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Wer führt den Merck-Konzern in die Zukunft?

Die Merck-Eigentümerfamilie sortiert den Gesellschafterrat neu. Zugleich rückt im Konzern die CEO-Frage auf die Tagesordnung. Offenbar gibt es einen Wunschkandidaten für die Nachfolge von Belén Garijo.

Belén Garijo, Vorsitzende der Geschäftsleitung der Merck KGaA, während der Bilanz-Pressekonferenz.

Der Darmstädter Technologiekonzern steht mit seinen 64.000 Mitarbeitern vor einem Umbruch. Der seit 1668 in Familienhand geführte Konzern (Merck gilt als das älteste pharmazeutisch-chemische Unternehmen der Welt) bestellt seine Spitze neu. Das Machtzentrum des Konzerns, der Familienrat, soll noch im ersten Quartal 2024 eine neue Führung bekommen.

Wie aus Familienkreisen zu hören ist, scheidet Frank Stangenberg-Haverkamp altersbedingt aus. Mit dem Abtritt des Investmentbankers, der dem Gesellschafterrat seit 1984 angehört und den Familienrat seit zehn Jahren führt und damit als Oberhaupt der Familie gilt, geht eine äußerst erfolgreiche Ära zu Ende. Er ist ein direkter Nachfahre (in der elften Generation) des Unternehmensgründers und Apothekers Friedrich Jacob Merck aus dem 17. Jahrhundert.

Für die Führung des mächtigen Familienclans gilt Johannes Baillou, der aktuelle Vorsitzende des Gesellschafterrates, als gesetzt. Für seine Nachfolge im Gesellschafterrat steht der erfahrene Mediziner Simon Thelen, Familienmitglied und angesehener Chirurg aus Düsseldorf bereits in den Startlöchern. Thelen ist seit zweieinhalb Jahren stellvertretender Vorsitzender des Gesellschafterrates.

Parallel zum Umbruch im Familienrat steht auch die managerielle Führung des Konzerns vor einem Neubeginn. Die Vorstandsvorsitzende Belén Garijo (Jahrgang 1960) nähert sich in zwei Jahren dem Ende ihrer Amtszeit - und die Suche nach einem passenden Nachfolger hat hinter den Kulissen begonnen. Bei Merck werden Führungspersonalien langfristig vorbereitet - also werden die Weichen bald gestellt. Handlungsbedarf gibt es auch deshalb, weil der Konzern nach langen Erfolgsjahren spürbar schwächelt und neue Zukunftsstrategien sucht.

Merck hatte von 2007 bis 2016 mit Karl-Ludwig Kley einen außergewöhnlich tatkräftigen Vorstandsvorsitzenden. Unter Kley wuchs der Merck-Umsatz von 6,3 (2006) auf 15 Milliarden Euro im Jahr 2016, der Gewinn stieg von 1 Mrd. Euro auf 1,6 Milliarden Euro und die Mitarbeiterzahl von 30.000 auf 50.000. Kley kaufte in großem Stil zu, etwa das Schweizer Biotechnologie-Unternehmen Serono und die beiden US-amerikanischen Life-Science-Unternehmen Millipore und Sigma-Aldrich.

Kleys Leistung wird in Darmstadt mit dem Bau einer Kathedrale verglichen (ein Wording, das Kley selbst in die Welt gesetzt hat), sein Nachfolger als CEO Stefan Oschmann setzte dem Werk eine Kuppel auf, trieb die Expansion mit weiteren Zukäufen, darunter die Milliardenübernahme des US-Halbleiterzulieferers Versum, erfolgreich voran. Der Aktienkurs erklomm bis Ende 2021 Höchstwerte von mehr als 200 Euro. Zuletzt laufen die Geschäfte jedoch nicht mehr so dynamisch. Der Aktienkurs liegt mittlerweile nur noch bei 145 Euro, die Aktie zählte 2023 zu den großen Dax-Enttäuschungen der Anleger. Einen schweren Rückschlag erlitt Merck kurz vor Weihnachten mit dem Scheitern des Multiple-Sklerose-Mittels Evobrutinib, das eigentlich Blockbuster-Potenzial haben sollte, aber in der entscheidenden klinischen Studie scheiterte.

Garijo gilt - anders als ihre erfolgreichen Vorgänge Kley und Oschmann als weniger starke Strategin, nach dem zupackend-antreibendem Kley und dem verbindlich-empathischen Oschmann wirkt sie kühl-distanziert und fremdelt mit der Belegschaft. Im Gefolge des Kathedralenbauers und des Kuppelaufsetzers kommt sie den Merckianern vor wie die Küsterin, die die Gottesdienstordnung der Kathedrale überwacht und optimiert, aber dem Bau keine neue Perspektive verleihen kann.

Darum ruht die Hoffnung vieler Merck-Manager auf Kai Beckmann. Sein Name fällt im Unternehmen am häufigsten, wenn es um die CEO-Nachfolge geht. Beckmann ist Merck-Urgestein und schon seit 1989 beim Unternehmen. Er arbeitete sich von der IT-Abteilung bis in den Vorstand, führte die Merck-Geschäfte in Singapur und Malaysia, er war erster CIO des Konzerns, von 2014 bis 2017 dann Chief Administration Officer. Seit 2011 ist Beckmann Mitglied der Geschäftsleitung der und seit 2017 CEO des Unternehmensbereichs Electronics. Beckmann verkörpert damit eine wichtiger werdende Wachstumssparte des Konzerns. Er gilt in der Branche als hochkarätiger KI-Experte und treibt bei Merck das halbleiterbezogene Geschäft massiv voran.

Beckmann hat in der Belegschaft wegen seiner konzilianten, bodenständigen Art großen Rückhalt, selbst die Gewerkschaft kommt mit ihm gut aus und spricht von einem „integrativen Führungsstil". Beckmann ist auch politisch gut vernetzt und seit sieben Jahren Präsident des Bundesarbeitgeberverbands Chemie. Er gilt in der Branche als Vordenker für KI-Themen und publiziert dazu sogar regelmäßig Analysen auf LinkedIn.

Er könnte der Merck-Kathedrale womöglich eine völlig neue Dimension verleihen und den digitalen Glockenturm hinzu bauen. Zunächst aber muss sich die Familie sortieren. Mit Spannung wird daher die Gesellschafterversammlung erwartet, die die personellen Weichen für Zukunft stellen will, am liebsten für die nächsten 350 Jahre. 

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