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Einkauf, Marketing und Marken > Ukrainekrieg

Arbeiten im Kriegszustand

Softserve liefert aus der Ukraine Software für internationale Konzerne. Die Situation verlangt enorme Flexibilität, hartnäckige Mitarbeiter und großes Kundenvertrauen.

Bildquelle1: SoftserveArbeit in Lemberg: Die Softserve-Zentrale in der Westukraine sieht aus wie viele andere Firmensitze. ; Bildquelle2: Belikova OksanaKrieg in Charkiw: Der Osten der Ukraine wird täglich von russischer Seite aus beschossen.

Täglich bombardiert Russland die Ukraine und versucht, Angst und Schrecken zu verbreiten, das Land mürbe zu machen, den Krieg zu seinen Gunsten zu entscheiden. Seit mehr als zwei Jahren geht das so. Fast scheint es, als hätte sich die Welt daran gewöhnt, dass sich die Ukrainer nicht besiegen lassen. Das Land baut weiter Getreide an und beliefert Kunden in aller Welt. Und andere Firmen arbeiten ebenfalls weiter, auch wenn die Umstände zum Teil dramatisch sind. Nur wenige Unternehmen lassen einen Blick hinter die Kulissen zu. Softserve aus Lemberg zum Beispiel, ein ukrainischer Softwarekonzern, den kaum jemand kennt, dessen Produkte aber viele nutzen. Das Unternehmen arbeitet unter anderem für Cisco, Google und SAP.

Olodymyr Semenyshyn wirkt freundlich und entspannt, Vollbart, Hemd. Er ist verantwortlich für das Softserve-Geschäft in Europa, Nahost und Afrika. Der Ukrainer wuchs in Montreal auf und arbeitete gerade in den Niederlanden, als Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine überfiel. Ein schwarzer Tag auch für das Unternehmen: „Wir hatten viele Büros im Osten der Ukraine“, sagt Semenyshyn. „Mit Kriegsbeginn haben wir mehr als 4000 Beschäftigte in den Westen der Ukraine gebracht, nach Bulgarien und Rumänien. Wir mieteten rund 300 Appartements für ein Jahr auf Kosten des Unternehmens, um genug Platz für die Leute zu haben, die umzogen.“

Russland versuchte zu diesem Zeitpunkt, die Ukraine blitzartig zu überrollen. Softserve hat es geschafft, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. „Wir waren schnell, weil wir wussten, was wir tun mussten. Wir hatten auch Büros in Sewastopol auf der Krim. Als Russland die Krim 2014 annektierte, haben wir mehr als 80 Prozent unserer dortigen Mitarbeiter in die Ukraine verlegt“, erzählt Semenyshyn. Schon damals war die Lage angespannt. „Wir begannen, Rückfalloptionen zu suchen, nur falls Russland aggressiver werden sollte.“ Auch seien einige der Kunden von Softserve sehr risikoscheu gewesen, gleichzeitig vertrauten darauf, dass alles stabil weiterlaufe. Softserve entwickelt und betreibt unter anderem kundenspezifische Software. „Wir brauchten also einen Plan für Kontinuität.“

Die Server stehen inzwischen in Deutschland und den USA. Dort liegen Daten, läuft die Software. „Unsere Systeme waren seit Kriegsbeginn keinen Tag unterbrochen“, sagt Semenyshyn stolz. Und sie sind immer noch vorbereitet, sollte Schlimmeres geschehen. „Rund 70 Prozent unserer ukrainischen Mitarbeiter arbeiten im Westen des Landes“, sagt der Manager. „Es gilt als sichere Zone. “

Zwei Dozenten gründeten das Unternehmen 1993 aus einer Lemberger Uni heraus. Erster Kunde war der US-Konzern GE. Damals flogen sie zum Kunden, um ihre Software zu installieren. Im Gepäck hatten sie 40 Disketten. Die erarbeitete Lösung war erfolgreich, GE empfahl die ukrainischen Softwarespezialisten weiter. Inzwischen berät Softserve Unternehmen bei der Digitalisierung, entwickelt und betreibt Software für Konzerne, steuert eigene Plattformen, liefert alles rund um Cloud. Und hilft auch bei künstlicher Intelligenz. Zu den Kunden zählen zahlreiche US-Großkonzerne. Softserve kooperiert unter anderem mit Microsoft und ist einer von drei globalen Partnern des Chipherstellers Nvidia.

Die Firma mit Sitz in Lemberg und Austin in den USA beschäftigt rund 12.000 Mitarbeiter, 6000 bis 7000 davon in der Ukraine. Das Unternehmen ist in ukrainischem Privatbesitz und schweigt sich über Zahlen aus. Der Umsatz dürfte Branchenkennern zufolge bald die Milliarden-Dollar-Marke knacken. Semenyshyn spricht von zuletzt bis zu 40 Prozent Wachstum. Denn die Kunden hielten an Softserve fest, trotz des Krieges im Land. Seit Kriegsbeginn hat keiner gekündigt. Eher das Gegenteil. „Unsere Kunden fragten, was sie tun könnten“, erinnert sich Semenyshyn. Sie halfen den Mitarbeitern beim Umzug, übernahmen zum Teil die Kosten. „Und besonders unsere europäischen Kunden boten uns mehr Arbeit an. Das half uns besonders. Mehr Arbeit bedeutet mehr Geld für die Mitarbeiter. Wir mussten sogar neue Leute einstellen. Selbst jetzt sind 200 Stellen unbesetzt.“

Von der Front in die Firma

Das Personal ist immer ein wichtiges Thema, zumal Softserve Spezialisten benötigt. „Zu Beginn des Krieges flohen viele Mitarbeiter auch ins Ausland. Sie arbeiten immer noch für uns“, sagt Semenyshyn. Hier hat Softserve einen Vorteil zu Betrieben aus der industriellen Produktion: Für ein Softwareunternehmen ist es möglich, die Beschäftigten arbeiten zu lassen, wo immer sie gerade sind. Auch sonst zeigt sich für Softserve flexibel. So sind einige Mitarbeiter, die geflohen waren, inzwischen zurück. „Wir haben sie wieder einbezogen“, sagt der Manager. Das Gleiche gilt auch für diejenigen, die vom Kriegseinsatz zurückkehren. „Wir haben ein besonderes Programm aufgelegt, um sie wieder mit Arbeit vertraut zu machen.“

Semenyshyn ist immer noch erstaunt über die Hilfe und darüber, dass sich offenbar niemand daran stört, mit einem Unternehmen zu arbeiten, dessen halbe Belegschaft in einem Kriegsgebiet arbeitet. „Kein Kunde lehnt ein Team aus der Ukraine ab“, sagt er. Dabei könnte der ein oder andere Kunde Sicherheitsbedenken haben. Ist aber offenbar nicht so. „Um den Krieg zu gewinnen, muss ein Land in guter ökonomischer Verfassung bleiben. Dabei hilft jeder Auftrag. Und der beste Weg, sich abzulenken vom Krieg, ist härter zu arbeiten“, beschreibt Semenyshyn die Stimmung im Unternehmen. „Unsere Leistung war immer schon hoch, aber sie ist noch gestiegen. Unsere Mitarbeiter begannen, noch härter zu arbeiten.“

So hart, dass sogar einige Kunden vorgeschlagen hätten, mal ein paar Tage freizunehmen. Sie überzeugt das Motto „Jetzt erst recht“ der Softserve-Belegschaft angesichts der stetigen Angriffe Russlands auf die Ukraine, die den Aggressor inzwischen in Schach hält, in Teilen sogar zurückdrängen konnte. Und erfolgreiche, wenn auch eher hemdsärmelige Angriffe auf die russische Schwarzmeerflotte zeigen, dass der Angreifer sehr verwundbar ist.

Softserve unterstützt weder Militär noch Rüstungsunternehmen, hilft aber indirekt: „Mehr als 300 unserer Mitarbeiter sind gerade in der Armee aktiv. Wir bezahlen sie weiter, zusätzlich zum Sold“, sagt Semenyshyn. Zudem hat der Konzern einen Hilfsfonds aufgelegt, der 200 Krankenwagen gekauft hat – für Kriegs- und Kriseneinsätze. „Wir sind Partner des ukrainischen Digitalministeriums und helfen der Regierung bei Cybersicherheit.“ Denn der Krieg wird nicht nur mit Panzern und Drohnen ausgetragen, sondern auch im Netz und mit Angriffen auf die Steuerung von kritischer Infrastruktur wie Stromnetzen und Internet.

Und während der Krieg ins dritte Jahr geht, hat Softserve jetzt eine Marketingkampagne gestartet. Gute Arbeit allein reicht offenbar doch nicht, die Menschen müssen auch das Unternehmen kennen. Und die Wachstumspläne sind weiter ehrgeizig.  

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