Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Debatte > Ein Kommentar von Oliver Stock zur Bertelsmann-Studie

Unsere unschätzbaren Werte werden gerade geraubt. Aber keiner hört mehr auf den Alarm.

Die Bertelsmann-Stiftung hat eine neue Studie herausgebracht, in der sie die Industrie als Grundlage für Fortschritt und Nachhaltigkeit preist. Sie warnt davor, dass Deutschland diesen Standortvorteil verliert. Warum nur hört ihr niemand mehr zu?

verliert Deutschland seinen grünen Stadtortwettbewerb? Bild: Shutterstock

Es gibt einen alten Kinofilm, eine Kriminalkomödie, in der charmante Diebe versuchen, eine Statue von unschätzbarem Wert aus der gutgesicherten Vitrine eines Museums zu klauen. Ihr Trick: Sie lösen absichtlich immer wieder Alarm aus, bis die entnervten Museumswärter die Anlage ausstellen. Und dann schlagen die Ganoven zu.

Genau dies passiert gerade in Deutschland, wobei der Vergleich mit dem Museum gar nicht im Vordergrund stehen soll. So weit ist es noch nicht. Es geht vielmehr ums Alarmsystem: Es wird eines ums andere Mal ausgelöst, nur festigt sich der Eindruck, dass die Regierenden nicht mehr hinhören. Sie können es einfach nicht mehr ertragen. Sie schalten die Sirenen aus, anstatt sich zur Verteidigung unsere unschätzbaren Werte aufzuraffen.

Wir verlieren den grünen Standortwettbewerb

Gerade geht wieder so eine Alarmmeldung ein. Die Bertelsmann-Stiftung, die nun wirklich nicht im Ruf steht, übermäßig parteiisch zu sein, hat eine ihrer „Megatrend-Studien“ rausgebracht. „Der grüne Standortwettbewerb“ heißt sie, und sie kommt zu dem Schluss, dass Deutschland drauf und dran ist, diesen Wettbewerb zu verlieren, bei dem sich die Regierung doch an sich vorgenommen hatte, Musterschüler zu werden.

Die Argumentation ist nüchtern und damit leider bestechend: Noch ist der Industrieanteil in Deutschland im internationalen Vergleich hoch. Doch es wird immer weniger investiert, die Produktion sinkt, neue Aufträge lassen auf sich warten. Und dann kommt es: „Fest steht“, schreiben die Bertelsmann-Autoren, „dass das Erreichen einer klimaneutralen deutschen Wirtschaft abhängig von der weiteren verlässlichen Versorgung mit Grundstoffen und industriellen Erzeugnissen ist, die durch eine heimische oder mindestens europäische Produktion sicherer gewährleistet werden kann als über entsprechende, vermutlich CO2-intensivere Importe aus dem EU-Ausland.“ (https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/megatrend-report-5-der-gruene-standortwettbewerb)

Klatsche an die Anhänger einer nachindustriellen Gesellschaft

Dies ist eine Klatsche an alle diejenigen, die das Lied der nachindustriellen Gesellschaft singen, die CO2neutral und in Frieden von den Früchten lebt, die andere ihr hinhängen. Die Autoren graben sogar noch tiefer und benennen die Probleme, bei denen es in Deutschland besonders weh tut, weil sie eigentlich hierzulande und in der EU gelöst werden könnten, wenn sich denn endlich mal einer aufraffte: Es geht um Rohstoffe, die wir selber haben, es geht um Fachkräfte, die wir gewinnen können, es geht um eine Regelungswut, die wir uns abgewöhnen müssen.

So klingt dieser neue Alarm. Er hört sich damit so ähnlich an wie der, den zum Beispiel gerade Paul Niederstein, Chef des ältesten Familienunternehmens Deutschlands ausgelöst hat. Er sagt: „Was wir hier erleben, ist eine hausgemachte Krise – angefangen mit einer völlig fehlgeleiteten Energiepolitik.“ Oder der, den Arbeitgeberpräsident Reiner Dulger loslässt: „Der Standort Deutschland ist in Gefahr. Wir stecken in einer Rezession – und bewegen uns nicht.“ Oder den, den die US-Zukunftsforscherin Amy Webb kürzlich ihren ihr mit großen Augen folgenden deutschen Zuschauern bei einem Auftritt zurief: „Achtung, der Blackberry-Moment kommt“, warnte sie. Das kanadische Unternehmen verpasste die eigene Zukunft, obwohl es Ende der 1990er-Jahre eine extrem innovative Idee umsetzte: das Internet ins Telefon zu holen. Der Blackberry-Erfolg wurde nur noch vom anschließenden Blackberry-Absturz übertroffen.

Doch was machen unsere regierenden Museumswärter? Sie beschäftigen sich eifrig mit dem, was nicht hilft: Einwanderung von Arbeitskräften unterbinden und Transferempfänger aufnehmen, Viertagewoche, noch mehr Vorschriften, Rente mit 63, Kohlekraftwerke, Gummibärchen-Webeverbote, ewige Genehmigungsverfahren, Gender- und Hautfarben-Repräsentation statt Leistungsprinzip. Für all das gibt es politische und gesellschaftliche Kräfte, die so hingebungsvoll damit beschäftigt sind, dass sie die Sirenen, die das wahre Desaster ankündigen überhören. Oder einfach ausschalten.
 

Ähnliche Artikel