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Management > Standort-Risiken

Jeder vierte Mittelständer denkt über das Ende nach

Aufgeben ist keine Option, heißt es im Wirtschaftsleben oft. Doch angesichts der aktuellen Lage in Deutschland sagt immerhin jeder vierte Mittelständler: Doch, ich ziehe die Aufgabe meines Geschäfts in Erwägung. Das würde Millionen Arbeitsplätze stark gefährden. Wie es zu dieser Schreckensbilanz kommt.

Berlin
Alarmierend: Mehr als jeder fünfte Mittelständler in Deutschland denkt über eine Verlagerung ins Ausland nach. Bild: Shutterstock

Das Rückgrat der Deutschen Wirtschaft schlägt Alarm: Zahlen sagen für Manager mehr als Wort – und diese Zahl bleibt hängen: 26 Prozent der mittelständischen Unternehmen zieht die Aufgabe des eigenen Geschäfts in Erwägung. Und selbst die, die das nicht vorhaben, müssen deswegen noch lange nicht auf ewig in Deutschland Arbeitsplätze schaffen: Mehr als jeder fünfte Mittelständler (22 Prozent) denkt zudem über eine Verlagerung ins Ausland nach. Das hat eine Umfrage des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVWM) gerade gezeigt.

Für den Arbeitsmarkt könnten dieses Umfrageergebnis dramatischer kaum sein, denn je nach Definition und Zählweise arbeiten zwischen 70 und 90 Prozent der Deutschen bei mittelständischen Betrieben. „Die Ergebnisse unserer Umfrage sind mehr als nur ein Warnsignal“, sagt der Verbandsvorsitzende Markus Jerger. Wenn heimatverbundene, tief verwurzelte Unternehmer über das Aufgeben oder den Wegzug ins Ausland nachdächten, könne das „niemanden kaltlassen“. Der Verband fordert eine Stärkung des Mittelstands, um sich gegen die massive Abwanderung von Unternehmen zu stemmen. Im vergangenen Jahr verlor der Standort Deutschland laut BVMW Direktinvestitionen in Höhe von netto 132 Milliarden Euro. Deutschland verliert gegenüber Nordamerika und Asien an Boden. Gerade aus dem industriell geprägten Standort Nordrhein-Westfalen wandern Betriebe verstärkt ab.

Die Politik geht damit in höchstem Maße kontrastreich um: In seiner großen Sommerpressekonferenz nannte Olaf Scholz (SPD) das Thema Personalmangel zwar als großes Risiko für den Standort Deutschland, aber der Bundeskanzler hielt das neue Zuwanderungsgesetz als entscheidendes Mittel dagegen. Mehr war dazu praktisch nicht zu hören. Klimathemen dominieren die Diskussion. Der Begriff „künstliche Intelligenz“ fiel in den knapp zwei Stunden kein einziges Mal.

Auf der anderen Seite spart der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz nicht mit Dramatik: „Da draußen herrscht die blanke Existenzangst“. Merz plädiert für bessere Rahmenbedingungen: „Die Arbeitskosten sind zu hoch, die Steuerlast ist zu hoch, die Sozialabgaben sind zu hoch. Die Regierung will die Kassenbeiträge erhöhen, anstatt die Kosten zu dämpfen.“ Was er nicht sagt: Der CDU-Wirtschaftsminister der Vorgängerregierung, Peter Altmaier, galt auch nicht als großer Freund des Mittelstandes und hat hier viele enttäuscht. Viele Probleme gibt es schon lange.

Dazu gehört auch die überbordende Bürokratie, die Betriebe immer stärker belastet. Die Last durch Steuern und Abgaben ist die in wenigen Ländern höher als hierzulande, was im weltweiten Wettbewerb weh tut. Das größte Problem ist aber Fachkräftemangel, wie das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) in seiner jährlichen Umfrage kürzlich ermittelt hat. Erst mit größerem Abstand folgen auf den Plätzen 2 und 3 die Herausforderungen "Erhöhter Wettbewerbsdruck" und "Energieversorgung ".

Fast jedes zweite befragte Unternehmen – und damit nochmal mehr als schon im Vorjahr – sind vom Personalmangel stark betroffen, besonders häufig jüngere Unternehmen, die nicht länger als zehn Jahre am Markt sind. Deutlich weniger klagen Führungskräfte von international tätigen Unternehmen – möglicherweise suchen sie ihre Arbeitskräfte bereits im Ausland. Dabei zeigt sich – vom Handwerk bis in die Industrie – folgendes Problem: Gerade haben Firmen noch eine prächtige Ertragslage, mehr Aufträge, als sie mit dem zur Verfügung stehenden Personal eigentlich umsetzen können. Doch das Pendel kann eben sehr schnell umschlagen: Mal lässt sich die Qualität nicht gewährleisten, wenn zu wenig Leute parat stehen. Mal rächt es sich, wen man Aufträge nicht annahmen kann und selbst langjährige Kunden dauerhaft abwandern.

Große Sorge bereitet den Unternehmerinnen und Unternehmern die Alterung der Belegschaft: Sie befürchten, den Generationswechsel aufgrund fehlenden Nachwuchses nicht bewältigen zu können. Ausbildung, das Mittel zur Generierung von Nachwuchsfachkräften schlechthin, ist inzwischen kaum mehr eine Alternative, da insbesondere Handwerksunternehmen keine geeigneten Bewerber für freie Ausbildungsplätze finden. Sie sehen sowohl eine mangelnde Qualifizierung der potenziellen Nachwuchskräfte als auch eine zunehmend fehlende Leistungsbereitschaft.

Das betrifft an der Spitze der Unternehmen: Hier sitzen in Familienunternehmen oft Gründer oder die zweite Generation. In hunderttausenden Fällen steht gerade ein Generationenwechsel in den Chefetagen an und die meisten Firmen haben Schwierigkeiten, Nachfolger und Nachfolgerinnen für ihre Unternehmen zu finden. So entsteht eine Melange aus Gründen, die Patriarchen darüber nachdenken lässt, den Laden zu schließen und Kasse zu machen: Der zunehmende Fachkräftemangel, die bürokratische Belastung gepaart mit der mangelnden Bereitschaft vieler junger Leute, unternehmerische Risiken im Rahmen einer Unternehmensnachfolge zu übernehmen.

Ein Hoffnungsschimmer für den Mittelstand ist laut des Verbandes BVMW das sogenannte „Wachstumschancengesetz“, das Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) gerade auf den Weg bringt. Ökonomen halten es zwar für die klein – sechs Milliarden Euro verteilt auf mehrere Jahre sind kein großer Sprung – aber Verbandschef Jerger sagt dennoch: „Das Gesetz ist der dringend erwartete Investitions- und Motivationsschub auf den besonders die mittelständischen Unternehmen schon lange sehnlichst warten.“ Lindner will eine neue Investitionsprämie, bessere Forschungsförderung und großzügigere Verlustverrechnung einführen. Ob das allein die Betriebe rechtzeitig überzeugen wird, steht auf einem anderen Blatt.

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