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Samstag endet das Atomzeitalter in Deutschland - und die Kohlezeit beginnt erstmal von neuem

Deutschland fährt seine Kohlekraftwerke hoch und setzt auf Atomstrom aus dem Ausland. Auch Gaskraftwerke müssen weiterlaufen. Anders ist die Versorgungssicherheit bis auf weiteres nicht zu gewährleisten, wenn die Kernkraftwerke wie geplant vom Netz gehen.

Greenpeace-Aktivisten protestieren vor dem Kernkraftwerk Neckarwestheim mit einer Aktion gegen Atomkraft. Bildnachweis: picture alliance/dpa | Christoph Schmidt

Lange vorbei ist der Winter noch nicht. Vielleicht erinnert sich noch eine oder einer an das Wetter vom 16. Dezember im vergangenen Jahr: Im Süden und Südosten Schneefall. Im Norden nachlassende Schneeschauer. Gebietsweise strenger Frost. Kompakte Wolkenfelder. Schwacher Wind. Es kommt damit mal wieder alles zusammen, was die Energiewende zu einer brenzligen Sache macht. Kälte, Schatten, Windstille. Am Nachmittag dieses Tages sinkt der Beitrag von Wind und Sonne zur Deckung der Stromnachfrage bis unter zwei Gigawatt (GW). Die Stromnachfrage bewegt sich aber zwischen 60 und 70 GW. Kohlekraftwerke müssen schleunigst hochgefahren werden. Auch das Ausland muss aushelfen. Den größten Teil der ausgefallenen regenerativen Energie übernehmen mit 19 GW die Gaskraftwerke, obwohl das natürlich allen Sparbemühungen widerspricht. Immerhin: Die Atomkraftwerke liefern Strom gleichmäßig, zuverlässig und CO2-frei.

Es sind diese Tage, die eine Diskussion darüber, ob die drei noch verbliebenen Atomkraftwerke am Netz bleiben sollen oder nicht, eigentlich alles andere als absurd erscheinen lassen. Einen guten Monat vor dem denkwürdigen 16. Dezember hatte der Bundestag jedoch einen eindeutigen Beschluss gefasst. Danach ist das Atomgesetz so geändert, dass die drei noch laufenden deutschen Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland Ende dieser Woche vom Netz gehen müssen. Weil sie eigentlich schon zum Jahresende ausgeschaltet werden sollten, nannte sich diese Gnadenfrist im Behördenjargon „befristeter Streckbetrieb“. 
 

Wirtschaftsminister Robert Habeck hält den Ausstieg Deutschlands aus der Atomenergie für unumkehrbar. Die drei letzten Kraftwerke würden nach der Abschaltung am 15. April „früher oder später in den Rückbau gehen“, sagte der Grünen-Politiker, wobei „Rückbau“ ein anders Wort für Abriss ist. Eine große Mehrheit der Deutschen ist allerdings gegen den Ausstieg aus der Atomenergie zum jetzigen Zeitpunkt. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov sprachen sich 65 Prozent dafür aus, die Kraftwerke zunächst noch weiterlaufen zu lassen. Die Union forderte die Bundesregierung auf, ihre Ausstiegs-Entscheidung rückgängig zu machen. In der Ampel-Koalition hatte sich die FDP vehement gegen die Abschaltung der letzten Kraftwerke gestemmt - am Ende jedoch vergeblich. 

Voraussetzung fürs Abschalten und dafür, dass auch Gaskraftwerke nicht mehr in vollem Maß genutzt werden müssen, war eine andere Entscheidung, die die Ampelregierung bereits im Oktober des vergangenen Jahres gefällt hatte. Sie entschloss sich damals insgesamt zwölf Kohlekraftwerke zusätzlich aus der eisernen Reserve ans deutsche Stromnetz gehen zu lassen. Sie sollen dauerhaft produzieren – nicht nur an heiklen Tagen, wie am 16. Dezember. Denn Atom und mehr und mehr auch Gas fallen als Energielieferanten ja weg. Für Steinkohlekraftwerke gilt das beschlossene Comeback derzeit maximal bis Ende März 2024. Für Braunkohle soll die Rückkehr an den Markt zunächst bis zum 30. Juni 2023 befristet sein. 
 

Kohle war bereits im vergangenen Jahr der wichtigste Energieträger für die Stromproduktion in Deutschland. Genau ein Drittel (33,3 Prozent) des hierzulande erzeugten und ins Netz eingespeisten Stroms stammte 2022 aus Kohlekraftwerken, teilt das Statistische Bundesamt mit. Damit nahm die Stromerzeugung aus Kohle binnen Jahresfrist um 8,4 Prozent zu. In diesem Jahr dürfte die Produktion wegen des Wegfalls von Atomstrom noch deutlicher ansteigen. Kohlekraftwerke sind die größten Verursacher von Umweltschäden in Deutschland. Wenn wie derzeit ein Drittel des deutschen Stroms aus Kohle kommt, werden dabei Kohlendioxidemissionen von rund 270 Millionen Tonnen freigesetzt. Das entspricht rund 30 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen. 

Mirko Schlossarczyk von der Unternehmensberatung Enervis Energy Advisors in Berlin rechnet in diesem Jahr mit 30 bis 40 Millionen Tonnen mehr CO2, die wegen des Hochfahrens der Kohlekraftwerke ausgestoßen werden. Auch der regierungsnahe Thinktank Agora Energiewende kommt nicht umhin festzustellen: Deutschland hat seine Ziele zur CO2-Senkung im vergangenen Jahr trotz gesunkenen Energieverbrauchs verfehlt. Als einer der Hauptgründe wird der verstärkte Einsatz von Kohlekraftwerken genannt. Und das wird nun auch noch schlimmer anstatt besser.

Die wahrscheinlich dreckigste Form der Energieversorgung ist Grünen und Umweltverbänden natürlich alles andere als recht. Die heftigen Auseinandersetzungen im Braunkohletagebau im nordrhein-westfälischen Lützerath zu Beginn des Jahres sind ein Beleg dafür: Umweltaktivisten ketteten sich an Bäume und klebten sich auf dem Asphalt fest, um gegen die Räumung für den Braunkohle-Tagebau zu demonstrieren. 

Von Doppelmoral spricht deswegen CSU-Generalsekretär Martin Huber. Er mache sich in der aktuellen Lage beim Thema Klimaschutz Sorge wegen der Grünen, die „lieber nach Kohle baggern als die Kernkraftwerke in der Laufzeit verlängern", ätzte er in einer Talkrunde. Rückhalt findet die CSU beim kleinsten Koalitionspartner in der Ampelregierung, der FDP.  Ihr Partei-Chef Christian Lindner hat jüngst betont: Er sei weiterhin der Überzeugung, „dass wir in Krisenzeiten übergangsweise Kernenergie weiter nutzen sollten“. Ansonsten verschlechtere sich Deutschlands CO2-Bilanz durch mehr Kohlestrom. Um in dieser Sache voranzukommen, hatte die FDP eine Expertenkommission zur Zukunft der Kernkraftwerke vorgeschlagen. Die Antwort von Habeck darauf fiel allerdings knapp und klar aus: „Nein“, sagte der Grünen-Politiker. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) fügt hinzu: Die Risiken der Atomkraft seien letztlich unbeherrschbar, die Bedeutung der Atomkraft für die Versorgungssicherheit minimal, daher ist für Lemke klar: „Es bleibt beim Atomausstieg Mitte April.“

Habeck und Lemke können immerhin auf den europäischen CO2-Handel verweisen. Danach sind Emissionen bei der Stromerzeugung EUweit gedeckelt. Kraftwerksbetreiber müssen für jede emittierte Tonne CO2 ein Emissionszertifikat kaufen, die Zahl der Zertifikate ist begrenzt und reduziert sich von Jahr zu Jahr. Der Emissionshandel definiert somit eine feste Obergrenze für die CO2-Emissionen im Energiebereich. 
Für die Grünen war schon der Weiterbetrieb bis zum 15. April eine politische Zumutung. Mehr tragen sie nicht mit. Ein endgültiges Aus für die Atomkraft hat für die Partei hohen Stellenwert. Der 16. Dezember allerdings zeigt, dass es jenseits der Kämpfe um energiepolitische Symbole eine andere Dimension gibt. Sie lautet: Ist das Stromnetz auch ohne die drei Atomkraftwerke stabil genug? Sollte Strom im kommenden Winter vorübergehend knapp werden, etwa weil Wind- und Solaranlagen nicht genug liefern und zugleich zu wenig Importstrom über die Grenze fließt, würde in einem ersten Schritt Großverbrauchern wie etwa Industriebetrieben der Strom abgeschaltet. Die Entscheidung darüber, wer vom Netz genommen wird, treffen die Betreiber der Stromübertragungsnetze. „Lastabwürfe“ heißt das in ihrem Jargon.

Dass nach dem Aus für die Atomkraftwerke mehr Strom, der zu einem großen Teil aus Atomkraftwerken in Frankreich stammt, importiert werden muss, stellt auch die Bundesregierung nicht in Abrede. Im jüngsten Bericht der Bundesnetzagentur zum Stand der Versorgungssicherheit steht: Deutschland werde „perspektivisch zu einem Nettoimporteur“ von Strom. Exporteure sind neben Frankreich vor allem zehn weitere EU-Staaten: Rumänien, Bulgarien, Slowenien, die Tschechische Republik, die Slowakei, Polen, Ungarn, Kroatien, die Niederlande und Finnland. Sie alle haben sich inzwischen zu einem „Pro-Atom-Klub“ formiert, dem demnächst auch noch Schweden beitreten will.

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