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Einkauf, Marketing und Marken > Zeitgerechte Kundenkommunikation

Wie der Kunde zum König wird

Deutsche Firmen hängen anders als chinesische bei der Kommunikation mit Kunden zurück. Neue Technologien allein helfen nicht. Welche technologischen und strategischen Trends wichtig sind, erklärt der Experte Björn Ognibeni im Interview​​​​​​​.

Björn Ognibeni beschäftigt sich als selbstständiger ­Berater mit den Chancen der digitalen Transformation für Unternehmensführung, Produktentwicklung, Marketing und Vertrieb. Er erforscht an der Universität Münster die Potenziale virtueller Realitäten und des Metaverse. Mit ChinaBriefs.io bringt er westlichen Managern nahe, was sie von digitalen Innovationen in China lernen können.Bild: © MUNICH MARKETING WEEK/M. KROLL/P. JELEN

Deutschland ist nicht gerade bekannt für gute Kommunikation mit Kunden, egal ob für Service, für den Vertrieb oder um sie einfach nur an sich zu binden. Rund ein Viertel der Unternehmen erfüllen nicht einmal den gesetzlichen Standard, nämlich eine Rufnummer anzugeben. Das können wir uns nicht mehr leisten, sagt Unternehmensberater Björn Ognibeni, der Konzerne wie Volkswagen, die Deutsche Bahn oder Telekom Deutschland beim Aufbau ihrer Dialogkanäle in sozialen Medien unterstützt hat.

Herr Ognibeni, wir erleben gerade, wie chinesische Einzelhändler sehr schnell Marktanteile gewinnen: Was machen Shein und Temu anders bei der Ansprache der Kunden?

Zunächst einmal geben sie wahnsinnig viel Geld aus, um neue Kunden auf ihre Plattformen zu bekommen. Deshalb sehen wir dort so extreme Wachstumszahlen. Sie denken dabei aber nicht so kurzfristig und kampagnengetrieben wie wir. Ziel ist es eher, die neuen Kunden langfristig zu binden. Günstige Preise reichen dafür nicht aus. Vielmehr muss man echte Erlebnisse bieten und das ist etwas ganz anderes als unsere auf Effizienz getrimmten Online-Auftritte, die sich in Sachen User Experience seit 20 Jahren kaum verändert haben.

Wie sieht das konkret aus und was könnten westliche Firmen sich abschauen?

Das ist sehr unterschiedlich – je nach Zielgruppe. Was wir aber auf jeden Fall lernen können: Die Zielsetzung ist eine ganz andere. Bei uns geht es um den möglichst einfachen Online-Einkauf. Chinesischer E-Commerce will eben auch ein Erlebnis bieten, Entdeckungen ermöglichen. Man soll in die App nicht nur gehen, um etwas zu kaufen, sondern auch um Spiele zu spielen, sich mit anderen auszutauschen. Aber immer mit Bezug zu den Produkten auf der jeweiligen Plattform. Das geht viel über Gamification – Kunden spielen zum Beispiel mit kleinen Kätzchen und bekommen so Coupons für Produkte. Oder man geht nach Feierabend statt zu Netflix in Live-Shopping Streams, wo ganz viele verschiedene, teilweise total abgedrehte Shows stattfinden. In China ist das alles Alltag. Hier haben wir uns lange gefragt, ob westliche Konsumenten solche Angebote auch annehmen. Shein, Temu & Co. zeigen jetzt, das es so ist. Und es ist bezeichnend, dass solche Innovationen nicht aus den USA kommen.

Was zeichnet die Chinesen aus?

Es hat vor allem viel mit Mentalität zu tun. In China gibt es eben eine Sache nicht, die bei uns im Westen die Regel ist: Man wird dort nie fertig.

Was meinen sie damit?

Hier im Westen sehen wir ein neues Problem, lösen es und denken: So, das war’s, ich bin fertig. Danach wird nur noch optimiert, aber nicht mehr grundsätzlich neu gedacht. E-Commerce ist dafür ein gutes Beispiel: Wir haben vor 20 Jahren gelernt, wie man online einen Shop betreibt und danach nicht mehr viel geändert. Natürlich hat Amazon sein Logistiknetzwerk ausgebaut, klar. Und auch Zalando hat an vielen Stellschrauben gedreht. Aber im Kern hat sich wenig geändert. Und das ist in China halt komplett anders. Da hat man mit E-Commerce genauso angefangen wie wir, aber man war nie fertig, sondern hat ständig neue Strategien und Ansätze ausprobiert.

Warum sind die Händler bei uns nicht auf die Idee gekommen, ihren Kunden mehr Erlebnisse zu bieten?

Das liegt ein Stück weit an den Kunden. In China erwarten Konsumenten immer neue Ideen und probieren diese gern aus. Wir sind zufrieden mit dem, was wir haben. Uns reicht es, wenn das, was wir kennen, gut funktioniert. Dann gibt es auch technische Gründe. Das Internet wird in China fast ausschließlich mobil und über Apps genutzt. Browser und Webseiten spielen keine große Rolle. Wenn alle Kunden meine mobile App nutzen, habe ich natürlich als Shopbetreiber ganz andere Möglichkeiten, für Erlebnisse zu sorgen oder zu unterhalten. Amazon und Zalando haben es hier schwerer. Aber Shein zeigt eben, dass auch deutsche Konsumenten solche Ideen annehmen. Dazu gehört auch, dass man Online-Shopping zu einem sozialen Erlebnis macht, was man mit anderen ­teilen kann.

Hier sind es die Kunden gewohnt, dass man per Mail mit ihnen kommuniziert. Gibt es da nichts Besseres?

E-Mail als Kanal ist nicht so schlecht wie sein Ruf. Die Frage ist, ob Marken ihn nur in eine Richtung nutzen. Ob zum Beispiel der Absender no-reply@tollershop.de ist? Wer es dem Kunden so bewusst unmöglich macht, zu antworten, verschenkt viele Chancen. 

Es ist also eher eine Frage der Kultur als der Technologie?

Ja, denn wir wollen vor allem rausschicken und der Kunde kann dann mit einer Bestellung antworten. Das reicht. Ein echter Dialog findet praktisch nicht statt. Das sieht man auch bei Callcentern, die KPI haben wie Call Deflection oder Contact Avoidance. Unternehmen geben irre Summen für Werbung aus, um für den Kunden sichtbar zu werden. Aber wenn der Kunde dann kommt, tun wir alles, damit wir nichts von ihm sehen oder hören.

Warum ist das so?

Weil die meisten Unternehmen den Kundendialog primär als Kostenproblem sehen und diese Kosten will man minimieren. In China sieht man das ganz anders – nämlich als Gelegenheit zum Beziehungsaufbau. Für B2B-Unternehmen ist dieser Gedanke auch bei uns ganz normal. Ebenso würde der Besitzer eines Ladens sich nicht weigern, mit jemandem zu sprechen, der zur Tür reinkommt. Aber viele Online-Shops tun genau das und versuchen möglichst wenig direkten Kontakt zu ihren Kunden zu haben.

Kann künstliche Intelligenz hier Abhilfe schaffen?

Es kommt darauf an, warum man hier KI einsetzt. Geht es nur darum, Kosten zu sparen, oder will man einen echten Mehrwert für den Kunden schaffen? Frühere Chatbots sollten nur die Illusion eines Dialogs erzeugen und haben die Kunden meist genervt. Die neueste Generation ist aber in der Lage, einen echten Dialog zu führen und individuelle Probleme wirklich zu lösen. Wenn diese Dialoge dann auch noch inhaltlich ausgewertet werden, kann das eine gute Option sein. Dabei macht es Sinn, eher auf Chat statt auf Telefonate zu setzen. Das ist aber auch ohne KI ein noch sehr unterschätztes Tool im Kundendialog.

Inwiefern?

Zunächst einfach, weil Chats viel günstiger und skalierbarer sind als Telefonate. Ein Agent kann immer nur mit einer Person sprechen, aber mit vielen gleichzeitig chatten. Dann sind wir alle sehr vertraut mit WhatsApp, Messenger und Co. Wir chatten heute mehr, als wir telefonieren. Unternehmen sollten dieses veränderte Kommunikationsverhalten ihrer Kunden nachvollziehen. Aber vor allem bietet gerade der Chat für Marken viel mehr Möglichkeiten zum Beziehungsaufbau als Telefon oder Newsletter. Deshalb haben CRM-Systeme in China auch immer Chat-Kanäle mit integriert.

Das heißt?

Dort, wo es konzeptionell passt, lassen sich über Chatgruppen ganze Communitys aufbauen, die nachhaltigen Nutzen stiften, indem sie zum Beispiel Hilfe bieten oder einen Austausch auch zwischen Kunden ermöglichen. In jedem Fall muss man den Chat als echten Dialogkanal verstehen, denn erst wenn man seine Kunden nicht als rein passive Empfänger sieht, schöpft man die hier vorhandenen Potenziale wirklich aus. Hier kann eine Mischung aus KI und menschlichen Agenten dafür sorgen, dass solche Gruppen mit überschaubarem Aufwand gemanagt werden können. Die Aufmerksamkeit bei den Kunden ist dann deutlich größer als zum Beispiel bei Newslettern.

Aber irgendwann folgen die Menschen zu vielen Gruppen.

Ja, im Moment ist die Aufmerksamkeit noch hoch. Aber je mehr Gruppen es gibt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie wieder abnimmt. Das war bei E-Mail-Newslettern ganz ähnlich. Hier ist es wichtig, immer wieder Gründe zu liefern, warum man in der Gruppe bleibt. Einen harten Kern von Nutzern wird man so dauerhaft halten. Die spannende Frage ist dann, wie man die so entstandenen Beziehungen optimal nutzt. Gleichzeitig sind wir hier aber auch wieder genau bei der Frage des Fertigwerdens. Ein Kanal, den wir heute bauen, wird morgen super funktionieren, aber übermorgen vielleicht schon wieder veraltet sein. Wir bauen keine Systeme für die Ewigkeit, sondern sollten die Dynamik des Veränderns ganz selbstverständlich mitdenken. Das ist auch die wichtigste Lektion, die wir von unseren chinesischen Wettbewerbern lernen können.

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