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Zukunftsmärkte > ESG-Kriterien

Warum Betriebe ihre Versicherungen überprüfen sollten

Für neue Policen werden ESG-Kriterien wichtiger. Klare Linien fehlen. Für die Suche nach einer Assekuranz können sich Unternehmen an einer einfachen Regel orientieren.

Katastrophale Flut: Das Hochwasser an der Ahr zerstörte Häuser und Betriebe.
Katastrophale Flut: Das Hochwasser an der Ahr zerstörte Häuser und Betriebe. Nicht alle waren versichert.Bildquelle: © picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt/Geisler-Fotopres

„Sustainable Underwriting“ heißt, woran sich Assekuranzen künftig orientieren wollen. Der Green Deal der Europäischen Gemeinschaft nimmt auch sie als Teil der Finanzwirtschaft in die Pflicht. Weil die milliardenschweren Kapitalströme der Versicherer ein weiterer Hebel zum ökologischen Umbau der Gesellschaft sind, unterliegen sie wie die Banken der Transparenzverordnung und der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Der Druck auf sie steigt aber auch außerhalb regulatorischer Vorgaben zur Kapitalanlage.

Das Geschäft mit kleinen und mittleren Unternehmen ist für die Assekuranzen herausfordernd. Die Firmen sind eine sehr heterogene Zielgruppe mit unterschiedlichsten Größen, Geschäftsfeldern, Branchen, Bedürfnissen, wirtschaftlichen und ökologischen Risiken. Einheitliche Produkte sind schwer zu gestalten. Und die Versicherer haben dasselbe Problem wie die Finanzierer. Es fehlen einheitliche, verpflichtende Standards für ESG-Kriterien.

Institutionelle Investoren fragen verstärkt, welche Risiken sich in den Bilanzen der Versicherer verbergen, weil sich deren Kunden unzureichend auf ESG-Probleme vorbereitet haben. Auch mögliche neue Versicherungsnehmer treibt das um. Dazu kommt noch das ganz persönliche Interesse der Versicherungsvorstände. Denn wer die Vorschriften und Offenlegungspflichten in seinem Verantwortungsbereich nicht einhält, dem drohen unangenehme Haftungsfragen. Auch deshalb gaben in einer Studie der Beratung Capgemini 60 Prozent der Versicherungsmanager an, dass nicht das Anlagethema oder der Marketingaspekt zu mehr Fürsorge für die Umwelt führt, sondern die Sorge, die ESG-Kriterien könnten neue Risiken bringen oder bestehende vergrößern.

Der Handlungsbedarf ist offensichtlich, die Komplexität wegen großer Datenmengen und aufwendiger Vorhersagemodelle gewaltig, das genaue „Wie“ schwierig. Die neuen Berichtsstandards umzusetzen ändere nicht nur, wie eigene Kapitalanlagen gemanagt, sondern wie mögliche Versicherungsrisiken übernommen werden, warnt Fred Wagner, Versicherungsprofessor an der Uni Leipzig und Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), schon seit längerem. „Wenn Standards im gesamten Geschäftsmodell angewandt werden müssen, auch bei der Risikoselektion und Produktgestaltung im Versicherungsgeschäft, wird es komplex.“

Deshalb gibt es keine klaren Vorgaben, an denen sich kleine und mittlere Unternehmen auf der Suche nach dem künftig richtigen Versicherer orientieren können. Klar ist aber, dass die Nachweise für das eigene ESG-Engagement, die Banken und andere Finanzierer bereits jetzt fordern, in den kommenden Jahren auch für die Berechnung der Versicherungsprämie wichtig werden.

Den Einzelfall im Blick

Michaela Willert, im Gesamtverband der deutschen Versicherer verantwortlich für das Thema Nachhaltigkeit, sagt: „Die konkrete Ausgestaltung der ESG-Kriterien wird sich in den kommenden Jahren entwickeln.“ Erste Versicherer positionieren sich auf dem Markt schon entsprechend, aber „das sind Einzelfallentscheidungen, je nach Kunden“, erklärt Willert. 

Auch bei der Frage „Bonus oder Malus?“ ist die Lage zwischen Versicherungen und Banken vergleichbar. „Der Grad der Einhaltung der ESG-Kriterien fließt über erste Versuche hinaus noch nicht in die Prämienhöhe ein“, sagt Willert. Das betrifft bisher vor allem Faktoren, die sich verhältnismäßig leicht prüfen lassen, beispielsweise vorinstallierte Apps, die rechtzeitig vor einem drohenden Hochwasser warnen. Willerts Einschätzung klingt noch zurückhaltender als die der befragten Versicherungsmanager der Capgemini-Studie. Danach berücksichtigen weniger als die Hälfte der Sachversicherer tatsächlich ESG-Bewertungen in ihren Vertragsverhandlungen. Weniger als ein Drittel bietet Vorzugskonditionen für Kunden mit eigenen Nachhaltigkeitsinitiativen.

Das ändert sich wohl. Die Versicherer spielen ihre ESG-Kriterien nun in jeder betroffenen Sparte durch, egal ob für Privatleute oder Gewerbekunden. Verpflichtend sind sie unter anderem für Berufsunfähigkeits-, Krankheitskosten-, Arbeitsunfall-, Auto-, See-, Luft- und Transportpolicen, Feuer-, Gebäude-, Hausrat- und Betriebsunterbrechungsversicherungen. Die Sachversicherer kalkulieren von Stürmen bedrohte Immobilien neu. Die Kollegen aus der Haftpflichtabteilung rechnen mit mehr Rechtsfällen, weil ESG-Kriterien nicht eingehalten werden. Selbst die Fachleute der Privaten Krankenversicherungen diagnostizieren mögliche Risiken. Hier schlägt die Stunde der Datenspezialisten. Zur Risikoanalyse potenzieller Kunden durchflöhen sie Klima- und Wetterinformationen genauso wie Produktionsechtzeitdaten aus der Industrie. Sie werten Haftpflichtdatenbanken und Dokumente aus der Schadenregulierung aus. Künstliche Intelligenz hilft dabei, Muster und Gefahren zu erkennen.

Denn auch wenn die Versicherungsbranche ESG noch eher schleppend umsetzt, könnte das Thema in den nächsten Jahren zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor werden. Die neuen Auflagen treffen auf zunehmend wechselwillige kleine und mittlere Unternehmen. Versicherer, die bessere, nachhaltigere Verträge anbieten, haben Vorteile. Wobei die Kundschaft zugleich mehr Service erwartet und mehr Tempo bei der Abwicklung eines Schadens. 

Hoher Wechselwille

Versicherer, die Automatisierung, Standardisierung und zielgruppengerechte, einfache Angebote prämienschonend kombinieren, erzielen neues Geschäft. Das zeigt eine Umfrage der Unternehmensberatung McKinsey. Nur ein Drittel der Unternehmen ist mit seinem bestehenden Versicherungsschutz rundum zufrieden. Wechselten Handel, Gewerbe und Industrie bisher meist den Anbieter, wenn ihre Prämie wieder stieg, ändert sich das gerade. Die befragten Manager suchen andere Anbieter, wenn neue Risiken auftauchen, vor denen sie sich schützen wollen – etwa bei einer Expansion in neue Geschäftsfelder.

Und dann sind da die vielen Unternehmen, die bisher auf manche Versicherungen verzichten, im Zuge von ESG aber wohl welche benötigen. Das noch ungenutzte Marktpotenzial allein bei unterversicherten Klein- und Kleinstunternehmen soll sich auf bis zu zwei Milliarden Euro Jahresprämien summieren. Die größten Lücken haben die die kleinsten Unternehmen. Ein gutes Drittel von ihnen fehlt Versicherungsschutz. 

Ein valider Parameter für Mittelständler, um künftig die Qualität des eigenen Versicherers zu beurteilen, ist die Frage, wie der jetzt bereits mit Cyberrisiken umgeht. Weil es in dieser Sparte mit minimalem Aufwand der Angreifer zu maximalen Schäden bei den attackierten Unternehmen kommt, helfen die Versicherer den Firmen, vorzubeugen. So wollen sie verhindern, dass es überhaupt zu innerbetrieblichen Katastrophen wie Betriebsunterbrechung, Produktionsstillstand, Reputationsschaden kommt, Daten verloren gehen oder teuer wieder hergestellt werden müssen. Gute Versicherer leiten ihre Kunden– mit erheblichem Aufwand – durch Schulungs- und Informationsportale, bieten eine Datenschutzhotline und eine IT-Dienstleisterliste. Wer clever ist, positioniert sich jetzt als ESG-Berater für Unternehmen.

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