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Personal > Herausforderungen im Bau- und Handwerkssektor

Die Baukonjunktur bricht ein, aber der Handwerker kommt trotzdem nicht – wie kann das sein?

Steigende Zinsen schrecken Bauherren ab. Undurchsichtige Förderregeln halten Immobilienbesitzer davon ab, ihre Wohnung oder ihr Haus zu sanieren. All das entspannt die Lage bei Handwerkern. Doch die sind noch immer schwer zu bekommen, denn sie kämpfen mit ganz anderen Problemen.

In Zeiten der Herausforderungen: Steigende Kosten und Arbeitskräftemangel beeinflussen die Baubranche. Bild:Shutterstock.

Was ist da los? Das Bauen und Sanieren wird wegen steigender Zinsen seit Monaten teurer. Um knapp neun Prozent sind die Preise für den Neubau von Wohnungen jüngst gestiegen, was den Bauherren ihre Profession gehörig vermiest. Um rund ein Viertel ist die Bautätigkeit in der Folge hierzulande zurückgegangen. Aber Handwerker, die doch jetzt mehr Zeit haben müssten, sind immer noch nicht zu bekommen. Der Maler kommt nicht, der Elektriker vergibt keine Termine und der Heizungsfachmann macht seine Kunden schon glücklich, wenn er verspricht, vor dem Winter vorbeizuschauen. Es dauert Monate, bis eine Steckdose verlegt, ein Waschbecken neu montiert oder auch nur eine Wand vom Profi frisch gestrichen ist. Ratgeber für Bauherren listen die aktuellen Wartezeiten auf. An der Spitze stehen Maurer, auf die Auftraggeber durchschnittlich sechs bis neun Monate warten müssen, gefolgt von Zimmerleuten, die vier bis fünf Monate auf sich warten lassen, was auch nicht viel länger ist als jene durchschnittlich vier Monate, die der Heizungsmonteur braucht, um vorbeizuschauen.

Es ist ein ungutes Gemisch von Arbeitskräftemangel, Nachfolge-Problemen in Betrieben und einer überbordenden Bürokratie, die den Meistern die Lust am eigenen Betrieb vergällt, und den Kunden zu schaffen macht. Die Branche als Ganzes leidet unter dem Ruf, nur noch im Schneckentempo Aufträge abarbeiten zu können, und die Kunden sind es leid: Sie bestellen, wenn es irgendwie geht, keine Handwerker mehr. Stattdessen lassen sie schwarzarbeiten, verschieben den Auftrag oder machen es selber. Die sogenannte Schattenwirtschaft dürfte nach Schätzungen des Instituts für angewandte Wirtschaftsforschung im Jahr 2023 einen Sprung um zehn Prozent nach oben auf 433 Milliarden Euro machen. 

Vollends in die Misere geraten sind die, die für die allseits geforderten nachhaltigen Sanierungen zuständig sind. Etwa Monteure, die Wärmepumpen einbauen. Der Markt legte zunächst mit Zuwachsraten von 30 Prozent rasant zu – um dann genauso rasant wieder einzubrechen, weil sich niemand mehr im politisch veranstalteten Förderchaos auskennt. „Die Verunsicherung der Verbraucher hat zu einem spürbaren Einbruch der Nachfrage nach Wärmepumpen geführt“, sagt Helmut Bramann Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Sanitär Heizung Klima (ZVSHK), der den Überblick über 49 000 Mitgliedsunternehmen mit 392.000 Beschäftigten hat. „Auch den vollmundigen Ankündigungen der Bundesregierung zur künftigen Förderkulisse folgte bis heute nichts Belastbares“, kritisiert er. Mit Blick auf das kommende Jahr, in dem das Gebäudeenergiegesetz in Kraft treten soll, könne deshalb niemand verlässliche Aussagen treffen oder Kunden beraten. „Der Ausblick für 2024 droht zum Desaster zu werden.“

Es läuft also im Handwerk nicht viel, wie es soll – womit die Zeit der Berater anbricht, die in Krisen Auslöser für Veränderungen sehen. Einer von ihnen ist Christoph Blepp, Gründungspartner bei S&B Strategy, einer Unternehmensberatung, die sich mit Übernahmen und Strategien im Bausektor befasst. Er sieht Handwerker und Bauunternehmer selbst in der Pflicht, die Misere anzugehen. „Grundsätzlich wird in weiten Teilen der Bauindustrie noch von der Struktur her wie vor hundert Jahren gebaut. Der einzige Unterschied sind leistungsfähigere Maschinen und Werkzeuge“, stellte er bereits im vergangenen Jahr fest. Drei Punkte müssten sich ändern: Es geht um schnelleres Bauen, durch vorgefertigte Elemente, die vor Ort nur noch zusammengesetzt werden. Es geht um digitales Bauen: „Moderne Unternehmen arbeiten mit Building Information Modeling, also digitalen Zwillingen der Gebäude, die sie mitentwickeln oder an denen sie mitarbeiten. Dort ist jede Steckdose verzeichnet und jeder Beteiligte sieht in Echtzeit den Baufortschritt.“ Und es geht darum, alte Zöpfe abzuschneiden: „Die Bauindustrie muss die Fragmentierung der Gewerke überwinden“, meint der Berater. Handwerker sollten sich nicht in der Zunft zu Hause fühlen, sondern in Projekten denken. „Nehmen sie einen Heizungsbauer: Der musste sich früher mit Gas und Wasser auskennen. Heute baut er Wärmepumpen und Photovoltaik und zukünftig auch Batteriespeicher ein.“ 

Was nichts nützt, da sind sich Berater und Handwerker einig, ist, wenn die Politik die Anforderungen immer weiter nach oben schraubt, ohne dass die Betriebe eine Chance haben, hinterherzukommen. Handwerkerpräsident Jörg Dittrich, Dachdeckermeister aus Ostdeutschland, sieht es so: „Wir haben weniger ein konjunkturelles als ein strukturelles Problem.“ Politische Entscheidungen müssten darauf ausgerichtet werden, dass sie Wachstumskräfte entfesseln. „Dafür aber müssen mehr Freiheiten zugestanden und nicht immer mehr Kontrolle und Bürokratie verordnet werden.“ 

Ein Beispiel für überbordende Bürokratie ist für den Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das die Bundesregierung beschlossen hat und das eigentlich die Einwanderung von Fachkräften erleichtern soll. „Stattdessen machen die vielen neuen Regelungen das Aufenthaltsrecht sogar noch komplizierter“, klagt Dittrich mit Blick auf das Gesetz, das die Einführung eines Punktesystems beinhaltet. Das sei ein Grund für die Überlastung der Ausländerbehörden, die die  „ganzen komplizierten Regelungen“ administrieren müssten.

Ein anderes Beispiel ist das ebenfalls noch junge Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das Unternehmen verpflichtet, Menschenrechte wie den Schutz vor Kinderarbeit und Umweltstandards in der gesamten Lieferkette einzuhalten. Zu Jahresbeginn 2024 soll das Gesetz auch für Unternehmen mit 1000 Mitarbeiter gelten. Die bisherigen Pläne zur EU-Lieferketten-Richtlinie sehen künftig dann eine Grenze von 250 Mitarbeitern vor. Dittrich weist jedoch darauf hin, dass schon heute in der Realität viele kleinere Unternehmen von den Lieferketten-Regelungen betroffen. Der Grund: Die großen Betriebe geben die an sie gestellten Anforderungen durch Anfragen auch an kleinere Zulieferer weiter. „Weitere Belastungen können den Betrieben nicht zugemutet werden", mahnt Dittrich.

Sonst passiert weiter, was sich schon abzeichnet: Die Pleiten nehmen zu. 2022 zählte die Bonitätsprüfer von Creditreform 3.270 Insolvenzfälle unter Handwerksunternehmen, was einer Zunahme um zwölf Prozent gegenüber dem Vorjahr entsprach. Eigentlich sind das jedoch die Ausreißer. Der Routinefall ist, dass der Meister hinter sich einfach abschließt und den Betrieb nie wieder öffnet. So wie Herbert Janke, Metzgermeister im Ostallgäu. Alle Maschinen in seinem Betrieb hat Janke gereinigt und fertig gemacht für den Abtransport. Alles wird verkauft. „Irgendwie blutet einem das Herz", sagt der 61-Jährige. „Wenn du alles, was du über Jahre aufgebaut hast, innerhalb kürzester Zeit veräußern und ausräumen musst – das ist ein sehr trauriger Moment." Nächstes Jahr hätte der Betrieb sein 70-jähriges Bestehen gefeiert. Doch dazu kommt es nicht: Herbert Janke und seine Frau Fanny müssen ihren Laden schließen. Der Grund für die Geschäftsaufgabe: Personalnot.
 

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