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Zukunftsmärkte > Gesunde Ernährung

Brokkoli statt Burger

Unsere Art der Ernährung schadet dem Klima. Es braucht gesundes Essen in Kitas und Schulen. Ein paar Dutzend Mittelständler helfen – wenn man sie lässt.

Bildquelle: Shutterstock

Irgendwann platzt der Kindergartenleiterin der Kragen. „Wir sind kein Oberschicht-Kindergarten und können kein so teures Essen anbieten, wie Ihnen das vorschwebt.“ Seit einer halben Stunde diskutiert sie mit dem Elternbeirat über das Thema schlechthin. Ernährung in der Kita. Die Gegenargumente informierter Eltern kommen schnell. „Gesundes Essen ist nicht teurer. Spart gern am Kaiserschmarrn zum Nachtisch!“ Nur 40 Prozent der Kindergärten und Schulen erreichen die Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Das mag auch daran liegen, dass nur Thüringen und das Saarland diese verpflichtend eingeführt haben. Dabei gibt es kaum ein wichtigeres Thema für Gesundheit und Klima. Den entscheidenden Hebel haben ein paar Dutzend Mittelständler in der Hand – zumindest, wenn man sie lässt.

Mehr als jeder achte Europäer stirbt an Übergewicht und Fettleibigkeit. In Deutschland sind es mehr als 100.000 Menschen pro Jahr, mehr als zum Höhepunkt der Epidemie am Corona-Virus starben. 60 Prozent der Erwachsenen und rund ein Drittel der Kinder gelten der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge hierzulande als übergewichtig. Tendenz steigend. Vor allem der Zuwachs bereitet Fachleuten Sorge, denn wer schon als Kind zu viele Kilos mit sich herumträgt, wird als Erwachsener noch mehr zu kämpfen haben. In keinem Land Europas gibt es Aussicht, dass der Trend zeitnah zu stoppen ist. Praktisch jeder Experte sagt, dass wir eine Revolution auf den Tellern brauchen. Nicht nur, um gegen die Fettleibigkeit mit all ihren gesundheitlichen Kosten anzukämpfen. Sondern auch, um den Klimawandel aufzuhalten. Da mag es in der Öffentlichkeit noch so sehr um Wohnen und Logistik gehen, um Gasheizungen und Elektroautos – der große Hebel zur CO2-Reduktion ist die Art, wie wir satt werden. Anders formuliert: Die Energiewende ist ein laues Vorgeplänkel für die größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts – die Ernährungswende.

Nun gibt es dabei ein Problem. Bei der Wärmewende traut sich die Politik zumindest behutsam, ins Leben der Bürger einzugreifen. Wie groß bereits hier die Schmerzen sind, zeigte die monatelange Diskussion rund ums Gebäude-Energie-Gesetz. Vom Thema Ernährung werden Politikerinnen und Politiker weitgehend die Finger lassen. Womöglich werden zuständige Minister die Werbung für Gummibärchen verbieten, aber mit nennenswerten Eingriffen in die persönliche Freiheit ist nicht zu rechnen. Essen ist Privatsache. Realistisch betrachtet wird es das im Großen und Ganzen auch bleiben. Die wesentliche Lösung lautet also, die Gewohnheiten bei den Jüngsten zu ändern. Experten versprechen sich am meisten davon, in Schulen und Kitas anzusetzen.

Auf keinen Fall Petersilie

Was in den Kochtöpfen der Lehmanns Gastronomie GmbH brodelt, kann also ein Stück weit die Welt retten und dafür sorgen, dass sich die Kinder gesund ernähren. Geschäftsführer Stefan Lehmann ist sich seiner Verantwortung bewusst. Der 43-Jährige zerlegt das vielschichtige Thema, wie seine Köche die Zwiebeln für die Nudelsoße. „Essen für Kinder ist etwas ganz anderes, als für ein Altenheim zu kochen.“ Nicht mal die simple Kartoffel kann für beide Zwecke gleich gekocht werden, wenn man es kindgerecht angehen will. „Wir haben viel gelernt. Im Altenheim muss die Kartoffel weicher sein, für Kinder darf keine Petersilie dran kleben.“ Es sind all diese kleinen Stellschrauben, die dafür sorgen, dass Essen nicht auf den Tellern liegen bleibt und zurückkommt.

Würzen sei ein großes Thema, erklärt Lehmann. Wenn der Koch beim Probieren instinktiv sage: „Da fehlt doch noch was“, dann sei es für Kinder genau richtig. Das Problem seien die Gewohnheiten der Eltern, sagt der Gastronom. „Wenn es mal negative Rückmeldungen zum Essen gibt, dann vor allem zum Veggie-Essen.“ Lob gäbe es für Klassiker wie Gulasch mit Nudeln. „Was ist gesund? Gemüse. Was essen unsere Kinder nicht? Gemüse!“, fasst Lehmann seine Erfahrung zusammen. Milchreis mit Kompott laufe super, aber genau davon will man ja weg. Gemüse in Form von pürierten Suppen gehe zum Beispiel immer besser. Lehmann macht sich die Mühe, immer wieder mit den Eltern zu diskutieren. „Eltern wissen oft gar nicht, welche Macht sie über die Ernährung ihrer Kinder haben“, sagt er. Sie könnten sehr wohl Einfluss nehmen.

Lehmann gilt als Vorbild einer recht jungen Branche. Bis vor rund 20 Jahren gab es praktisch keine Catering-Unternehmen, die Schulen und Kindergärten mit Mittagessen belieferten. Einige Gesamtschulen kochten ihr eigenes Süppchen, sonst waren Seniorenheime und Krankenhäuser die Kunden. Der neue Markt wächst in dem Maße, wie immer mehr Kindergärten und Schulen Essen anbieten. Heute kocht Lehmann für Alte wie für Junge, aber eben in zwei weitgehend getrennten Küchen. Darin sieht er ein Erfolgsgeheimnis. „Wir haben früh verstanden, dass Kinder- und Erwachsenenessen sehr unterschiedlich sind.“ Deshalb betrachtet er manchen Wettbewerber skeptisch, der am Wochenende für Events kocht und unter der Woche Schulen zum Dumpingpreis beliefert, um die Auslastung hochzuhalten. „Die kochen oft genauso wie für eine Hochzeitsgesellschaft, wie soll das funktionieren?“, fragt er sich.

Gemüse darf man nicht sehen

Möhren und Erbsen mögen bei der klassischen Buffettschlacht in einen Topf gehören, bei Kindern sollten sie in getrennten Schüsseln angerichtet sein. Gemüse darf man in Aufläufen nicht sehen. „Wir pürieren es oft in die Soße, so kriegt man die Nährstoffe am besten in die Kinder hinein“, sagt Lehmann und betont den Wert der Erfahrung gemixt in der Datenanalyse. „Wir schauen uns genau an, welche Speisereste wir zurückbekommen. Und dann lassen wir uns eben immer wieder etwas einfallen.“ Zur Wahrheit gehört einfach, dass viele Kinder eine Vielzahl an Gemüsesorten nicht von zu Hause kennen.

Mathilde Kersting gilt als wesentliche Forscherin in diesem Bereich. Die Ernährungswissenschaftlerin leitet noch mit 77 Jahren am Universitätsklinikum Bochum die Forschungsabteilung Kinderernährung. Ihr Konzept der optimierten Mischkost gilt als Standard. Pflanzliche Lebensmittel wie Gemüse, Obst, Kartoffeln und auch Brot können Kinder kaum genug essen. Tierische Lebensmittel wie Milch, Eier, Fleisch sollten nur mit Maß und fette, zuckerhaltige Speisen nur selten aufgetischt werden. Die DGE empfiehlt Kerstings Konzept in einer leicht abgeänderten Version. Wenn die Kinder sich gesund ernähren, werden sie sich auch im Alter daran halten. Wenn es nur so einfach wäre. „Unsere Kunden sind Kinder. Deren Wünsche sind nicht immer nur mit gesunden Lebensmitteln zu stillen“, heißt es beim Verband deutscher Schul- und Kitacaterer (VDSKC). „Die DGE-Standards in Reinform umzusetzen, hieße vermutlich auch, Essen für die Tonne zu produzieren.“

Forscherinnen wie Kersting können belegen, dass sich Kinder von Hinweisen, wie gesund Gemüse ist, nicht überzeugen lassen. Präventiv zu denken, ist nicht ihr Ding. Das kennen Eltern auch vom Zähneputzen. Kinder reagieren darauf irgendwann mit Trotz. Nahrungsmittel-Neophobie, also die Angst, unbekannte Lebensmittel zu probieren, lässt sich am besten über Vorbilder am Tisch lösen und das Erleben, dass Gesundes auch lecker sein kann. Zwar sind nur die wenigsten Erwachsenen so wählerisch wie im Kindesalter, doch in dieser Zeit bildet sich unser Ernährungsverhalten. Wer mit einem Jahr Brokkoli kostet, gewöhnt sich daran und speichert den Verzehr positiv ab. Kersting rät zu Geduld, Struktur und Entspannung – Vorbild zu sein, statt eine gesunde Lebensweise dauernd zum Thema zu machen.

Oft wird bei der Frage nach gesundem Essen auf dessen Kosten verwiesen. Tatsächlich ist diese Frage sehr komplex, auch für die Gastronomen, die Schulen und Kindergärten beliefern. Die Rechnung „mehr Geld gleich bessere Ernährung“ funktioniert nur zum Teil. „Gesundes Essen aus guten Lebensmitteln hat natürlich seinen Preis“, sagt Caterer Lehmann. Die Margen liegen zwischen fünf und sieben Prozent. Dabei ist das Kochen nur ein Aspekt von vielen. Die Logistik spielt eine große Rolle, oft werden Kindergärten und Schulen in rund 50 Kilometern Entfernung beliefert und das mit stets individuellen Menü-Zusammenstellungen. „Es ist viel mehr, als Essen kochen“, sagt Lehmann. „Es ist eine wahnsinnige Logistik, das richtige Essen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu haben.“

Dazu kommen viele Zertifikate, die ein professioneller Betrieb erwerben sollte. Bio-Quoten, Unterschiede zwischen den Bundesländern. Nicht zu vergessen die Mehrwertsteuer. In den Mensen der Universitäten liegt sie oft bei null Prozent, bei weiterführenden Schulen bei 19 Prozent, in Grundschulen und Kindergärten bei sieben Prozent. Lehmann muss zum Beispiel 19 Prozent zahlen, wenn er eine Dienstleistung erbringt, also wenn sein Personal bei einem Gymnasium das Essen ausgibt. Wenn nicht, zahlt er nur sieben Prozent. 

Nach einer Umfrage des Branchenverbands VDSKC unter seinen Mitgliedsunternehmen mussten 87 Prozent der Betriebe 2023 die Preise für ihr Essen erhöhen. 90 Prozent gehen davon aus, dass die Preise auch 2024 steigen werden. Die betrieblichen Ausgaben legten im Schnitt um 19 Prozent, vor allem bei Lebensmitteleinkauf und Personal. „Die neuen Umfrageergebnisse zeigen, unter welch großem Druck die Schul- und Kitacaterer und damit auch die Eltern, die das Essen ihrer Kinder letztlich bezahlen müssen, stehen“, sagt Ralf Blauert, Vorsitzender des VDSKC. Umso stärker kritisiert der Verband, dass die Mehrwertsteuer seit Januar wieder auf den Vor-Corona-Wert von 19 Prozent gestiegen ist. „Gerecht wäre eine Befreiung von der Mehrwertsteuer, wie es in den Uni-Mensen gehandhabt wird“, findet Blauert.

Der Preis für ein Kitaessen liegt der Umfrage zufolge momentan im Durchschnitt bei 3,65 Euro. Das Mittagessen an der Grundschule kostet durchschnittlich 4,20 Euro und das Essen an weiterführenden Schulen im Schnitt 4,45 Euro. Allerdings wurden vereinzelt auch Preise von bis zu 6,35 Euro für ein Schulessen genannt. Die Schwankungen sind nicht zuletzt auf unterschiedliche Kriterien in den Ausschreiberegularien zurückzuführen. Einige Gemeinden verpflichten Caterer dazu, Ausstattungen und Geräte in den Schulen zu bezahlen, manche fordern das Einhalten der DGE-Standards oder Bio-Mindestquoten. Auch gelten unterschiedliche Mindestlöhne in den Bundesländern. Ausgabekräfte müssen an der einen Schule gestellt werden, an der anderen nicht.

Tücken des Föderalismus

Auch die angebotenen Unterstützungen variieren stark. So haben einzelne Städte und Gemeinden Preisdeckel eingeführt. Manche bezuschussen die Portionspreise mit einem festen Geldbetrag, subventionieren Miet- oder Personalkosten. Es ist ein Flickenteppich an Anforderungen und Hilfsmöglichkeiten entstanden. Das gleiche Essen kann in der Nachbargemeinde deutlich mehr oder deutlich weniger kosten. „Ich kann Föderalismus nicht mehr hören“, sagt Lehmann. „Es wäre gut, wenn der Bund einheitliche Spielregeln vorgibt.“ 

Die mittelständischen Gastronomen fordern vor allem drei Dinge: erstens eine einheitliche Handhabung der Ausschreibungen in den Kommunen gemäß der bekannten Standards. Zweitens Fortbildungen auch der Pädagogen in den Einrichtungen und drittens, das Kostenproblem zu lösen. „Die einzig sinnvolle und zukunftstaugliche Lösung wäre, das Kita- und Schulessen für alle Kinder in Deutschland kostenfrei zu machen und gleichzeitig feste Qualitätsstandards einzuführen“, sagt Verbandschef Blauert. Länder wie Estland, Finnland, Frankreich und Schweden leben damit gut. Doch es geht nicht nur ums Geld und die Finanzierung des Essens. In vielen Einrichtungen mangelt es an Zeit, Platz und Personal. Dabei ist belegt, dass Kinder viel eher Gesundes essen, wenn Betreuer sie beim Mittagessen begleiten.

Dann ist da die Warenverfügbarkeit. „Wenn die großen Handelsketten Sonderaktionen fahren, kaufen die so den Markt leer, da kommen wir Caterer an einige Produkte kaum noch heran“, sagt Firmenchef Lehmann. Der Lebensmitteleinzelhandel werde stets als Erster bedient. Sind Gurken also beim Discounter eine Woche lang für 39 Cent zu haben, kann man fast schon sicher sein, dass es in der Kita diese Woche keine Gurken gibt. Dazu kommen die hohen Energiepreise.

Auf der anderen Seite herrscht Wettbewerb. „Es gibt immer jemanden, der es günstiger macht. Die Caterer sind auch selbst schuld“, sagt Lehmann. Die Verträge werden in der Regel für ein Schuljahr vergeben. Neben den Spezialisten gibt es andere Firmen, die mitbieten. Auflagen gibt es praktisch keine. Theoretisch kann jede Frittenbude die Verpflegung von Kindergärten und Schulen übernehmen.

„Ein vernünftiges Kinderessen muss mindestens vier Euro kosten“, rechnet Lehmann vor. Derzeit mache er es für 3,40 Euro pro Hauptgang plus 40 Cent fürs Dessert. „Es gibt Konkurrenten, die bieten einen Hauptgang für unter drei Euro an.“ Sein Wunsch an die Politik für die Zukunft wäre, dass ein Essen einheitlich fünf Euro bringt, 2,50 Euro von den Eltern und 2,50 Euro vom Staat. Doch selbst wenn alles rund ums Geld geregelt wäre, komme man an einer unbequemen Wahrheit nicht vorbei, meint Lehmann. „Es gibt derzeit nicht genug Personal, um alle Schulen und Kitas hinreichend gut satt zu machen.“
 

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