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Zukunftsmärkte > Top-Gewerbegebiete

Wo Deutschland noch wachsen kann

Es gibt abgehängte Regionen und die, in denen Unternehmen keine freien Flächen mehr finden. Aber die Bundesrepublik bietet auch ein paar aufstrebende Standorte. Diese Karten zeigen wo.

An vielen attraktiven Standorten in Deutschland gibt es kaum Platz für den Bau neuer Unternehmensstandorte. Bild: Shutterstock

Der Abgesang auf den Standort Deutschland könnte derzeit lauter kaum sein. Geopolitische Sorgen wegen des Ukraine-Kriegs, des Wirtschaftsstreits von USA und China sowie des China-Taiwan-Konflikts sind das eine, die zunehmende Bürokratie nicht zuletzt durch die Europäische Union das andere. Dann sind da die hohen Energiepreise und fehlenden Fachkräfte. Aber für die meisten Mittelständler ist der Standort das, wo die Werkshalle drauf steht – das Gewerbegebiet im eigenen Ort. Und da gilt seit jeher: Wer wachsen will, braucht Platz. Doch freie Flächen sind nicht einfach zu finden. Vor allem da nicht, wo die Wirtschaft brummt – also vor allem im Süden Deutschlands. Hier stoßen Firmen an Wachstumsgrenzen, weil Gewerbeflächen fehlen. Und da, wo Platz ist, wollen Unternehmen oft nicht hin.

Das Forschungsinstitut Prognos hat exklusiv für Markt und Mittelstand errechnet, wo es hierzulande Schnittmengen gibt: Regionen – Landkreise, um genau zu sein – die sowohl noch freie Flächen haben als auch prosperieren. Wobei „freie Fläche“ einfacher klingt, als es ist. Denn wann ein Gewerbegebiet wirklich bebaut werden kann und zu welchem Zeitpunkt, ist eine höchst komplexe Frage.

In Regionen wie Wilhelmshaven etwa gibt es auf den ersten Blick reichlich Platz, aber wer genau hinschaut merkt: Ein Großteil davon ist Naturschutzgebiet, wenn auch in unmittelbarer Nähe zu Industrieflächen. Deshalb hat Prognos für die Analyse die Flächen in die Berechnung einbezogen, die größer als 20 Hektar sind und von den Landesregierungen vermarktet werden. Anders gesagt: die offiziell verfügbaren Flächen.

Dazu kommen die Zukunftsaussichten der Landkreise. Basis dieser Daten ist der renommierte „Zukunftsatlas“, den Prognos alle drei Jahre neu berechnet, zuletzt 2022. Die Analyse zeigt: In den meisten Topregionen ist für Betriebe praktisch kein Handtuch mehr frei, aber es gibt Ausnahmen. Und auch sonst gibt es einige Orte, wo Nachfrage auf Angebot trifft. So etwas nennt man dann Wachstumsregion der Zukunft.

Weil im Ruhrgebiet und Rheinland kaum noch Platz ist, bietet der Rhein-Sieg-Kreis Optionen. Die Ems-Achse strebt auf. Im Süden ist der Platz besonders knapp, hier hat der Landkreis Donau-Ries gute Chancen – nicht nur, weil der frisch gebackene Fußballbundesligist 1. FC Heidenheim in der Nähe ist. In der Lausitz gibt es reichlich Unterstützung durch die Ausgleichszahlungen für den „sterbenden“ Braunkohleabbau. Aber mit solchem Geld muss man auch erst einmal etwas Gutes anstellen – was den Regionen in Brandenburg und Sachsen offenbar gelingt.

Landkreise wie Teltow-Fläming profitieren von der Aussicht auf reichlich grünen Strom – und von bereits bestehender Industrie und der Nähe zu Berlin. Das Gebiet Barleben/Magdeburg lebt auf. So entsteht hier das neue Werk des Chipkonzerns Intel, der gleich 400 Hektar für die Zulieferer bereithält. Der Trend ist eindeutig: Norden und Osten gewinnen tendenziell, was viel mit erneuerbaren Energien zu tun hat. Grüner Strom ist die wohl wichtigste Ressource der kommenden Jahre und ein immer wichtigerer Standortfaktor. Und den gibt es dort eben weitaus mehr als im Süden.

„Wer sich wirklich vor Ort umhört, spürt: In Deutschland passiert gerade wahnsinnig viel“, sagt Olaf Arndt, Vize-Direktor von Prognos. Da gibt es Regionen, in denen Autozulieferer jahrzehntelang prächtige Geschäfte machten und nun in einer Mischung aus Transformationswahn und Totentanz stecken, weil sie vom Elektro-Wandel überrollt werden. Hier beginnt gerade ein großes Umdenken, wie Arndt beobachtet. „So mancher Region ging es zu gut, was Wandel und vorausschauende Standortpolitik unnötig machte. Jetzt kommen Politiker und Unternehmer vor Ort wieder richtig ins Gespräch.“

Für Arndt muss der Mittelstand den Aufbruch treiben. Gerade die familiengeführten Unternehmen wollen vor Ort bleiben, für sie ist der Standort oft ein Teil ihrer DNA – ihrer Identität. Und in schwierigen Zeiten komme es auf die Kommunalverwaltung an, sagt Arndt: „Die können für die Unternehmen schon viel machen. Die brauchen vor allem Entscheidungsfreude, also Schnelligkeit und Ansprechpartner, die etwas erreichen wollen.“ Mittelstandsfreundliche Verwaltung klingt altbacken, deren Mangel aber ist „immer noch ein Kernproblem“. Die Topstandorte mit Potenzial zeigen, wie es gehen kann.

Der Nordwesten ist der heimliche, aufstrebende Star Deutschlands und gilt als Paradebeispiel dafür, dass sich auch ländliche Regionen abseits der Metropolen prächtig entwickeln können – wenn Politiker und Unternehmer vor Ort vieles richtig machen. In Emsland, Münsterland und Ostwestfalen-Lippe konnten sich 17 von 20 Kreisen in den vergangenen Jahren verbessern. Das Bruttoinlandsprodukt ist überdurchschnittlich gewachsen und auch die Beschäftigung hat sich mit einem Zuwachs von fünf Prozent zwischen 2018 und 2021 deutlich positiver als im Bundestrend entwickelt. 

Vier große Trends lassen sich ausmachen:

  • Trend 1: Die sieben größten Städte sind immer noch führend, aber sie leiden unter Wachstumsschmerzen. Großstädte haben strukturelle Vorteile, weil sie mit ihrer kritischen Masse Talente und Organisationen anziehen. Aber das Leben ist dort für die Menschen und Betriebe sehr teuer geworden. „Das Umland der Metropolen gewinnt, der Mittelstand weicht dorthin aus. Hier sind Flächen für Menschen und Betriebe noch vorhanden. Ein Beispiel dafür ist Köln: Die Stadt ist im Ranking leicht abgestiegen, die umliegende Rheinschiene hat gewonnen“, sagt Olaf Arndt. Das Umland der großen Städte gewinnt, weil immer mehr Menschen und Unternehmen dorthin ziehen – wegen der hohen Ausgaben. Der Forscher und Berater erkennt aber auch, dass gewisse Berufsgruppen die Metropolen kaum verlassen. Gerade IT-Fachkräfte oder die Marketing- und Kommunikationscommunity „drängen in die Zentren“ und wollen da auch bleiben. Aber in Zeiten von Remote Work muss das für Unternehmen aus ländlichen Gebieten kein Ausschlusskriterium mehr sein, sofern sie flexibel sind. Damit tun sich nicht alle Betriebe leicht, schließlich fußt die Kultur bei vielen Mittelständlern auf einer Nähe von Arbeit und Wohnen nebst sozialem Umfeld sowie hoher Loyalität zur Region. 
  • Trend 2: Schwarmstädte“ bieten hohe Zukunftschancen. Das sind Regionen, die junge Menschen anziehen – in der Regel durch das Studium. Münster und Karlsruhe gehören dazu. Oder auch Ulm, wo man exemplarisch sieht, wie langfristig angelegte Strukturpolitik funktioniert: Als Anfang der 80er-Jahre die Industrie der Stadt ins Straucheln geriet, setzte der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth (CDU) auf ein umstrittenes Projekt. Neben Uni, Klinikum und Technischer Hochschule entstand ein „Sciencepark“, der seitdem die Arbeit von Wissenschaft und Unternehmen verzahnt. Inzwischen boomt die Region. 
  • Trend 3: Regionen in der Nähe von Großprojekten können profitieren. Die Tesla-Fabrik in Grünheide bei Berlin ist hier das bekannteste Beispiel. Im gesamten Berliner Umland entstehen so ganz neue Wertschöpfungsketten von der Batterieherstellung bis zu ihrem Recycling. Und auch in der nahen Lausitz siedeln sich Fabriken an. Dazu gehören auch neue Wissenschaftsparks, etwa in Cottbus. Die Region hat laut Prognos-Experte Arndt zwei große Vorteile. Nach der Wende wurden viele Gewerbegebietsflächen ausgewiesen, die jetzt gebraucht werden. Und es gibt dort eine große Menge an grünem Strom, was für die CO2-Bilanz der Betriebe immer wichtiger wird. 
  • Trend 4: Gegenden, die aus schwierigen Voraussetzungen viel gemacht haben. Hier gibt es in der Regel weder große Städte oder Konzerne aus dem Deutschen Aktienindex (Dax) noch Spitzen-Unis. Aber es gibt ein Muster: Da, wo es läuft, sind frühzeitig Straßen, Gewerbegebiete und Infrastruktur ausgebaut worden. Kommunen lockten mit einem niedrigen Gewerbesteuerhebesatz mittelständische Firmen an. Eine solche Wachstumsregion ist in doppelter Hinsicht bezahlbar: Flächen und Steuern für die Betriebe, Kita und Leben für die Menschen. Grundsätzlich profitieren im Kampf um Talente die Regionen, die „Kitaplätze gleich mitliefern“ können, wo gerade Familien auf Strukturen treffen, die ihnen eine hohe Lebensqualität zu vertretbaren Kosten ermöglichen. Schnelles Internet ist wichtig und eine effektive Arbeitsweise der lokalen Behörden. „Mittelständische Unternehmen brauchen eine Baubehörde und Brandschutzbeauftragte, die mit der Wirtschaft sprechen“, sagt Prognos-Berater Arndt. „Ein erfolgreicher Standort bietet Geschwindigkeit.“ 
     

Was hinter den Karten steht

Um zu ermitteln, in welchen Kreisen und kreisfreien Städten besonders bedeutsame Gewerbeflächen verfügbar sind, hat Prognos die öffentlichen Plattformen der Bundesländer ausgewertet. Hier werden Gewerbe- und Industriegebiete mit mehr als 20 Hektar Größe aufgelistet. Diese Daten wurden mit dem Teilindex „Wettbewerb & Innovation“ des Zukunftsatlas verschnitten. Für das Ranking des „Zukunftsatlas“ wertet Prognos objektive statistische Daten aus. Der Atlas zeigt, in welchen Kreisen und kreisfreien Städten in Deutschland Wachstum zu erwarten ist. Der Index beruht auf insgesamt 29 makro- und sozioökonomischen Indikatoren der Themen Demografie, Arbeitsmarkt, Wettbewerb und Innovation sowie Wohlstand und soziale Lage.

Bayerischer Geheimtipp

Donau-Ries: Die Region floriert und ist beliebt bei der mittelständischen Wirtschaft. Es gibt Fachkräfte und ein sehr attraktives Industrieumfeld. 

Von Andreas Kempf

Donau-Ries? Die meisten müssen eine Landkarte oder eine Suchfunktion bemühen, um den Landstrich zwischen Nördlingen und Donauwörth zu verorten. Die Gegend ist auf den ersten Blick sehr ländlich geprägt und so verwundert es nicht, dass hier noch besonders viele Flächen für Neuansiedlungen vorhanden sind. Ganze 350 Hektar liegen in der Region brach – so viel wie sonst nirgendwo in Bayern. Allerdings hat man nicht den Eindruck, dass händeringend nach neuen Investoren gesucht wird. Kein Wunder: Die 137.000 Bewohner sind prinzipiell bereits gut versorgt. Zuletzt wurde eine Arbeitslosenquote von 2,2 Prozent gemeldet – eine der niedrigsten in Deutschland.

Zu den bekanntesten Arbeitgebern gehört das Hubschrauberwerk von Airbus. Den Kern der lokalen Wirtschaft bilden jedoch 12.800 kleine und mittelständische Betriebe. Sie sorgen dafür, dass Donau-Ries zu den erfolgreichsten Regionen gehört. Bundesweit zählt der Landstrich zu denen mit der größten Aufstiegsdynamik. Zudem befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft die Industriezentren Aalen, Ingolstadt, Augsburg und Ulm. Nürnberg und München sind eine knappe Autostunde entfernt. Gut 15.000 Menschen pendeln täglich in die Nachbarregionen. Dort sind unter anderem Unternehmen wie Zeiss, MAN, Audi und Bosch angesiedelt. Diese Position macht aus der außerhalb Bayerns eher unbekannten Region für Investoren einen Geheimtipp.

Mehr als die Hälfte aller Beschäftigen sind in Maschinen- und Fahrzeugbau, Luftfahrtindustrie, Baugewerbe, Forschung und Entwicklung, Gesundheitswirtschaft sowie IT- und Kommunikationsdienstleistungen tätig. Vor allem der Maschinenbau entwickelt sich in der Region gut. Aber auch der Tourismus spielt eine wichtige Rolle. Anziehungspunkte sind schmucke Städte und vor allem das Nördlinger Ries, eine riesige kraterartige Senke, die vor 15 Millionen Jahren durch einen Meteoriteneinschlag entstanden ist.

ber auch eine so florierende Region hat ihre Schattenseiten. So müssen sich die Betriebe darauf einstellen, dass wegen der demografischen Entwicklung bis 2040 im Schnitt 37 Prozent der Belegschaft ersetzen müssen – ein sehr hoher Wert. Bundesweit werden bis dahin 25 Prozent der Beschäftigten in Rente gehen. Wer sich ansiedeln möchte, muss sich auf einen harten Kampf um Fachkräfte einstellen. 

„Fachkräftesicherung ist und bleibt ein sehr wichtiges Ziel für unsere Wirtschaftsregion“, bestätigt Stefan Rösle (CSU), seit 2002 Landrat. Seit Mitte der vergangenen Dekade geht die Region deshalb das Thema intensiv an, um Menschen für die lokale Wirtschaft zu gewinnen. „Und wir werden in den kommenden Jahren unsere Aktivitäten noch forcieren“, bestätigt Wirtschaftsförderer Klemens Heininger. Bisher ist der Kampf um die besten Köpfe noch nicht entbrannt. Nur selten gelingt es den Konzernen aus Oberkochen, Ingolstadt oder Augsburg, dem lokalen Mittelstand die Beschäftigten abzuluchsen. Wer hier lebt, will nicht weg. Das gilt auch für gut 10.000 ausländische Zuwanderer, die in den vergangenen Jahren in der Region Arbeit und Heimat gefunden haben. „Auf diese Integrationskraft sind wir stolz“, sagt Heininger.

Im Geheimtipp Donau-Ries liegen noch viele Flächen brach – doch das ist oft nur ein theoretischer Wert. In der Praxis schauen die Kommunen ganz genau hin, bevor sie davon etwas vergeben. Das führt zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. So hat die Stadt Nördlingen den eigenen Bauhof verlegt, um dem Batteriehersteller Varta aus dem benachbarten Ellwangen eine Fläche zur Verfügung stellen zu können. Andere Gemeinden geben allenfalls Gelände bis zu einem Hektar ab. Die bekommen dann nur Betriebe, die der lokalen Wirtschaft keine Konkurrenz machen.

Auf Achse

Emsland: Wenige Regionen sind mit Schiene, Straße und Wasser so exzellent vernetzt. Freie Flächen und viel Energie gibt es auch.

Von Anke Henrich

Dörpen hält, was der Name verspricht. Weites grünes Land, roter Klinker an den Häusern, politisch schwarzer Bürgermeister (Hermann Wocken, CDU). Gerade erst war Partystimmung: Da feierten die Dörpener 50 Jahre Samtgemeinde auf dem Heimathausgelände. Etwas mehr als 18.000 Einwohner gibt es. Beschaulich also. Ein Ort im Nordwesten Deutschlands, wo sich Hase und Igel Gute Nacht sagen? Eher nicht. Vielmehr liegt hier einer der erfolgreichsten deutschen Güterumschlagplätze.

Die Branche nennt es Trimodalität mit Anbindungs- und Vernetzungsqualität. Der Chef des GVZ Güterverkehrszentrum Dörpen, Michael Nintemann, sagt emsländisch-katholischer: „Wir sind hier gesegnet mit einer optimalen Infrastruktur, großem Energieangebot und gut ausgebildeten Kollegen.“ Hundert Hektar sofort bebaubare Industriefläche hat er auch im Angebot. Gab es einen göttlichen Plan für das Jahrhunderte lang bitterarme Moorgebiet Emsland, ist er jetzt aufgegangen.

Hier fließen die Ems, der Dortmund-Ems-Kanal, der Ems-Seitenkanal und der Küstenkanal. Binnenschiffer steuern von Dörpen heraus Wilhelmshaven und Bremerhaven an, die großen Häfen Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen sowieso. Die Niederlande liegen kaum mehr als einen Lakritzwurf entfernt. In Dörpen schneiden sich auch wichtige Bahn-Verbindungen von Nord nach Süd und von West nach Ost. Jeden Tag rattern lange Güterzüge – zur mäßigen Freude aller Anwohner, die sich an lange geschlossenen Bahnübergängen in Geduld üben. Fast parallel zur Ems fließt der Verkehr auch auf der Autobahn A31, bekannt als Friesenspieß – Ruhrgebiet–Emden. Und staut er sich hier doch, führt keine fünf Minuten entfernt die Bundesstraße B70 vom Niederrhein übers Münsterland nach Ostfriesland.

Wer Güter gen Norden oder aus dem Norden transportieren will, kommt ums Emsland kaum herum. Mehr als fünf Millionen Tonnen wurden 2022 umgeschlagen, Container wie Massenware. Baden-Württemberger würden daraus eine originelle Werbebotschaft zimmern. Emsländer nicht. Die reden nicht viel. Und wenn, dann sind es Ansagen. Auch Nintemann ist so. Seit 1994 haben seine Vorgänger das GVZ ausgebaut. „Heute können wir unsere Kunden zum kombinierten Ladungsverkehr beraten, unterstützen und uns für ihre Interessen politisch einsetzen.“ Auch staatliche Subventionen wirbt die Region verstärkt ein. Der Hafen soll ausgebaut, die Umschlaganlage von Schiene und Straße vergrößert werden.

Platz genug ist da. Das Emsland ist mit einer Fläche von 2880 Quadratkilometern so groß wie das Bundesland Saarland. Allein rund um Dörpen stehen 160 Hektar Fläche in kommunaler Hand zur Verfügung, weitere 350 Hektar für Industrie und Gewerbe sieht der Flächennutzungsplan vor. So wachsen auch die schon vorhandenen Unternehmen aus dem Maschinen-, Motoren-, und Fahrzeugbau, Agrarfirmen, UPM Paper, ein weltweit führender Hersteller grafischer Papiere, und die Raiffeisen-Kraftfuttermittelwerke Dörpen. Die Kreuzfahrtspezialisten der Meyer-Werft residieren auf einem riesigen Areal nur 18 Kilometer nördlich von Dörpen an der B70 in Papenburg. Daher liegt hier auch der südlichste deutsche Seehafen, gut 60 Kilometer von der Nordsee entfernt.

Logistiker Nintemann und Bürgermeister Wocken haben Pläne. Sie wollen mithilfe freier Gewerbeflächen über die Logistik neue Produktion ansiedeln. Also: Die Wertschöpfungskette soll möglichst lange durch das Emsland führen. Das ist ganz im Sinne des niedersächsischen Wirtschaftsministers Olaf Lies (SPD). Der gebürtige Friese kündigte an, auch in den kommenden Jahren weiter in den Ausbau von Fernstraßen, Güterverkehrszentren und Binnenhäfen investieren zu wollen.

Aber auch er stößt an Grenzen. Der ­vierspurige Ausbau der Europastraße 233 zwischen ­Meppen und Cloppenburg bringt die Anwohner auf die Straße. Wegen der geplanten Kosten von 863 ­Millionen Euro und weil der Anteil des Schwerlastverkehrs auf dieser Bundesstraße 33 Prozent beträgt. Bundesweit sind es im Schnitt 8,3 Prozent.

Den Boom planen

Cottbus: Die Stadt in der Lausitz profitiert vom Kohleausstieg. Nach Jahrzehnten mit Stillstand läuft jetzt plötzlich sehr viel gleichzeitig. Und alles lebt auf.

Von Björn Hartmann

Wer dieser Tage einmal Aufbruch erleben möchte, sollte nach Cottbus. Am besten in Zimmer 4.069, Technisches Rathaus. Hier sitzt Doreen Mohaupt, Leiterin der Stadtentwicklung. Auf dem Tisch türmen sich Präsentationsmappen. Mohaupt schaltet lieber den großen Monitor an. „Wir machen mal einen Schnelldurchlauf“, sagt sie.

Da ist zunächst der Lausitz Science Park, rund 420 Hektar Fläche, direkt neben dem Haupt­standort der Brandenburgisch-Technischen Universität mit dem Technologie- und Innovationspark. Geplant sind Arbeitsplätze für rund 10.000 Beschäftigte, vor allem Forschung und deren Ausgründungen. Weil die Menschen auch irgendwo wohnen müssen, planen sie in Cottbus gleich 2500 Wohnungen, Kitas, Schulen, neue Straßenbahnen und ein größeres Energienetz mit.

Da sind die Pläne für das städische Carl-Thiem-Klinikum, bereits heute größtes Krankenhaus in Brandenburg. Es soll zum Universitätsklinikum ausgebaut werden. „Wir werden 80 Professoren einstellen.“ Dann ist da noch das Bahn-Werk, in dem die neuen ICE-4-Züge gewartet werden sollen. Die erste, 445 Meter lang, ist zum Januar 2024 fertig, mit dem Bau der zweiten wird bald begonnen. 1200 Arbeitsplätze bringt das Werk. Noch vor fünf Jahren wollte die Bahn den Standort schließen.

Aber damals war auch noch die Zeit, als viel geredet und wenig getan wurde. Nach der Wende hatten rund 40.000 der damals etwa 130.000 Cottbusser die Stadt verlassen, vor allem junge. Die Region liegt im ostdeutschen Braunkohlerevier, hängt am wenig energieeffizienten und sehr dreckigen Energielieferanten. Eine Stadt  im Abseits. Viele Politiker redeten über Strukturwandel, wenig passierte. Typisches Beispiel: Die Bahnstrecke nach Berlin. Seit 30 Jahren denkt immer mal wieder jemand über das zweite Gleis nach. Verschwunden ist es kurz nach dem Zweiten Weltkrieg als Reparationsleistung an die Sowjetunion.

Stadtentwicklerin Mohaupt spricht von einem langen Dornröschenschlaf. Allerdings ist die Schöne 2018/19 wach geküsst worden. Damals wurde Deutschlands Kohleausstieg konkret. Und mit ihm Förderprogramme. Tatsächlich arbeiten Bund und Land Brandenburg zusammen. Seither ist in der Cottbusser Stadtentwicklung alles anders. Insgesamt fließen rund vier Milliarden in die Stadt. Mehr als 50 Einzelprojekte, die mit Cottbus zu tun haben, sind bereits angeschoben.

Die Uniklinik, der Lausitz Science Park, in dem sich jetzt zwei Forschungsinstitute des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums (DLR) ansiedeln, zwei neue Fraunhofer-Institute und eines der Helmholtz-Gemeinschaft. Das DLR will die Zukunft des (elektrischen) Fliegens erforschen, beteiligt ist unter anderem der britische Triebwerksbauer Rolls-Royce. Die Hoffnung: Aus Forschung und Uni gründen sich Firmen aus. Oder Unternehmen suchen bewusst die Nähe der Forschung. Ein Vorteil des Science Parks: Fast alle Flächen gehören der Stadt, dem Land oder dem Bund.

Allerdings wird sich nicht jede Firma ansiedeln können. „Wir werden uns genau ansehen, ob sie passt.“ Und auch einmal „Nein“ sagen. Die Cottbusser wollen sich unter anderem auf die Themen Energiewende und Dekarbonisierung, Gesundheit und Life Science, künstliche Intelligenz und Sensorik konzentrieren.

Dass Firmen Personalsorgen bekommen können, glaubt Mohaupt nicht. Cottbus‘ Einwohnerzahl bewege sich seit 2009 um die 100.000, vorhergesagt habe man jahrelang einen Schwund. „Wir gehen jetzt davon aus, dass die Bevölkerung bis 2030 um bis zu 15.000 zunimmt.“ Schon jetzt ziehe die Universität viele Studenten an. Von den Forschungsinstituten verspricht sich Mohaupt einen weiteren Sog.

Dann ist da noch der Ostsee. Der ehemalige Tagebau Cottbus-Nord läuft gerade kontrolliert voll. Es wird der größte künstliche See Deutschlands. Zwischen der Stadt und dem Gewässer soll ein neues Viertel entstehen, es gibt Pläne für einen Freizeithafen. Die Leag, Braunkohleförderer auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen, baut gerade einen schwimmenden Solarpark. Und sie wollen den See auch per Wärmepumpe nutzen, um Energie für die Stadt zu gewinnen.

Vieles entsteht erst, vieles ist bisher nur ein Plan. „Wir müssen jetzt zugreifen, das ist die Chance der Stunde“, sagt Mohaupt. Es geht nicht alles gleichzeitig, aber sie wollen vorbereitet sein auf das Wachstum. Das zweite Bahngleis nach Berlin wird übrigens gerade geplant.

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