Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Energie & Rohstoffe > Atomausstieg

Abschalten dauert 15 Minuten, aussteigen und abreißen dauert Jahrzehnte

Am 15. April spätestens eine Minute vor Mitternacht schlägt die Stunde Null: Null Stromerzeugung mehr aus den drei aktiven deutschen Kernkraftwerken Neckarwestheim 2, Isar 2 und Emsland. Wie schaltet man eigentlich ein Atomkraftwerk ab und was passiert danach?

Wird ab jetzt zwei Jahrzehnte lang abgerissen: Das Kernkraftwerk Isar 2.
Wird ab jetzt zwei Jahrzehnte lang abgerissen: Das Kernkraftwerk Isar 2. Bildnachweis: picture alliance / SchwabenPress | Guenter Hofer

Wie vermutlich nicht überraschend, handelt es sich beim Abriss - vornehmer: Rückbau - eines Kernkraftwerks um einen komplexen und damit extrem langwierigen Prozess. Wobei das Abschalten noch ein Leichtes ist: Trennung des Kraftwerks vom Stromnetz, und dann nach und nach Herunterfahren des Reaktors durch kontinuierliche Verringerung der Leistung, Einfahren der Steuerstäbe. Nach rund fünfzehn Minuten ist dieser Vorgang beendet.

Die Steuerungszentrale des Kraftwerks wird abgeschaltet. Zurück bleibt ein sich langsam abkühlender Reaktor – und jede Menge Arbeit. Das Kernkraftwerk Isar 2 (KKI2), leistungsfähigstes in Deutschland, hat nach Angaben des Betreibers PreussenElektra Ende 2022 die Rekordmenge von 400 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt. Nun wird dort wie bei den übrigen verbliebenen Kraftwerken der Rückbau angegangen. 
 

Da stehen die Mitarbeiter des Kraftwerks und die künftig mit dem Abriss beschäftigten Firmen dann vor einer Anlage mit hoch radioaktiven Elementen, schwach- bis mittel- radioaktiven Bauteilen und einem Stahlbetonbau mit mehr als ein Meter dicken Wänden und einem 165 Meter hohen Kühlturm. Beaufsichtigt wird das Ganze, wie der Betrieb jeglicher nuklearer Anlagen, sowie auch die Endlagersuche, vom Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE). Das sich über mangelnde Aufgaben nun nicht beklagen kann, so BASE-Präsident Wolfram König: „Mit Abschaltung der letzten Atomkraftwerke in Deutschland wird der Atomausstieg noch lange nicht vollendet sein, denn zahlreiche Aufgaben der nuklearen Sicherheit bleiben.“  Noch gibt es kein Endlager für radioaktive Abfälle in Deutschland – allenfalls 2027 kann das Endlager für schwach- bis mittel-radioaktive Stoffe im ehemaligen Eisenerzbergwerk Salzgitter in Betrieb gehen („Schacht Konrad“). Zuvor aber beginnt der Kraftwerksrückbau zum Beispiel bei Isar 2: Da war zunächst einmal eine Stillegungsgenehmigung zu erteilen, und auch für den Abbau müssen Genehmigungen her. Dann beginnt der sogenannte direkte Rückbau, den der Betreiber bereits bei seinen Kraftwerken Stade, Würgassen oder Unterweser praktiziert hat.

Der erste große Schritt beim Abbau von innen nach außen: Die Demontage der Einbauten im Reaktordruckbehälter. Es folgen der Abbau von Systemen und Teilen der eigentlichen Anlage, also etwa der Dampferzeuger. Die Brennelemente und Sonderbrennstäbe werden entfernt und in die sogenannten CASTOR-Behälter verpackt. Es folgt der Transport ins Brennelementzwischenlager Isar. Anschließend geht es an die Behandlung der übrigen radioaktiven Bauteile. Dafür wird im Reaktorgebäude selbst ein Reststoffbehandlungszentrum aufgebaut. Das Zerlegen radioaktiver Bauteile, etwa der Reaktordruckbehälter, erfordert natürlich entsprechende Schutzmaßnahmen für die Beschäftigten, daher finden diese Arbeiten unter Wasser statt, das verringert die Strahlung und verhindert Staubentwicklung. Außerdem setzt man von einem Leitstand aus ferngesteuerte Werkzeuge ein. Aus den Sicherheitsanforderungen ergibt sich bereits: Diese Arbeiten dauern. Dabei wird man rund 20.000 Tonnen Material bewegen – die Gesamtmasse des Kraftwerks beträgt 782.500 Tonnen, überwiegend natürlich nicht-radioaktive Strukturen und Gebäude.
 


Das Material wird zuvor entsprechend behandelt: Chemisch, zur Dekontaminierung, oder mit hydraulischen Sägeverfahren zur Zerkleinerung, mit Zangen unter Druck zum Zusammenpressen: „fräsen, schleifen, hobeln, kratzen, wischen“, sagt der Plan zur Dekontaminierung. Allein der Aufbau der Infrastruktur dafür auf dem Gelände dauert erheblich: Je nach Gefährdungspotential müssen abgeschirmte Bereiche für die Lagerung geschaffen werden, Pufferzonen und Zerlegeplätze und Transportwege. Nicht zu sprechen von Staubabsaugung und Abschirmungen gegen Witterungseinflüsse. Was immer an Gegenständen vom Kraftwerksgelände entfernt werden soll, muss auf Strahlung untersucht und freigegeben werden. Grenzwerte gelten nicht nur im Kraftwerk, sondern natürlich auch für die Bevölkerung im Umland. Für all das sind Sachverständige und Gutachter mitsamt den entsprechenden Gerätschaften vonnöten, dazu die Aufsicht durch die Behörden. PreussenElektra spricht bei derartigen Vorgängen von „Plausibilitätsbetrachtungen unter Berücksichtigung der Betriebshistorie sowie Beweissicherungsmessungen“, die durchzuführen seien. Hydrologische Begutachtungen, die Berücksichtigung von Geologie und Raumaufteilung, wasserrechtliche und radiologische Auswirkungen und die Beachtung von Naturschutzbelangen gehören zu den Betrachtungen beim Abriss: Die Formulierungen aus der 38seitigen „Kurzfassung“ des Abbauplans von 2021 lassen nur ahnen, was sich in den kommenden Jahren an der Isar abspielen wird.

 

Etwa fünfzehn Jahre dauert der Rückbau, so die Annahmen des BASE für die drei nun anstehenden Stillegungen. Erst danach ist es möglich, die atomrechtliche Überwachung des Baus zu beenden, denn so lange können noch schwach strahlende Elemente vorhanden sein, inklusive der auf dem Kraftwerksgelände zwischengelagerten Bauteile. Anschließend bleibt der Abriss der gewöhnlichen Gebäude und Einrichtungen, wofür nochmals mindestens zwei Jahre zu veranschlagen sind. Danach findet man sich aber noch nicht auf einer grünen Wiese – ehe nicht Schacht Konrad aufnahmebereit ist, muss auf dem Gelände zur Zwischenlagerung eine „Bereitstellungshalle“ gebaut werden. PreussenElektra hofft jedenfalls, vor 2040 die wesentlichen Arbeiten abschließen zu können – und das ist schon ein ehrgeiziger Zeitplan. Ähnlich rechnet RWE für das Kernkraftwerk Emsland mit Enddatum 2037. „Verfahrensalternativen“, so der Schlusspunkt im Projektplan: „keine“.
 

Ähnliche Artikel