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Einkauf, Marketing und Marken > Miss Germany Wahl

„Wir gucken jetzt nicht jeden Sonntag zusammen Sport“

Max Klemmer führt die Miss Germany Studios. Er hat die fast 100 Jahre alte Auszeichnung völlig erneuert und dafür auch Streit mit dem Vater in Kauf genommen.

Max Klemmer
Max Klemmer leitet die Miss Germany Studios in Oldenburg seit 2019 in dritter Generation, das Unternehmen gehört ihm seit 2022. Der 27-Jährige organisiert die Miss-Germany-Wahl, die er komplett erneuert hat. Klemmer ist Veranstaltungskaufmann und hat Business Administration studiert. Bildquelle: © WendyStephan

Das Gespäch führte Thorsten Giersch

Die meisten kennen Miss Germany aus den Medien. Vor kurzem war das große Event. Kannst du jetzt ein paar Monate die Beine hochlegen?

Es ist zwar nur eine Veranstaltung im Jahr, aber wir hatten wirklich zwölf Monate lang harte Arbeit, denn wir wollen Frauen auszeichnen, die etwas bewegen. Um die zu finden, beschäftigen wir uns intensiv mit unseren Teilnehmerinnen und ihren Geschichten. Wir gehen richtig in die Tiefe. 

Du bist 27 und in dritter Generation geschäftsführender Gesellschafter der Miss Germany Studios.

Mein Großvater ist seit 1960, mein Vater seit 1984 und meine Mutter seit 1992 im Unternehmen. Ich bin dann 2014 eingestiegen, direkt nach dem Abitur. Angefangen hat es mit der Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann unter den Fittichen meines Großvaters. Dann bin ich nicht mehr aus der Nummer rausgekommen. (lacht) Und heute bin ich superfroh, ins Unternehmen eingestiegen zu sein.

Wolltest du immer die Nachfolge antreten?

Nein. Ich wollte etwas anderes machen. In die Automobilindustrie und alternative Antriebe entwickeln. Aber dann hat es sich anders ergeben. Mein Großvater war damals 70, wusste nicht, wie lange es ihm noch gut geht. Er hat sich gewünscht, dass ich übernehme. Ich bin ein Mensch, der anpacken will, keiner für einen Nine-to-Five-Job. Also habe ich ihm den Gefallen getan. Meine Freunde sagten noch: Du machst diesen coolen Job mit all den schönen Frauen. Um schöne Frauen ging es mir allerdings nie. 

Und ist es tatsächlich ein Traumjob?

Nein, es war schon anders als das, was ich zuvor am Familientisch mitbekommen habe. Da wird auch immer ein bisschen beschönigt. Ich bekam schnell einen unverblümten Blick und habe mir gedacht: Wir müssen hier einiges ändern, dass ich mich damit wohlfühlen.

Was hast du dann verändert?

Es fing bei der generellen Aufstellung des Unternehmens an. Ich habe mich sowohl mit der Ausrichtung der Show, ihren Inhalten als auch mit der Qualität der Show-Produktion beschäftigt. Dabei hatte ich einige Differenzen mit meinem Vater, was vollkommen in Ordnung für uns war. Ich habe mit externen Expert:innen gesprochen, habe mir viel Feedback eingeholt und so wurde mir bestätigt, dass vieles aus der Zeit gefallen war. Zudem haben wir als Familie Klemmer und als Unternehmen zu einem schiefen Frauenbild beigetragen durch diese Reduzierung auf das Äußerliche. Ich schlug vor, dass wir alles umkrempeln sollten, auch wenn es ein langer Weg wird. Es dauerte Jahre, bis wir digital waren und die Marke umpositioniert haben – weg vom Schönheitswettbewerb hin zu dieser Auszeichnung für Frauen, die Verantwortung übernehmen. 

Wie hast du das mit deinem Vater und deinem Großvater geregelt?

Mein Großvater und ich hatten schon immer eine sehr gute Beziehung. Bei meinem Vater ist es ein bisschen anders. Wir sind komplett verschiedene Menschen im privaten und im beruflichen Kontext. Mit ihm hat es zum Beispiel inhaltlich nicht gestimmt beim Thema Gleichberechtigung. Das hat tatsächlich auch dazu geführt, dass es einmal so richtig geknallt hat zwischen ihm, meinem Großvater und mir. Diesem Prozess darf man sich nicht verschließen, sondern muss ihn annehmen. Das haben wir gemacht. Wir respektieren uns, aber wir gucken jetzt auch nicht jeden Sonntag zusammen Sport.

Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatten unter deinem Vater und Großvater vermutlich Gewohnheiten entwickelt, die sich unter dir 
ändern mussten. Wie lief das?

Eine Mitarbeitende, Gabi, ist schon seit 45 Jahren im Unternehmen und hat alle Generationen mitgemacht. Sie spiegelt mir, dass früher eher das Patriarchische im Vordergrund stand: Chef macht Ansage, alle anderen springen. Und jetzt herrscht bei uns eher dieser kollaborative Ansatz. Wir sprechen gemeinsam, und die beste Idee gewinnt. Heute kann von jedem Menschen ein Impuls kommen. Die Unternehmensführung hat sich sehr gewandelt.

Viele junge Leute in deinem Alter wollen etwas gründen und nehmen zu Recht für sich in Anspruch, mit der Geschäftsidee auch mal scheitern zu dürfen. Wie gehst du damit um als Erbe eines Familienunternehmens und einer fast 100 Jahre alten Marke?

Für mich gibt es nicht die Option, im nächsten Jahr den Exit zu machen. Man muss schon ein sehr, sehr dickes Fell haben, um als Nachfolger im Business erfolgreich zu sein. Scheitern kann man sich nur erlauben, wenn man ein großes Polster hat – finanziell und vom Menschlichen her. Ich bin mir bewusst, dass ich die Verantwortung, die ich habe, nicht mal eben weitergeben kann. Ich bin die Endstation für alle Beschäftigten und einige sind seit mehr als 40 Jahren im Unternehmen. 

Wie gehst du damit um?

Es ist wichtig, ein Team zu haben und den Mut nicht zu verlieren. Natürlich sind wir auch mal auf die Nase gefallen, aber dann wieder aufgestanden. Wir haben daraus gelernt. Es geht um den Mittelweg, kalkulierbare Risiken einzugehen, ohne aus falschem Sicherheitsdenken unbeweglich zu sein. Wir wollen aber Paradebeispiel in Deutschland dafür sein, dass so eine Traditionsmarke sich auch mit Innovation verträgt.

Wie habt ihr die Marke konkret umgebaut? 

Wir haben die Kriterien bei der Wahl und die Juryarbeit verändert. Die Jury besteht jetzt nicht mehr überwiegend aus Männern. Wir vermessen seit 2019 Kandidatinnen nicht mehr beim Bikini-Walk nach 90-60-90, sondern achten auf drei ganz andere Kriterien. Zum einen: Wie tritt eine Frau auf? Hat sie das Potenzial, wirklich als Vorbild zu handeln? Zum anderen: Hat sie Kapazität, sich zu entwickeln, als Vorbild voranzugehen? Zum letzten: die Inspirationsfähigkeit. Kann sie Menschen für ihre Mission begeistern? Wir hatten in diesem Jahr eine Kandidatin zum Thema Frauenrechte im Iran oder eine Teilnehmerin aus Ghana, die sich dort für Jugendarbeit einsetzt. Ihre Story und Persönlichkeiten müssen einfach zu uns passen und die Gewinnerin muss die Gabe besitzen, andere auf ihre Mission mitzunehmen. 

Hast du Angst, dass jemand die 90-60-90-Wahl nachbaut und euch den Rang abläuft? 

Es gibt die Möglichkeit, die alte Version der Miss-Wahl anders zu nennen. Aber ich habe keine Angst, dass man uns den Rang abläuft. Denn durch die inhaltliche Neuausrichtung sprechen wir eine ganz andere Zielgruppe an. Es geht um Karriere und ob ich politisch etwas bewegen möchte. Also um Inhalte und nicht um äußerliche Merkmale. Wir kommen über Qualität – bei der Produktion und vor allem beim Inhalt.

Dafür steht auch das neue Advisory Board.

Das haben wir mit sehr hochkarätigen Menschen besetzt: Annahita Esmailzadeh, Magdalena Rogl, aber auch Christian Han, Vizepräsident der Deutschen Telekom. Die fordern uns sehr hart. Wir wollen keine Scheuklappen haben. Der Blick von außen ist mir sehr wichtig.

Glaubst du, dass euch der Zeitgeist hilft? 

Ich glaube, dass jedes Unternehmen nur dann erfolgreich sein kann, wenn der Unternehmenszweck auch wertebasiert ist. Wir haben den Wandel 2019 begonnen und das vermutlich radikaler als die meisten anderen Betriebe. Das war ein sehr harter Weg. Vor fünf Jahren hat längst nicht jeder diese sozialen Aspekte gesehen und wir wurden teilweise belächelt. Und jetzt sind wir am positiven Wendepunkt.

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