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Energie & Rohstoffe > Energieversorgung

Langer Weg zu neuen Kraftwerken

Die Bundesregierung will mit einer neuen Kraftwerkstrategie die Energieversorgung im Land sichern. Die Branche begrüßt die Förderung zusätzlicher Gaskraftwerke. Doch bis dahin müssen noch viele Hürden genommen werden.

Das Gas- und und Dampfturbinenkraftwerk Gernsteinwerk. Bildnachweis: picture alliance / Rupert Oberhäuser | Rupert Oberhäuser

Die Pläne der Bundesregierung, mit neuen Gaskraftwerken die Versorgungsschwankungen durch die erneuerbaren Energien auszugleichen, wird sehr unterschiedlich bewertet. In ersten Reaktionen äußerten sich Vertreter der Energiebranche positiv. „Der gordische Knoten" sei jetzt durchschlagen worden, sagte der Chef des Stromnetzbetreibers 50Hertz, Stefan Kapferer. Dies sei eine gute Nachricht für die Energiewende und für eine zuverlässige Stromversorgung.

Nach den Plänen der Ampel sollen zunächst der Bau von bis zu zehn Gigawatt an Gas-Kraftwerksleistung ausgeschrieben werden. Im Jahr 2032 soll dann festgelegt werden, wann zwischen 2035 und 2038 diese Anlagen auf Wasserstoff umgestellt werden. Planung und Genehmigung der neuen Kraftwerke will Berlin beschleunigt vorantreiben und zügig mit der EU-Kommission abstimmen. Brüssel muss dem Ansinnen das Placet geben, denn es handelt sich um eine stattliche Beihilfe für die Energiebranche. 

Die Zustimmung der Kommission gilt allerdings noch als völlig offen. Kritiker verweisen darauf, dass Berlin einfacher bereits den genehmigten Weg Belgiens hätte gehen können, statt ein eigenes Konzept zu entwickeln. Aber auch in Deutschland ist das Vorhaben noch längt nicht in trockenen Tüchern. Mit einer politischen Einigung wird nicht vor dem Sommer gerechnet. Die Förderungen sollen aus dem Klima- und Transformationsfonds finanziert werden, einem Sondertopf des Bundes. Die Kosten bei ungefähr 16 Milliarden Euro für die nächsten rund 20 Jahre. 

Die Bundesregierung steht allerdings unter Zeitdruck. Die Neubauten müssten noch in diesem Jahr beginnen, wenn der Kohleausstieg bis 2030 tatsächlich noch gelingen soll.  Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte allerdings zuletzt angedeutet, dass er das Jahr 2030 mittlerweile selbst für unwahrscheinlich hält. Bislang ist ein um acht Jahre vorgezogener Ausstieg auch für das Rheinische Revier beschlossen. Der energiepolitische Sprecher der Union, Andreas Jung, kritisiert, es gebe mehr Fragen als Antworten und damit noch immer keine Klarheit für die Investoren. Die Finanzierung der neuen Kapazitäten bleibe genauso unklar wie die notwendige Regionalkomponente.

Die Energiekonzerne wollen die neuen Gaskraftwerke nur bei einer gezielten Förderung bauen, weil sich die Anlagen sonst nicht rechnen. Denn: Je weiter der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromproduktion steigt, je mehr sinkt die Auslastung der konventionellen Kraftwerke. Die Konzerne wollen deshalb für das Bereithalten der Gasanlagen als Back-up entlohnt oder bei der Investition unterstützt werden. Nun stelle sich die Frage, wo die Kraftwerke gebaut werden sollen, sagte Kapferer. Die Regionalisierung der Kraftwerke sei ein bedeutender Beitrag, um die Systemkosten beim Strompreis in den Griff zu bekommen. Nur so ließen sich Kosten einsparen, die durch den Netzausbau und die Eingriffe in die Erzeugungsleistung von Stromproduzenten entstünden.

Der Energiekonzern Uniper ist zuversichtlich, einen Teil der neuen Kapazitäten für Deutschland zu bauen. „Sobald wir die Details prüfen konnten, werden wir entscheiden, ob und mit welchen Investitionen wir uns beteiligen", sagte Uniper-Chef Michael Lewis. „Wenn man ein System mit immer mehr erneuerbaren Energien hat, ist es extrem wichtig, dass man jetzt mit den Ausschreibungen für Gaskraftwerke beginnt. Das ist für Tennet die einzige Möglichkeit, das Stromsystem künftig zu betreiben“, betont die Chefin des Übertragungsnetzbetreibers Tennet, Manon van Beek.

Experten dängen darauf die Architektur der Strommärkte in den kommenden Jahren grundlegend zuüberarbeiten. „Deutschland steht an einem Scheideweg“, erklärt Peter Cramton von der US-Universität Maryland im Gespräch mit der FAZ. „Die Krise bietet die Chance auf einen großen Wurf, und das Land sollte sie nutzen.“ Gemeinsam mit dem Kölner Professor für Wirtschaftswissenschaften Axel Ockenfels forscht Cramton zu Strom- und Telekommunikationsmärkten. Die Ausschreibung von Gaskraftwerken mit einer Kapazität von zunächst einmal zehn Gigawatt sei richtig, so Ockenfels. Die Versorgungslücke, die durch den vorgezogenen Kohleausstieg entsteht, erfordere jetzt schnell umsetzbare Maßnahmen. Wichtig sei, die Auktionen in kleinere Blöcke aufzuteilen und so zu gestalten, dass die Kraftwerke dort angesiedelt werden, wo sie dem System am meisten dienen – auch, um die Ausübung von Marktmacht einzudämmen.

An der amerikanischen Ostküste gibt es bereits Mechanismen, wie Kraftwerke zugeschaltet und die Versorger honoriert werden. Auch deshalb stünden die USA heute besser da als Deutschland, meint Cramford. So ergänzt etwa ein Kapazitätsmarkt seit zwei Jahrzehnten die regionalen Strommärkte in 18 US-Bundesstaaten. 

Energieversorger in diesen Staaten nehmen drei Jahre im Voraus an Auktionen teil und verpflichten sich, Strom zu liefern, wenn dem System die Reserven ausgehen. Der Preis wird in solchen Engpässen auf 5000 Dollar je Megawattstunde festgesetzt. Für ihren „Bereitschaftsdienst“ werden die Energieversorger vergütet, mit etwa 50 Dollar in jeder Stunde eines jeden Tages. Normalerweise liegt der Preis in Texas bei etwa 50 Dollar, in Deutschland schwankt er aktuell um 75 Euro, umgerechnet 81 Dollar.

Cramton und Ockenfels fordern laut FAZ einen neuen „Energie-Terminmarkt“ vor, also einen Finanzmarkt, auf dem Energieversorger sich vier Jahre bis einen Tag vor der tatsächlichen Lieferung mit Strom eindecken – aber nicht zu festen Zeitpunkten, sondern graduell über die Zeit. Hinzukommen sollen – ähnlich wie auf einem Kapazitätsmarkt – „Energie-Optionen“, die ebenfalls graduell verkauft werden und sehr seltene, extreme Lastspitzen abdecken sollen, wie sie etwa in Kältewellen auftreten können. Der graduelle Handel verhindere die Ausübung von Marktmacht. Dazu empfehlen Cramton und Ockenfels, dass immer mehr Stromkunden – also auch private Haushalte – intelligente Stromzähler erhalten, die den Stromverbrauch in Echtzeit messen und an Stromanbieter und Netzbetreiber weitergeben können. 
 

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