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Recht und Steuern > Urteil der Woche

Haltlose anonyme Kritik am Chef? – Bewertungsplattform muss Namen nennen oder löschen

Die Pflicht, mutmaßlich nicht echte Online-Bewertungen zu löschen oder den Verfasser offenzulegen, gilt grundsätzlich auch für Arbeitgeber-Bewertungsportale. So entschied das Oberlandesgericht Hamburg – jedenfalls vorläufig.

Kritik am Chef oder Unternehmen auf Bewertungsportalen könnten in Zukunft von Unternehmen gelöscht werden, oder die Namen der Verfasser preisgegeben werden. Bildquelle: Shutterstock

Neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen, gestaltet sich heute in zahlreichen Branchen schwierig. Negative Bewertungen auf den einschlägigen Arbeitgeber-Bewertungsportalen sind dabei nicht gerade hilfreich. Besonders ärgerlich sind sie aus Arbeitgebersicht dann, wenn sich für ihn keineswegs nachvollziehen lässt, worauf sich der Bewertende stützt – oder wenn sogar Zweifel daran bestehen, dass der vermeintliche „Ehemalige“ überhaupt jemals im Unternehmen gearbeitet hat.

Der Fall

Genau solche Zweifel wollte ein mittelständisches Vertriebsunternehmen in Hamburg nicht auf sich beruhen lassen und zog gegen ein Arbeitgeber-Bewertungsportal vor Gericht. „Startup abgebogen in die Perspektivlosigkeit“ hatte ein anonymer User seinen Eintrag auf der Online-Plattform überschrieben und mit reichlich Kritik an Arbeitsatmosphäre („Lob und Anerkennung gibt es hier nicht“), Kommunikation („alles sehr undurchsichtig“) und Work-Life-Balance („Urlaub wird nur widerwillig genehmigt“) nachgelegt. Besonders vernichtend fiel das Urteil über die Vorgesetzten aus: „Setzen Sechs! Man ist nur eine Nummer“. In einem zweiten Eintrag („Vorsicht bei der Firmenwahl“) schrieb ein vermeintlicher Ex-Angestellter: „Mitarbeiter wurden mehr oder weniger gegeneinander ausgespielt“, „die Aufgaben seien „immer dasselbe“ und das Image „wird nach außen toll gepriesen, aber ist mehr pfui als hui“.

Die bewertete Firma zog in Frage, dass die anonymen User jemals bei ihr tätig gewesen waren, weshalb sie von dem Betreiber des Portals im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens verlangte, die Einträge zu löschen. 

Das Landgericht Hamburg wies den Antrag auf eine entsprechende einstweilige Verfügung ab. Seiner Ansicht nach hatte das Bewertungsportal genügend anonymisierte Anhaltspunkte für eine tatsächliche Mitarbeiterstellung der Bewertenden vorgelegt. Auch habe das Unternehmen im Übrigen nicht die Authentizität der Anhaltspunkte in Frage gestellt. Einer dagegen gerichteten Beschwerde gab das OLG Hamburg nun allerdings statt. Die beanstandeten Einträge dürfen online nicht mehr erscheinen.

Die Gründe

Das OLG verwies in seiner Entscheidung darauf, dass die Grundsätze, die der Bundesgerichtshof für die Haftung der Betreiber von Internet-Bewertungsportalen entwickelt hat, grundsätzlich auch für die Betreiber von Arbeitgeber-Bewertungsplattformen gelten. Beanstandet ein betroffenes Unternehmen eine Bewertung konkret genug und rügt, dass der Bewertung kein tatsächlicher Kontakt des Bewerters mit seiner Leistung zugrunde liegt, darf es diese Rüge so lange aufrechterhalten, bis ihm die Identität des Bewerters soweit offengelegt wird, dass er überprüfen kann, ob es wirklich einen geschäftlichen Kontakt gab.

Im konkreten Fall ließ das Gericht den Einwand des Portalbetreibers, das bewertete Unternehmen sei so klein, dass ihm zuzumuten sei, sich eigenständig auf die Suche nach den Verfassern der Bewertungen zu machen, nicht gelten. Ebenso wenig überzeugt war es von dem Argument, dass es für ein Arbeitgeber-Bewertungsportal schwieriger sei, einzelne Bewerter dazu zu bewegen, sich zu erkennen zu geben, als Nutzer von beispielsweise Hotel- oder Arztbewertungsportalen. Dass (ehemalige) Mitarbeiter Repressalien ihres negativ bewerteten Arbeitgebers ausgesetzt sein könnten, rechtfertigt nach Ansicht des OLG nicht, dass Arbeitgeber öffentliche Kritik hinnehmen müssen, ohne dass sie prüfen können, ob die Behauptung, die Person habe für sie gearbeitet oder tue dies noch, stimmt oder nicht. 

Auch datenschutz- und telekommunikationsrechtliche Einwände wies das Gericht im Ergebnis zurück. Und selbst den Umstand, dass sich das klagende Unternehmen von einer Rechtsanwaltskanzlei vertreten lässt, die offensiv damit wirbt, gegen Zahlung pauschalierter Festhonorare gegen Einträge in Bewertungsportalen vorzugehen, wie es in der Entscheidung heißt, spreche nicht schon für einen Rechtsmissbrauch. Sie lasse nämlich allein keinen Rückschluss darauf zu, ob das Bestreiten des persönlichen Kontakts in der Sache begründet ist oder nicht. 

Die Folgen

„Wichtig ist zur Einordnung zunächst, dass die Entscheidung des OLG Hamburg in der zweiten Instanz im vorläufigen Rechtsschutz ergangen ist, bei dem andere Entscheidungsmaßstäbe gelten als im sogenannten Hauptsacheverfahren“, sagt Dr. Thomas Gennert, Partner der Kanzlei McDermott Will & Emery. Dieses läuft parallel und erst nach dessen Abschluss steht fest, ob sich die Rechtsauffassung des OLG Hamburg auch hier durchsetzen wird. Dafür spricht nach Ansicht des Anwalts allerdings Einiges. „Für Arbeitgeber ist der Umgang mit den Bewertungsportalen immer mehr dort zum Problem geworden, wo die Portale anonyme Bewertungen zulassen und ehemalige und aktuelle Mitarbeiter dies für „Rachebewertungen“ nutzen.“ Weil die Unternehmen heute in der Regel nicht wüssten, wer auf den Plattformen Kritik äußert, könnten sie auf Vorwürfe und Beanstandungen nicht adäquat reagieren. 

Geht auch im Hauptsacheverfahren das Verfahren zulasten des Portalbetreibers aus, könnte dadurch auch das Modell der Arbeitgeber-Bewertungsplattformen ins Wanken gebracht werden. „Müssen Beschäftigte damit rechnen, dass auf eine Beschwerde hin ihr aktueller oder früherer Arbeitgeber ihren Namen erfährt, wird dies so manche – zurecht – von einer „knackigen“ Bewertung abhalten“, meint Gennert. 

Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 8.2.2024 – Az. 7 W 11/24

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