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Der Mittelstand flüchtet nach China

Eine neue Befragung zeigt: Viele Firmen wollen raus aus Deutschland, der Standort gilt bei immer mehr Entscheidungsträgern als unattraktiv. Asien und konkret China sind trotz der Risiken wesentliche Zielorte. Das hat Gründe.

VW Tiguan
Mitarbeiter kontrollieren im Werk der Volkswagen AG in Anting bei Shanghai (China) den VW Tiguan. Bild: picture alliance / dpa | Ole Spata

„Der Philosoph gilt nichts im eigenen Lande“, ist eine bekannte Redensart. Derzeit könnte man abgewandelt formulieren: Das eigene Land gilt nicht mehr viel bei den Unternehmern. Ganz anders China und andere Länder in Asien. Das Land der Mitte ist für den deutschen Mittelstand attraktiv und auch in den kommenden Jahren ein Hort des Wachstums. Diese Chancen überwiegen die Bedenken wegen der Menschenrechtsverletzungen und der geopolitischen Spannungen mit Taiwan. Wer Standortentscheidungen für Jahrzehnte treffen muss, kann nicht auf jede geopolitische Änderung eingehen.

Was das konkret bedeute, zeigt eine aktuelle Studie des Marktforschers Kantar im Auftrag der Beratungsfirma FTI-Andersch: 26 Prozent des produzierenden Mittelstands wollen ihre Produktionskapazitäten aus Deutschland ins Ausland zu verlagern. 40 Prozent dieser Firmen zieht es in Richtung Asien - und 15 Prozent explizit nach China. Bei den Betrieben mit mehr als 1000 Beschäftigten wollen sogar 60 Prozent nach Asien und 23 Prozent nach China. Auch eine Umfrage der deutschen Handelskammer in China kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass Mittelständler im Reich der Mitte investieren.

Naiv sind die Unternehmen nicht. Die Risiken beim Investieren in China nehmen zu. Ein Angriff des Landes auf Taiwan ist möglich, die Haltung zu Russland auffällig positiv, das Verhalten der staatlichen Institutionen inklusiver gewisser Drangsalierungen kaum kalkulierbar. Deswegen loten viele auch Optionen in anderen asiatischen Ländern aus, diversifizieren Lieferketten wo möglich. Das Umfeld ist schwieriger geworden, so der Tenor, aber als Produktions- und Absatzstandort sei China schlicht zu wichtig. Niedrige Kosten, viele Kunden, höheres Tempo bei der Umsetzung von Projekten und genug Personal – Ingenieure finden sich in China schneller als in Deutschland. Auf der Suche nach Alternativen lockt Firmen auch das Geld der Biden-Administration in die USA. Nicht zuletzt das Subventionsprogramm Inflation Reduction Act sorgt dafür, dass jeder vierte befragte Mittelständler plant, mit Unternehmen vor Ort zu kooperieren. Jeder Zehnte will direkt dort investieren.
Die Personalknappheit ist ein Grund, warum der Standort Deutschland schwächelt und die Unternehmen all die Risiken in China in Kauf nehmen. Die Kosten für Energie werden genannt und die überbordende Bürokratie. In der Umfrage heben die Betriebe dem Standort Deutschland eine drei minus. Die Mehrheit sieht eine spürbare Verschlechterung. Wer in Deutschland investiert, gilt derzeit schon als Optimist.

Das zeigt auch der viel beachtete Stimmungsindikator Mittelstandsbarometers von KfW und Ifo-Institut. Das Geschäftsklima der kleinen und mittleren Unternehmen stürzt im Juni regelrecht ab. Gegenüber dem Vormonat sinkt es um 5,4 Zähler, also fast so stark wie unmittelbar nach dem Gaslieferstopp im vergangenen September. Die Geschäftserwartungen fallen bei den kleinen und mittleren Unternehmen branchenübergreifend, besonders beim Einzelhandel und im Verarbeitenden Gewerbe. Noch rasanter als im Mittelstand rauscht die Stimmung der Großunternehmen in den Keller. „Die Entwicklung des KfW-ifo-Geschäftsklimas im Juni fügt sich ein in die Reihe der enttäuschenden Konjunkturdaten", sagt Dr. Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW. "Der kurzzeitige Konjunkturoptimismus vom Frühjahr ist verflogen, stattdessen befindet sich die deutsche Wirtschaft gerade in einer Art Schwebezustand." Spätestens ab der zweiten Hälfte des dürfte es zumindest eine leichte Konjunkturerholung geben.

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