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Personal > Ariane Hingst im Interview

Zum Weltfrauentag: Warum Unternehmen bei Diversität Vorreiter sind

Gleichermaßen umweltfreundlich und sozial zu sein, ist für viele Unternehmen schwer. Beim Thema Gleichberechtigung zeigt sich das besonders. Warum Unternehmen hier derzeit Vorreiter sind für die Gesellschaft.

Ariane Hingst
Ariane Hingst: Klare Worte: Doppelfußballweltmeisterin Ariane Hingst will die neue Frauenmannschaft des FC Viktoria Berlin binnen fünf Jahren in die Bundesliga bringen. Deutschland hängt für sie bei Diversität deutlich hinterher.© picture alliance/dpa | Sebastian Christoph Gollnow

Auch in Sachen Umweltfreundlichkeit spielt der FC Bayern München in der Champions League. Der Klub nutzt erneuerbarer Energien und Einwegkunststoff ist im Stadion so unbeliebt wie Blutgrätschen der gegnerischen Mannschaft. Schon bei der Bewerbung für die Weltmeisterschaft 2006 hat der Rekordmeister für die Allianz Arena ein Umweltmanagementsystem eingeführt. Unermüdlich investieren die Bayern weiter. Das E in ESG ist also meisterlich. Beim S sieht es nicht ganz so aus.

„Wenn man Weltmeister wird, ist man emotional. Und was er da gemacht hat, ist – sorry, mit Verlaub, – absolut okay.“ Das sagte Karl-Heinz Rummenigge, Aufsichtsratsmitglied und eine wesentliche Figur des FC Bayern, über Luis Rubiales. Der erst nach wochenlangem Druck zurückgetretene Chef des spanischen Fußballverbands RFEF hatte die Spielerin Jennifer Hermoso nach dem gewonnenen WM-Finale vor einem Millionenpublikum gegen ihren Willen auf den Mund geküsst. Emotionalität sei wichtig, man solle die „Kirche im Dorf lassen“, sagte Rummenigge dazu. In der Pressestelle der Münchener dürften sie die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen haben, der Imageschaden ist beträchtlich. Für den Verein, aber auch den deutschen Fußball insgesamt. Gerade in einem Moment, wo der Frauenfußball richtig durchstartet.

Wenn Sport ein Spiegelbild der Gesellschaft ist, wie es immer wieder hießt, zeigt sich hier eine enorme Doppelmoral: Es ist für Menschen wie für Unternehmen schwierig, in der gesamten Breite nachhaltig zu handeln. Dass Wirtschaftsakteure unter strengerer Beobachtung stehen, mag dafür sorgen, dass sie weiter sind als der Rest der Gesellschaft. All die sozialen Faktoren inklusive Geschlechterdiversität müssen stimmig sein, sonst nützen die ökologischen Maßnahmen nur die Hälfte.

Ziel: erste Bundesliga 

„Es ist total schlimm zu sehen, wie die Gesellschaft noch tickt. Die unterirdische Aussage von Karl-Heinz Rummenigge zeigt, wie viele dieser Herrschaften oft noch über die Rolle der Frau denken“, sagt Ariane Hingst, eine von recht wenigen Menschen auf dem Planeten, die zweimal eine Fußballweltmeisterschaft gewonnen haben. Heute ist Hingst Fernsehkommentatorin und Managerin. Sie hat gemeinsam mit fünf anderen Frauen das Projekt FC Viktoria Berlin gestartet. Den Verein gibt es seit 1889, aber Hingst und ihre Mitstreiterinnen gliederten die Frauenabteilung als GmbH aus dem bestehenden Verein aus und wollen die Mannschaft innerhalb der kommenden fünf Jahre in die erste Bundesliga führen. Derzeit spielt die Mannschaft in der Regionalliga, im Sommer hat sie den Aufstieg in die zweite Liga in der Relegation gegen den Hamburger SV verpasst.

Auf die Frage, warum es Viktoria Berlin braucht, wo inzwischen doch auch die großen Vereine begriffen haben, dass sie nicht nur in die Männermannschaften investieren können – mal auf sanften, mal auf unsanften Druck der Sponsoren, antwortet Hingst: „Es gibt viele Wege, um Frauen im Sport zu fördern. Als damals die Bekanntgabe des Angel City Football Clubs aus den USA rauskam, war das quasi unsere Geburtsstunde: So etwas braucht es in Berlin auch.“

Das sportliche Ziel erste Liga bedeutet auch hohen Druck: „Ohne sportlichen Erfolg wird das Projekt nicht auf Dauer existieren. Aber der gesellschaftliche Erfolg ist genauso wichtig. Also die Sichtbarkeit unseres Anliegens, der Aufbau der Marke – nur dass diese Ziele nicht so konkret in Zahlen zu pressen sind“, erklärt Hingst. „Wir messen Erfolg auch darin, dass wir immer mehr junge Leute mit unseren Gamechanger-Pullovern auf der Straße sehen – übrigens auch Jungs und Männer und Leute, die eigentlich gar keinen Bock auf Fußball haben. Wir schaffen Role Models und machen Mädchen Mut.“ 

Das gesellschaftliche Ziel: mehr Fairness, mehr Sichtbarkeit, mehr Chancengerechtigkeit für Frauen im Sport. Dem haben sich prominente Unterstützerinnen wie die mehrfache Schwimmweltmeisterin Franziska van Almsick und Tennis-Ikone Steffi Graf genauso angeschlossen wie die Parfümerie-Kette Douglas und das Stellenportal Stepstone als neue Hauptsponsoren sowie der US-Sportartikelhersteller Nike als offiziellen Ausrüster.
Diversität rechnet sich 

„Eine Marke aufzubauen, kostet viel Geld und Zeit. Es braucht eine ganze Maschinerie, um genug Unterstützer anzulocken“, sagt Hingst. „Unsere aufwendige Homepage und all die Arbeit auf Social Media funktionieren super, aber das gibt es nicht umsonst. Es wird in allen Bereichen viel investiert.“ Jüngst hat der Klub seine zweite Finanzierungsrunde erfolgreich abgeschlossen. Der Fußballklub als Start-up. Vor einem Jahr hatten 87 Geldgeber eine Million Euro in das Team gesteckt. Nun sind 1,2 Millionen Euro hinzugekommen. Zu den Neu-Investoren zählen unter anderem Donata Hopfen, ehemalige Geschäftsführerin der Deutschen Fußballliga DFL, Werbegroßmeister Jean-Remy von Matt und der Chef von Ströer Media, Alexander Stotz. „Wir freuen uns über den Erfolg bis hierhin auf allen Ebenen. Aber de facto sind wir ja gerade erst losgegangen“, sagt Hingst. Viktoria Berlin ist es gelungen, ein breites Netzwerk aus Sport, Politik, Wirtschaft und Medien zu bilden. 

Investitionen in Diversität rechnen sich, sagt Hingst – und erinnert an die Geschichte der Bundesliga. „Was viele vergessen ist ja, der Männerfußball war über viele Jahre hinweg im Minus, ein mieses Geschäft. Das hat viel länger gedauert profitabel zu sein als jetzt bei den Frauen.“ Inzwischen gibt es Champions-League-Spiele mit mehr als 90.000 Zuschauern. „Wer in Frauenfußball investiert, bekommt einen Return“, sagt Hingst. Aber: In der ersten Bundesliga spielten Frauen, die noch 20 Stunden pro Woche parallel zum Training arbeiten gehen müssten.

Professionelles Marketing gehöre eben dazu und auch ein gewisser Mut, sagt Hingst. „Man muss noch laut sein und trommeln, man muss Forderungen stellen. Was gut ist, dass man über soziale Medien auch andere Plattformen und Reichweiten zur Verfügung hat. So ist man nicht mehr so abhängig von den Medien.“ Mit der Gleichberechtigung hierzulande ist Hingst noch nicht zufrieden. „Die Gesellschaft verändert sich. Wenn auch viel zu langsam. Gerade in Deutschland sind wir verglichen beispielsweise mit Skandinavien noch weit hinterher. Aber es tut sich immerhin was.“

Im Vergleich zur Gesellschaft insgesamt ist die Unternehmenslandschaft weiter, wie es scheint. Isabell Welpe fasst die verfügbaren Daten so zusammen: „Grundsätzlich sehen wir eine zunehmende Beschäftigung mit dem Thema Diversität und auch Verbesserungen“, sagt die Professorin für Strategie und Organisation an der TU München. Sie betont, dass die meisten Betriebe sich nicht nur aus freien Stücken bewegten. „Das wird ganz stark getrieben von den ESG-Berichtspflichten, die ab nächstem Jahr auf Unternehmen zukommen.“ Hier liege der Anreiz, Fortschritte zu erzielen und auch zu dokumentieren. „Und ich glaube, da arbeiten eine ganze Reihe von Unternehmen auch jetzt schon daran, sich auf diese Entwicklung vorzubereiten.“

Die große Herausforderung bei der ESG-Thematik sei die der Messbarkeit, sagt Welpe. Welche Indikatoren messen eigentlich das, was sie messen sollen, auch für einen längeren Zeitraum und einschließlich der Folgen auf andere Bereiche im Unternehmen? Da bilde Diversität keine Ausnahme, sagt Welpe. Einige Daten lassen sich gut beobachten und erfassen. Aber wie ist das mit sozialer Herkunft, Bildungshintergrund, sozialer Schicht, Familienstand, Einstellungen, Denkstil und so weiter? Alles Kriterien, in denen Menschen sich unterscheiden. Und die können Unternehmen oft gar nicht erfassen. „Wenn Firmen ein gutes Verständnis darüber haben, wer sie sind, also über ihre eigene Identität, und wer die Menschen sind, mit denen man in einer Organisation arbeiten will, tun sie sich leichter damit, in ganz diversen Talentpools zu fischen“, sagt die Professorin. Wer mehr Diversität will, muss also seine Firmenkultur anpassen.

Was so einfach klingt, hat einen Haken: Die Kultur zwischen Wahrheit und Wunsch zu kennen, ist gar nicht so leicht – zumindest, wenn man es nicht bei flachem Buzzword-Bingo belassen möchte. Die Wissenschaftlerin rät: „Wenn Sie wissen wollen, wie die Kultur Ihrer Organisation aussieht, können Sie sich die folgende Frage stellen: ,Was kann hier in meiner Firma, in meiner Organisation passieren, was eigentlich nirgendwo anders passieren könnte?‘“ Dann gibt es erlebbare oder beobachtbare Dinge wie Regelungen, Gebäude, Abbildungen, Darstellungen, „also Dinge, die Beschäftigte sehen, anfassen, fühlen können“. Und es gibt schwerer Erfassbares. Geschichten, die man sich erzählt, was man tut, was man nicht tut, was tabuisiert ist, was selbstverständlich ist, was es woanders nicht gibt.

Hartnäckigkeit nötig 

Kultur sei der wohl größte Einflussfaktor auf das Denken, Fühlen und das Verhalten von Menschen in Firmen, sagt Welpe. Eine ganz entscheidende Variable, aber auch eine sehr schwer zu verändernde Variable. Eine Organisation ist das Ergebnis ihrer Routinen, also das, was die Organisation und die in ihr tätigen Menschen sozusagen automatisiert jeden Tag tun. „Wenn man das verändern will, braucht es eine Hartnäckigkeit, weil man neue Routinen so lange bewusst durchführen muss, bis diese neuen Routinen auch in Fleisch und Blut übergehen.“ Ein guter Weg sei, sich so kleine Ziele zu setzen, dass man sie an seinem schlechtesten Tag erreichen kann.

Die Wissenschaftlerin ist übrigens davon überzeugt, dass Organisationen Diversität gar nicht maximieren sollten. „Denn das hieße streng genommen auch, dass man jemanden bräuchte, der klug ist – und jemanden, der nicht so klug ist. Firmen bräuchten jemanden, der loyal ist, und jemanden, der nicht loyal ist. Das, glaube ich, will niemand in Firmen.“ Was also ist das Ziel von Diversität, Frau Welpe? „Das Endziel von diesen Initiativen ist ja Zugehörigkeit, also dass sich Menschen, die relevante Beiträge in einem Unternehmen machen können, ohne Ansehen ihrer demografischen sozialen Merkmale, sich auch zugehörig fühlen.“

In Spanien sind die Frauen übrigens nicht nur im Fußball erfolgreicher, sondern auch im Kampf um Gleichstellung. Auf dem sogenannten Gender Equality Index der Europäischen Union liegt Spanien mit 74,6 Punkten deutlich vor Deutschland mit 68,7 Punkten. Frauen verdienen hierzulande 18 Prozent weniger als Männer, in Spanien „nur“ neun Prozent. Mit seinem erzwungenen Kuss wirkt (Ex-)Fußballfunktionär Luis Rubiales völlig aus der Zeit gefallen. Über Karl-Heinz Rummenigge könnte man wohl Ähnliches sagen.

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