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Personal > Folgen der Pandemie

Warum die Corona-Krise den qualitativen Fachkräftemangel verschärft

Die Corona-Pandemie könnte den Fachkräftemangel im Mittelstand lindern, sagen die einen. Sie wird die Situation für Arbeitgeber noch weiter verschlimmern, meint hingegen Rechtsanwalt Nima Sarvari. Ein Kommentar.

Mit der Einführung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes (FEG) im März dieses Jahres wurde Geschichte geschrieben. Zum ersten Mal sprach der deutsche Gesetzgeber von einem Gesetz für „Einwanderung“. Diese Wortwahl hat eine große Bedeutung, denn damit erkennt der Gesetzgeber eines an: Deutschland ist ein Einwanderungsland, und die deutsche Wirtschaft braucht Einwanderer, um den akuten Fachkräftemangel zu bekämpfen. 

Was dann circa zwei Wochen nach der Einführung des FEG passierte, ist hinreichend bekannt. Deutschland ging – wie der Rest der Welt – in den pandemiebedingten Lockdown, die Weltwirtschaft brach ein, und zahlreiche Menschen verloren ihren Job. Die Aufbruchstimmung im Kampf gegen den Fachkräftemangel, die durch das FEG entstehen sollte, bekam einen heftigen Dämpfer.

Kein quantitatives Problem

Ein Effekt der stark verlangsamten Wirtschaft: Seit einigen Wochen und Monaten werden immer mehr Stimmen laut, die in den Arbeitsuchenden und damit verfügbaren Arbeitskräften auf dem deutschen Arbeitsmarkt das Ende des Fachkräftemangels sehen. Diese Einschätzung, die auf den ersten Blick plausibel erscheint, basiert in vielen Fällen allerdings auf einem Denkfehler. Denn im Gegensatz zu den Anwerbebemühungen der Bundesregierung in Bezug auf Gastarbeiter in den 1950er und 1960er Jahren ist das Ziel des FEG nicht, mehr Arbeitskräfte ins Land zu holen, weil es mehr Arbeit als deutsche Arbeitskräfte gibt. Vielmehr geht es darum, hochqualifizierten Spezialisten einen Einsatz in Deutschland möglichst unkompliziert zu ermöglichen und Deutschland damit als Einwanderungsland attraktiver zu machen und die globale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu sichern. Es wäre also zu kurz gegriffen, den Fachkräftemangel als vornehmlich quantitatives Problem von zu wenigen Arbeitskräften für zu viele freie Stellen zu begreifen. In Wirklichkeit liegt das Problem nämlich im Bereich des qualitativen Fachkräftemangels, also eines Mangels an hochqualifizierten Experten, insbesondere in Branchen, die immer stärker auf Technologisierung und Automatisierung setzen müssen.

Genau diese hochqualifizierten Fachkräfte fehlen auch weiterhin, und ihre Expertise wird in den kommenden Monaten eventuell sogar umso wichtiger sein. Nämlich dann, wenn es darum geht, die derzeit schwächelnde deutsche Wirtschaft wieder anzukurbeln. Angesichts des nur schleppend wieder anlaufenden Reiseverkehrs besteht allerdings die Gefahr, dass sich bürokratische Praktiken durchsetzen, die den Fachkräftezuzug zusätzlich erschweren – also genau das Gegenteil von dem bewirken, was mit der Verabschiedung des FEG erreicht werden sollte. So ist es derzeit Praxis, dass ein Unternehmen nachweisen muss, dass eine Fachkraft benötigt wird und deren Tätigkeit nicht von einer Arbeitskraft vor Ort übernommen werden kann. Dies betrifft auch Einreisen von Bürgern aus Staaten, bei denen es zuvor wenige bis keine bürokratischen Hürden gab, wie etwa aus den USA, Kanada, Australien und Japan. 

Zudem herrscht Rechtsunsicherheit über die Erfolgsaussichten der geplanten Einreise trotz vorhandenen Nachweises, da die endgültige Entscheidung, ob die Fachkraft tatsächlich einreisen darf, von der Bundespolizei bei der Grenzkontrolle getroffen wird. Das Erfordernis eines Nachweises, dass der Einsatz in Deutschland aus wirtschaftlichen Gründen unabdingbar ist, sowie die Unsicherheit an der Grenze stellen erhebliche und schwer kalkulierbare Hürden für Fachkräfte und Unternehmen dar, die langfristig nicht zur Attraktivität des deutschen Arbeitsmarktes beitragen werden.

Praktische Probleme bei der Visavergabe

Eine weitere Folge des unglücklichen Timings zwischen dem Inkrafttreten des FEG und dem weltweiten Lockdown ist, dass viele deutsche Behörden keine Praxiserfahrung mit den neuen vereinfachten Verfahren sammeln und so die Stärken und Vorteile des neuen Rüstzeugs nicht schätzen lernen konnten. So konnten etwa die Ausländerbehörden das durch das FEG eingeführte beschleunigte Fachkräfteverfahren nur selten anwenden, da die Vergabestellen in klassischen Zuwanderungsländern, wie etwa Indien oder China, lange geschlossen waren oder immer noch sind.

Zudem zeichnet sich derzeit noch ein weiteres Problem ab. Durch die langen Schließungen der Vergabestellen gibt es mittlerweile einen massiven Rückstau bei der Bearbeitung von Visumsanträgen. Dieser wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass die Zahl der Studenten aus stark von der Krise betroffenen Ländern, die sich auf ein visumpflichtiges Auslandsstudium in Deutschland bewerben, angesichts der unsicheren Lage in ihrem Heimatland stark gestiegen ist. Das Ergebnis: ein ungewollter Konkurrenzkampf bei der Bearbeitung von Visumsanträgen zwischen Studenten und Fachkräften, der in der Vergangenheit nicht selten zugunsten der angehenden Akademiker ausging. Für deutsche Unternehmen, die weiter auf ausländische Spezialisten angewiesen sind, bedeutet das vor allem eines: noch längere Wartezeiten bei einem ohnehin schon langwierigen Prozess.

Wille zu mehr Einwanderung darf nicht verpuffen

Selbstverständlich lassen sich aufgrund der anhaltenden Pandemie und der damit verbundenen gesundheitlichen Risiken für die Allgemeinheit auf absehbare Zeit keine idealen Bedingungen für einen ausreichend hohen Fachkräftezuzug schaffen. Wichtig ist allerdings, dass der Handlungsbedarf und der Wille zur Bekämpfung des Fachkräftemangels, der sich auch mit der Einführung des FEG vom Gesetzgeber als erster Schritt in die richtige Richtung manifestiert hat, nicht in den Wirren der Krise verpuffen. Denn eines ist jetzt schon klar: Der nächste Aufschwung muss kommen, und ein zentraler Baustein dabei wird ein erfolgreicher Kampf gegen den Fachkräftemangel sein. 

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