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Recht und Steuern > Maschinenbau und Chemiebranche

PFAS-Verbot provoziert eine gefährliche Kettenreaktion

Die EU will PFAS-Chemikalien pauschal verbieten. Deutsche Firmen trifft das einschneidend. Manches Unternehmen denkt über einen Umzug ins Ausland nach.

Ich schau dir in die Augen: ­Umweltministerin Steffi ­Lemke steht hinter dem Verbot der Ewigkeitschemikalien. Wirtschaftsminister Robert Habeck bremst die grüne Parteifreundin nach Ansicht der Firmen nicht genug. © picture alliance / Flashpic | Jens Krick

Bert Sutter ist kein Mensch, der dramatisiert, nur um sich Gehör zu verschaffen. Der Unternehmer aus dem baden-württembergischen Emmendingen wird für seine sachlich-ruhige Art geschätzt. Weltweit greifen Chirurgen auf die Instrumente seiner Sutter Medizintechnik zurück. Etwa, wenn sie bei Hirnoperationen mit feinst dosiertem Stromeinsatz präzise Gefäße trennen und Blutungen stillen müssen. „Wir tragen dazu bei, dass Leben gerettet werden“, erklärt der Firmenchef sichtlich stolz. Doch jetzt droht vielen seiner hochpräzisen Instrumente das Aus, weil sich in den Kunststoffgriffen Bestandteile einer Chemikalie befinden, die die EU verbieten will. In einem Satz Sutters: „Das ist existenzbedrohend.“

Der Mittelständler gehört zu Tausenden Unternehmen, die derzeit vor den Plänen der EU-Kommission zittern. Sie will alle Chemikalien der sogenannten PFAS-Gruppe pauschal verbieten. Es gibt etwa 10.000 dieser Stoffe. Die Abkürzung steht für Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (Per- and Polyfluoroalkyl Substances). Sie sind so stabil, dass sie – wenn sie in die Umwelt gelangen – dort sehr lange bleiben. Sie werden deshalb auch „Ewigkeitschemikalien“ genannt. In der Natur kommen sie nicht vor, sie müssen extra hergestellt werden. PFAS sind inzwischen vor allem in Fisch und Fleisch nachgewiesen. Auch im menschlichen Blut sind sie zu finden. Einige der Substanzen gelten als giftig und als Krebsauslöser.

Der Stoff steckt in Zahnseide

Der Brüsseler Vorstoß hat weitreichende Folgen. Denn Produkte mit PFAS-Verbindungen bestimmen umfassend unseren Alltag. Die Chemikalien stecken in Beschichtungen von Wetterjacken, Pfannen und Zahnseide. Die Stoffe sind Bestandteil von Kettenfett, Skiwachs, Kontaktlinsen und Imprägnierspray. Sie finden sich auch in Kosmetika, Verpackungen für Fast Food und Feuerlöschmitteln. PFAS werden aber vor allem verwendet, um Dichtungen, Membranen und Zuleitungen herzustellen. „Fast alle Maschinenbaufirmen wären in unterschiedlichem Maß von diesem Verbot betroffen“, erklärt Sarah Brückner, Leiterin der Abteilung Umwelt und Nachhaltigkeit beim Verband des Deutschen Maschinen- und Anlagenbaus (VDMA). Die Folgen für die deutsche Wirtschaft sind unabsehbar.

„In dieser Regulierung findet keine angemessene Differenzierung statt. Es ist ein Generalangriff“, klagt Matthias Peters, Manager Global Materials & Compliance des Dichtungsspezialisten Trelleborg Sealing Solutions in Stuttgart. Er sieht die Grundversorgung der Menschen gefährdet – bei Gesundheit, Sicherheit und Nahrung –, weil industrielle Prozesse betroffen sind. „Gerade bei der Herstellung von Brennstoffzellen, Halbleitern oder Lithium-Ionen-Batterien sind wir auch in Zukunft auf PFAS angewiesen“, sagt Oliver Barta, Hauptgeschäftsführer des Unternehmerverbands Baden-Württemberg. Die Spitzenverbände VDMA, VDA (Auto) und ZVEI (Elektro) verlangen deshalb, nur die Stoffe zu verbieten, die nachweislich schädlich sind.

Tatsächlich ist bisher nicht einmal bei einem Dutzend der Chemikalien klar, dass sie gefährlich sind. „Welche Schäden die langlebigen PFAS in der Umwelt auf Dauer anrichten können, ist häufig noch unerforscht“, gibt Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes, zu. Doch die Behörde ist ganz auf Linie der EU-Kommission: „Wir versuchen daher mit dem nun veröffentlichten Vorschlag, diese Stoffe in der EU so weit wie möglich zu verbieten. Dies ist aus Vorsorgegründen der richtige Schritt.“ Die Kommission will allenfalls über einzelne Ausnahmen nachdenken.

„Unlösbare Aufgabe“ 

„Es gibt PFAS, die kein relevantes Risiko für Mensch und Umwelt darstellen, aber die Langlebigkeit und Sicherheit vieler industrieller Produkte und Produktionsprozesse garantieren“, sagt VDMA-Expertin Brückner. „Diese PFAS-Gruppen müssen vom Verbot ausgenommen werden.“ Einzelausnahmen für bestimmte Produkte wie Wärmepumpen führten in die Irre, weil es allein schon bei grünen Technologien Tausende solcher Ausnahmen geben müsste. „Die EU-Behörden überschreiten ihr Mandat. Sie dürfen Stoffe, von denen kein relevantes Risiko ausgeht, nicht verbieten“, sagt Manager Peters. Nach den Plänen hätten sonst die Unternehmen die Beweislast, dass die Stoffe unbedenklich sind. „Für Mittelständler wäre das eine unlösbare Aufgabe“, gibt Medizintechnikunternehmer Sutter zu bedenken.

„Ich hatte die Dimension dieses Verbots lange nicht im Blick“, sagt Matthias Derse. Doch inzwischen ist der Chef des Zulieferers Scherzinger in Furtwangen alarmiert. Dabei sind die Schwarzwälder mit 210 Mitarbeitern und einem Umsatz von 40 Millionen Euro gut im Geschäft. Sie produzieren Pumpen und Zuleitungen für Getränkeabfüller sowie Kühlung von Ladesäulen und E-Fahrzeugen. Sie stellen auch Dialysegeräte und Kompressoren zur Wasserstofferzeugung her. Das PFAS-Verbot beträfe mehr als 70 Prozent des Umsatzes. „In Deutschland könnten wir nur noch Produkte für sechs Millionen Euro fertigen. Das lohnt nicht“, beschreibt Derse die Lage. Falls das Verbot in vollem Umfang käme, wäre der Standort in Deutschland kaum noch zu halten. Dies würde das 1937 gegründete Unternehmen zu einschneidenden Maßnahmen zwingen.

Bei den Fischer-Werken in Waldachtal sind sie ebenfalls in Sorge. Das klassische Geschäft mit Dübeln und Befestigungstechnik sei nicht betroffen. Aber die Bereiche Automotive und Elektronic Solutions stünden „vor Herausforderungen“, schreibt das Schwarzwälder Unternehmen auf Anfrage. Auch hier ist die betroffene Bandbreite beeindruckend. Zum Produktspektrum gehören unter anderem Luftausströmer, Getränkehalter und Ablagefächer für die Autoindustrie. Die Sparte Electronic Solutions entwickelt und fertigt für Maschinenbau oder Medizintechnik unter anderem Leiterplatten, Bauelemente und Touchscreen-Sensoren.

Gibt es Stoffe, die PFAS ersetzen? „Wir würden mit den alternativ zur Verfügung stehenden Materialien zum Teil auf den Entwicklungsstand von 1950 zurückgeworfen“, warnt Brückner vom VDMA. Tatsächlich wären die meisten Mittelständler mit der Suche nach Ersatz überfordert. „Wir haben gar nicht die Kapazitäten, um nach Alternativen zu forschen“, gibt Scherzinger-Chef Derse in Furtwangen zu bedenken. 

Im badischen Emmendingen rechnet Sutter vor, was das Verbot für sein Unternehmen bedeuten würde. Von den 26 Millionen Umsatz, die für dieses Jahr erwartet werden, kommen zehn Prozent direkt und zwanzig indirekt von Produkten, die PFAS enthalten. „Diese Kunststoffe dürfen nicht leiten, müssen hitzebeständig sein und gleichzeitig intensive Reinigung vertragen,“ erklärt Sutter. Eine Umstellung würde bis zu 15 Millionen Euro kosten. Zudem müssen verschiedene staatliche Behörden die Produkte zertifizieren. Das kann Jahre dauern. Alles in allem würde die Umstellung die Rendite des gut laufenden Unternehmens über ein halbes Jahrzehnt aufzehren.
Noch bis 25. September läuft bei der EU-Chemikalienagentur ECHA ein Anhörungsverfahren. Dann will sie ein Verbot beurteilen. Die Kommission wird wahrscheinlich im Mai 2024 entscheiden. Dann geht es durch alle EU-Instanzen, worüber noch einmal ein Jahr vergehen kann. Allerdings befürchten viele betroffene Betriebe, dass einige Hersteller bereits vorher aufhören, PFAS herzustellen. „Es droht ein unvorstellbarer Dominoeffekt“, warnt Unternehmer Sutter.

3M schließt deutsches Werk

Der US-Chemieriese 3M hat bereits angekündigt, dass die PFAS-Produktion bis 2025 eingestellt wird. Betroffen ist unter anderem das Dyneon-Werk im bayerischen Gendorf nahe der österreichischen Grenze, das stillgelegt werden soll. Es gilt als Schlüsselstandort für das Chemie-Dreieck im Südosten des Landes mit 30 Unternehmen und rund 20.000 Arbeitsplätzen. Dabei will 3M weder Dyneon noch dessen Anlagen verkaufen und – fast noch wichtiger – auch nicht die einschlägigen Patente. Für Landrat Erwin Schneider (CSU) ist klar: 3M verabschiedet sich besonders demonstrativ von PFAS, um in anstehenden Schadenersatzprozessen in den USA auf das eigene Wohlverhalten verweisen zu können. Der Konzern hat im Juli auch einen Plan des Landkreises abgelehnt, Dyneon mit seinen 680 Stellen unter dem Dach einer Stiftung fortzuführen.

Inzwischen ist der Druck der Unternehmen auch bei Teilen der Politik angekommen. „Ein undifferenziertes Verbot ist nicht die Lösung, sondern schafft im Einzelfall neue und viel größere Probleme“, heißt es von Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU). Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) scheint auch ins Grübeln gekommen zu sein. „Bessere Regulierung dort, wo es für den Verbraucherschutz notwendig ist, aber keine Überregulierung für die Wirtschaft, wo es Wachstum und Technologieentwicklung hemmt“, rät er.

Manchem beim Koalitionspartner FDP ist der Minister zu zaghaft. „Habeck muss aktiv der bislang einseitig auf potenzielle Umweltrisiken abstellenden Argumentation des bei PFAS in der Bundesregierung federführenden Bundesumweltministeriums entgegenwirken“, fordert Judith Skudelny, in der Bundestagsfraktion der Liberalen für Umwelt- und Verbraucherschutz zuständig. Im Klartext: Habeck, stoppe deine Kabinetts- und Parteikollegin Steffi Lemke. Das Umweltministerium wiegelt bereits ab: Man denke nicht an Totalverbote. Woran sonst, sagt man aber auch nicht. Durch den Druck vieler Unternehmen und der großen Wirtschaftsverbände schwant den Politikern inzwischen, dass sie möglicherweise mehr Schaden anrichten, als ihr gut gemeinter Ansatz erreichen sollte. 

Und dann ist da noch die Sache mit dem Import in die EU. Oft werden PFAS nur während der Herstellung verwendet. Sie stecken nicht im fertigen Produkt. Mit dem Verbot der Chemikalien könnte ein solches Produkt in Europa nicht mehr hergestellt werden. In Ländern, in denen PFAS erlaubt ist, aber schon. Und so könnten Konkurrenten aus den USA oder Asien problemlos in die EU verkaufen, was in der Gemeinschaft durch das PFAS-Verbot nicht mehr hergestellt werden kann. 

Ganz abgesehen davon ist einem Teil nicht anzusehen, ob es PFAS enthält. Ohnehin hat sich offenbar noch niemand überlegt, wie die Einfuhr überwacht werden soll. Der Münchener Berater und langjährige EU-Kommissionsmitarbeiter Reinhard Schulte-Braucks jedenfalls sagt: „Der Zoll wäre mit derartigen Kontrollen völlig überfordert.“

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