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Aus für den Würth-Kalender: Wie die Erotik aus Deutschlands Werkstätten verschwindet

Deutschlands Fabrikhallen und Handwerkerstuben werden ab 2023 nicht mehr dieselben sein: Mit dem Würth-Kalender endet am Jahresende eine Ära. Eine Dreiviertelmillion Exemplare hatte der Schraubenkönig zuletzt in alle Welt verschickt. Warum nun Schluss ist und was das über unsere Gesellschaft sagt.

2016 entschied Würth, dass auch Privatleute den Kalender kaufen können – für 25 Euro. Die Auflage damals: 745.630, die an Kunden in 61 Ländern verteilt wurden. Nun ist Schluss.@ wuerth.at / Stephan Würth

Tausender Handwerker und Fabrikarbeiter haben am 1. Dezember wort-wörtlich die letzte Seite aufgeschlagen: Ab 2023 wird es den berühmten und vielerorts zu Tradition gewordenen Würth-Kalender nicht mehr geben. Entschieden wurde es bereits im Sommer, aber erst jetzt am Jahresende hat es sich herumgesprochen: Wo jahrzehntelang der Modelkalender an der Wand hing, klafft ab Januar eine Lücke. Würth war ohnehin kalendertechnisch betrachtet der letzte Mohikaner in Deutschland: Stihl hat 2020 seinen letzten Kettensäger-Kalender veröffentlicht, beim Schmiermittel-Hersteller  Liqui Moly war 2021 Schluss.

Ausnahmsweise kann man nicht Putin die Schuld geben: Zwar sind seit dem Ukraine-Krieg die Papierpreise enorm gestiegen, was auch die Kosten pro Kalender in die Höhe treibt. Aber die Gründe für das Aus der Kalender sind vor allem kultureller Natur: „Die klassische Rollenverteilung hebt sich immer mehr auf, Berufsbilder werden immer weniger im Verständnis von klassischen Rollenmodellen besetzt. Das unterstützen auch wir“, begründet Alexandra Schneid aus der Unternehmenskommunikation des Schraubenherstellers die Entscheidung. Und so war klar, dass es beide Kalender, den mit weiblichen und den mit männlichen Models, nicht mehr geben soll. Ähnlich war es bei Stihl. Da hat ein Großkunde, die schwedische Forstagentur, klar gemacht: Solange Stihl den Kalender mit wenig bekleideten Frauen herausbringt, sollen keine Geräte mehr vom Unternehmen gekauft werden. Dass Stihl diesen seit zwölf Jahren schon nicht mehr in Schweden veröffentlicht, half da nicht. Beim Schmierstoffhersteller Liqui Moly, der seit 2018 zu Würth gehört, klang die Begründung ähnlich.

Bei Würth entzündete sich die Diskussion im Sommer nach einem Tweet der ARD-Korrespondentin Natalie Amiri: „What the f...“, twitterte die Journalistin zu einem Foto eines Würth-Modelkalenders. „Gerade in einer Firma hängen gesehen. Dachte sind Relikte aus den 80‘s. Aber die sind ernsthaft von 2021 und 2022!!!! Das sowas (sic) noch von Firmen verschickt wird…“ Amiris Tweet wurde vielfach geteilt und intensiv kommentiert und eine Würth-Sprecherin erklärte später: „Der respektvolle und wertschätzende Umgang miteinander ist ein zentraler Bestandteil der Unternehmenskultur der Würth-Gruppe. Chancengleichheit von Menschen, unabhängig von sexueller Identität, Hautfarbe, ethnischer Herkunft, Behinderung, Alter oder Religion ist uns sehr wichtig. Dies ist auch verbunden mit der konsequenten Entscheidung, den Modelkalender nicht mehr zu produzieren.“

Tradition seit 1984, seit 2003 auch mit Männern

Nun endet eine Tradition, die seit 1984 besteht. Topmodels wie Heidi Klum, Claudia Schiffer, Laetitia Casta, Alessandra Ambrosio oder Karolina Kurkova waren über die Jahre im großformatigen Wandkalender abgebildet. Seit 2003 ließ Würth auch eine Version mit Männern drucken. Bis 2016 gab es die Kalender nicht zu kaufen, sondern nur für Kunden des Unternehmens – zum Großteil aus dem Handwerk und der Industrie. Die wiederum beglückten ihre Geschäftspartner mit dem beliebten Sammlerstück. Erst 2016 entschied Würth, dass auch Privatleute den Kalender kaufen können – übrigens für 25 Euro, sicher kein Schnäppchen. Die Auflage damals: 745.630, die an Kunden in 61 Ländern verteilt wurden.

Überlebt hat nun nur der Pirelli-Kalender. Warum er? Ticken die Italiener anders? Womöglich gibt es ihn noch, weil die Macher schon 2017 das Konzept verändert haben: Statt halb nackter Models setzt die Ikone für Erotik-Fotografie seitdem auf angezogene Schauspielerinnen wie Kate Winslet, Julianne Moore oder Penelope Cruz. 2022 fotografierte der Sänger Bryan Adams für den Reifenhersteller ausschließlich Musikerinnen und Musiker. Einzig Billy Idol zeigte seinen nackten Oberkörper. Ob das für Deutschlands Handwerkerstuben die Alternative für die Kalender von Würth, Stihl und Liqui Moly ist, steht auf einem anderen Blatt.

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