Prozent halten einen Wechsel ihrer beruflichen Position innerhalb der nächsten Monate für „wahrscheinlich“ bis „sehr wahrscheinlich“. Dabei geht es den meisten explizit nicht ums Geld, sondern inzwischen viel mehr als früher um die Rahmenbedingungen des neuen Arbeitgebers. Fast allen ist eine passende Unternehmenskultur sehr wichtig. Mit Abstand folgen Innovationsfähigkeit und Ziele, mit dem man sich identifizieren kann.

Hinter den Zahlen steckt ein auffälliger und wichtiger Trend. Innovationskraft allein reicht bei weitem nicht mehr aus, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein – die Führungskräfte wollen sich viel stärker als früher wertgeschätzt fühlen. Und sie wollen Arbeit und Familie gut vereinbaren können. Doch nur in einem knappen Drittel der Unternehmen werden Konzepte wie „Führen in Teilzeit“ oder „Führen im Tandem“ realisiert. In familiengeführten Betrieben sind es sogar nur 22,5 Prozent. Auch das macht die Arbeit von Headhuntern schwieriger, sie suchen heute zwei- bis dreimal so lange wie noch vor Jahren, bevor sie geeignete Personen finden, die die Bedingungen akzeptieren.


Herrscht eine Duzkultur?

Und was ist Unternehmenskultur? Die Art, wie man zusammenarbeitet? Das beginnt bei Duzkultur und Dresscode über Verhaltensweisen bei Kommunikation, Treffen, Entscheidungswegen und Zusammenarbeit bis hin zur Frage, ob ein Wertekanon existiert und auch gelebt wird. Gibt es ein gemeinsames Ziel? Und ist ein Weg festgelegt, wie es erreicht wird? Wie arbeiten Führungskräfte und Personalabteilung zusammen? Wird zahlenfokussiert gesteuert oder agil wettbewerbsorientiert? Welches Verständnis von Führung herrscht in dieser Geschäftsführung? Entscheidet ein Patriarch einsam? Oder gibt es einen guten Austausch?

Die Studie von Odgers Berndtson zeigt, dass in einem Drittel der Betriebe noch patriarchale Strukturen vorherrschen. Diese Unternehmen hätten es auf Dauer schwer, neue Topleute zu bekommen und die vorhandenen zu halten, sagen die Personalberater. Zudem werden die Gewohnheiten bei der Kommunikation immer wichtiger. Wer keine psychologische Sicherheit hat, offen und ohne Angst vor negativen Konsequenzen Ideen zu formulieren und Neues vorzuschlagen, ist oft nicht mehr lange im Unternehmen – egal, wie hoch das Schmerzensgeld ausfällt.

Kein Wunder, dass das Gehaltsplus bei Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern 2023 mit lediglich 0,9 Prozent auffällig niedrig ausfällt. Die Jahresgesamtbezüge liegen über alle Wirtschaftszweige betrachtet im Durchschnitt bei 182.349 Euro, wie die Gehaltsstrukturuntersuchung „GmbH-GeschäftsführerInnen-Vergütungen 2024“ von BBE Media belegt. Die Studie basiert auf den Gehaltsdaten von gut 2500 GmbH-Geschäftsführern und gibt verlässlich Auskunft über die aktuellen Gehälter und Zusatzleistungen in 50 Branchen aus fünf Wirtschaftszweigen.

Beim Finanziellen mögen Managerinnen und Manager derzeit statistisch betrachtet relativ bescheiden sein – unterm Strich sollten Arbeitgeber aber nicht zu viel Altruismus erwarten. Umfragen zeigen, dass Führungskräfte von heute ihre persönlichen Bedürfnisse über das Unternehmensziel stellen. Ihnen ist am wichtigsten, dass sie Einfluss nehmen, ihre persönlichen Stärken einsetzen können und Freude an der Arbeit haben. Je älter die Befragten waren, umso ausgeprägter äußerten sie diese Prioritäten. Dem übergeordneten Sinn des Unternehmenszwecks, dem Arbeitsinhalt und auch der Sinnhaftigkeit ihrer Aufgabe weisen sie im Vergleich dazu einen geringeren Stellenwert zu.

Der Personalvermittler Robert Half hat 1500 Fach- und Führungskräfte befragt, welche Zusatzleistungen ihr Unternehmen bietet und welche sie sich wünschen. Ganz oben steht derzeit ein individuelles Arbeitsmodell mit viel Flexibilität, um Beruf und Privates besser miteinander zu verbinden. Dazu gehört auch der Wunsch nach Teilzeit. Gern darf es auch ein (bezahlter) Extraurlaub sein und die Möglichkeit, über längere Zeit woanders arbeiten zu können. Und gerade aufstrebende Talente freuen sich über Titel, vor allem Männer.

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